Kann man Empathie testen?
Ein berühmtes Experiment, das vom US-Psychologen R. Glen Hass entwickelt und durch Adam Galinsky einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde, geht so: Bitten Sie Ihr Gegenüber, sich ein »E« auf die Stirn zu malen. Weitere Informationen gibt es nicht. Entscheidend für die Auswertung ist, ob die Zeichner:innen das »E« so gemalt haben, dass sie es vor ihrem inneren Auge lesen können, oder ob eine spiegelverkehrte Version auf der Stirn steht, gedacht für ihr Gegenüber. Diejenigen, die das »E« für ihr inneres Auge malen, sollen eine eher ichbezogene Perspektive haben. Wenn das »E« für andere zu lesen ist, sollen die Maler:innen sich besser in die Lage anderer Personen versetzen können. Ein wirklicher Empathie-Test ist das jedoch nicht, das Experiment liefert lediglich einen Hinweis auf die Neigung, sich spontan in andere hineinversetzen zu können.
Eines der etabliertesten und am häufigsten genutzten psychologischen Testverfahren, um die Empathiefähigkeit zu messen, ist der IRI-Test, kurz für Interpersonal Reactivity Index. Mark Davis, ehemaliger Professor für Psychologie am Eckerd-College, entwickelte den Test in den frühen Achtzigerjahren. Die deutsche Version konzipierte Christoph Paulus, ebenfalls Professor für Psychologie an der Universität des Saarlandes. Der deutsche Test besteht aus 16 Fragen, man kann ihn an sich selbst durchführen. Die Fragen zielen ab auf die Bereiche Fantasie, Mitgefühl, Perspektivwechsel und Distress, einer negativen Form des Stresses, die Motivation und Engagement sinken lässt. Aus diesen vier Gebieten setzt sich laut Mark Davis unsere Empathiefähigkeit zusammen.
IRI-Test
Eine detailliertere Auswertung: https://www.cpaulus.de/empathie.html
Es gibt viele weitere ähnlich angelegte Tests, die das Einfühlungsvermögen auswerten wollen. Doch die meisten haben gemein, dass sie auf einer Selbsteinschätzung der Proband:innen beruhen – das gilt auch für den IRI-Test. Wie wahrheitsgetreu die Menschen bei Angaben über sich selbst antworten, ist in solchen Szenarien aber häufig nicht klar. Die Ergebnisse und ihre Interpretation sind auch deshalb limitiert. Neue Tests, bei denen Proband:innen Situationen bewerten sollen, sind da ein vielversprechender Ansatz. Die Teilnehmenden sehen sich beispielsweise kurze Filmsequenzen an und sollen im Anschluss die Gefühle der Schauspieler:innen einschätzen. Das soll objektivere Rückschlüsse auf ihre Empathiefähigkeit zulassen.
Unumstritten sind aber auch diese Varianten nicht. Laut brasilianischen Forschenden, die sich in einer Übersichtsstudie mit dem Thema auseinandergesetzt haben, ist eines der größten Probleme, dass nicht klar ist, welche Tests auch wirklich die Empathiefähigkeit messen. Denn viele würden sehr unterschiedliche Ergebnisse hervorbringen – und das dürfte nicht sein, wenn sie alle dasselbe messen, so die Schlussfolgerung der Forschenden. Empathie in Skalen zu messen und mit Werten zu versehen, ist also – so zumindest die derzeitige wissenschaftliche Lage – kein leichtes Unterfangen.