Thema
Empathie 

Interview
Hannah Schultheiß

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Stefhany Y. Lozano

»Hohe Werte bei einem Empathie-Test, das muss nicht heißen, das sind gute Menschen«

Empathie – jeder glaubt, sie zu kennen, jeder will gerne empathisch sein. Doch was steckt dahinter? Die Psychologin und Neurowissenschaftlerin Birgit Derntl klärt über die unterschiedlichen Komponenten auf. Außerdem: Wie gehen bewusste und unbewusste Handlungen auseinander? Und warum steckt uns das Lachen eines Fremden an? 

 

Science Notes: Frau Derntl, die meisten Menschen möchten wohl als empathisch gelten. Dabei wissen viele wahrscheinlich gar nicht, was Empathie genau bedeutet. Wie lautet denn die Definition?

Birgit Derntl: Einfach gesagt: Die Fähigkeit, dass wir mit anderen Personen mitfühlen und uns in sie hineinversetzen können. Das sind die beiden Kernkomponenten der Empathie. Auf der einen Seite haben wir eine kognitive Komponente: Das ist dieses Hineinversetzen, sich vorstellen können, wie es einer Person in einer bestimmten Situation geht.

 

Und was ist die zweite Komponente der Empathie?

Das ist die affektive Komponente: Wenn jemand vor mir in Tränen ausbricht, dann lässt mich das nicht kalt. Es löst irgendwas in mir aus, die Emotionen stecken mich an. Von Empathie sprechen wir allerdings erst, wenn wir uns bewusst sind, dass es die Emotionen anderer sind, die wir miterleben. Wenn wir beispielsweise im Bus sitzen und neben uns lacht jemand ganz laut und wir müssen unwillkürlich grinsen, dann ist das erstmal nur die Ansteckung mit den Emotionen. Wenn uns bewusst wird, dass wir fröhlich sind, weil unser Sitznachbar fröhlich ist, ist es Empathie.

 

 

Haben Sie auch ein Beispiel für diese kognitive Komponente der Empathie, die sie erwähnt haben?

Wenn wir davon hören, dass jemand eine Prüfung im dritten Versuch nicht bestanden hat, dann fragen wir: Wie geht es der Person? Was fühlt sie? Wir kommen zu dem Schluss, dass es dieser Person wahrscheinlich nicht so gut geht. Wichtig ist, dass es hierbei um Gefühle geht. Würde ich fragen: Was denkt diese Person? Was macht die Person als nächstes? Dann sind wir eher bei der Theory of Mind (ToM), beim sogenannten Mentalisieren, also, dass wir über die Gedanken unseres Gegenübers nachdenken. Solange wir auf der Gefühlsebene sind, sprechen wir von Empathie.

 

Gibt es noch weitere Empathie-Komponenten?

Bisher noch sehr wenig erforscht ist die motivationale Komponente. Sie fragt nach den Handlungen, die aus Empathie entstehen. Wenn ich mich in eine Person hineinversetzt habe und verstehe, dass es ihr schlecht geht, was tue ich nun damit? Helfe ich? Unterstütze ich? Oder halte ich mich zurück, weil ich unsicher bin?

 

Wie untersucht man denn experimentell, wie sich Menschen gegenüber bestimmten Emotionen bei ihren Mitmenschen verhalten?

Wir haben unseren Testpersonen Fotos von traurigen, wütenden und fröhlichen Gesichtern gezeigt. Die Proband:innen hielten dabei einen Joystick in der Hand, der selbst minimale Bewegungen registrierte. Ein schnelleres Drücken in Richtung des Monitors interpretierten wir als Impuls, sich der Person auf dem Foto anzunähern. Ein schnelleres Wegzucken nahmen wir als Hinweis, die Person eher zu meiden. Das haben wir den Personen davor natürlich nicht gesagt. In einem weiteren Experiment haben wir die Menschen direkt gefragt: Würden Sie stehen bleiben und sich der Person nähern? Oder würden Sie eher weggehen?

 

Und, was hat sich gezeigt?

Gerade bei der Emotion »Trauer« haben bewusste und unbewusste Reaktion nicht übereingestimmt. Wenn wir die Versuchspersonen direkt gefragt haben, haben die meisten gesagt, sie würden hingehen und helfen. Unbewusst hat sich aber gezeigt, dass die meisten Menschen die traurige Person eher meiden würden. Bei den anderen Emotionen war das Verhalten in beiden Runden gleich: Eine wütende Person löst bei uns eher Bedrohung oder Furcht aus, die würden wir meiden. Einem freundlich lachenden Gesicht würden wir uns eher annähern. Aber es gibt eben Emotionen, dazu gehört Trauer, aber auch Ekel, da sind wir unsicher, wie wir uns verhalten sollen. Vielleicht weil nicht klar ist, was das Gegenüber erwartet. Das ist dann wohl der erlernte Part der Empathie, den Lebenserfahrungen beeinflussen. Daneben gibt es auch einen Anteil, der wohl angeboren ist.

 

Wenn wir schon von Lebenserfahrungen sprechen, wie viel Empathie bringen unsere Eltern uns bei?

Unsere Eltern sind Vorbilder, sowohl für die Regulation der Emotionen als auch für Empathie. Alles, was Eltern vorleben, hat einen Effekt auf die Entwicklung des Kindes: Oft übernehmen Kinder ihr Verhalten oder probieren es zumindest aus.

 

 

Wenn man als Kind wenig Empathie mitbekommen hat, kann man sie dann später noch trainieren?

Das kommt darauf an, wieso die Empathie in der Erziehung auf der Strecke geblieben ist. Liegt es an einer psychischen Erkrankung, an den Umständen beziehungsweise der Situation oder an den Vorbildern? Eine Person, die komplett vernachlässigt wurde, wird schon sehr frühzeitig Einbußen und psychische Probleme haben. Da ist dann die Frage, ob mangelnde Empathie das größte Problem ist. Generell kann man Empathie aber trainieren.

 

Wie funktioniert das?

Um die kognitive Komponente zu trainieren, würden wir mit Betroffenen die Theorien lernen, die hinter bestimmten Emotionen stehen: Was sind Situationen, in denen es Menschen in der Regel schlecht geht? Was sind Situationen, in denen es ihnen gut geht? In welchen Fällen wissen wir es nicht und wie könnten wir an die Infos kommen? Bei der affektiven Empathie können Menschen die Signale lernen, zum Beispiel bei der Emotionserkennung. Wie fühlt sich die Person gegenüber gerade? Wenn die Person weint, dann erkennen es eigentlich alle. Aber auch Tränen sind kontextabhängig, wir weinen auch aus Freude. Wie stellt es sich dar, wenn jemand aus Freude, Trauer, Schmerz weint? Das sind alles Situationen, für die man Signale lernen kann. Um die Emotionen selbst besser zu spüren, könnte es helfen in sich reinzuhören und nachzuempfinden: Was fühle ich eigentlich in diesen Momenten oder Situationen? Das wäre ein eher emotionszentrierter Ansatz. Was aber am meisten Probleme macht, ist die Frage nach dem Verhalten. Wenn ich erkannt habe: Der Person geht es schlecht – was mache ich dann? Besonders Menschen mit der Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung haben damit Probleme, oder Personen mit der Diagnose Schizophrenie.

 

Autismus, das Schlagwort fällt fast immer im Zusammenhang mit Empathie. Stimmt es, dass Menschen mit der Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung weniger oder gar nicht empathisch sein können?

Da sind die Daten tatsächlich relativ einheitlich, was die kognitive Komponente betrifft. Die meisten Studien zeigen, dass Betroffene beeinträchtigt sind, sich herzuleiten, wie jemand in einer bestimmten Situation fühlt. Hinsichtlich der affektiven Komponente gibt es Hinweise, dass auch das Mitfühlen reduziert sei. Aber es gibt auch Daten, die zeigen, dass es bei autistischen Personen wichtig ist, mit wem sie mitfühlen sollen. Dies ist aber auch bei neurotypischen Personen, das heißt, Personen ohne Autismus-Spektrum-Störung, der Fall: mit Personen, die uns nahe stehen, fühlen wir eher mit als mit fremden oder Personen, die wir nicht mögen.

 

Muss eigentlich die ausgelöste Emotion immer dieselbe sein? Wenn zum Beispiel ein Kind von der Schule nach Hause kommt und traurig ist, weil es von einer Mitschülerin geärgert wurde und die Mutter aber mit Wut auf das andere Mädchen reagiert, ist das dann noch Empathie?

Dass Emotionen sich nicht immer decken, ist ein Phänomen, das uns immer wieder in Experimenten und auch im Alltag begegnet. Einigen Kolleg:innen folgend würde es sich hier nicht um Empathie handeln. Die Mutter erlebt nicht die Trauer, die ihr Kind erlebt, sondern fühlt vielleicht Wut oder Ärger. Allerdings gibt es Überlegungen, die ich auch teile, dass hier sehr wohl Empathie erlebt wird und es um Bewertung geht und um die Rolle, die jemand in einer Situation hat. Auch dies ist sicherlich wichtig dafür, welches Verhalten wir darauf zeigen. Das versuchen wir mehr einzubeziehen in unsere Forschung.

 

Ein Stereotyp in unserer Gesellschaft ist auch: Frauen sind empathischer als Männer. Stimmt das überhaupt?

Das war auch eine meiner Annahmen, als ich angefangen habe, zu Empathie zu forschen. Im Selbstbericht, also wenn Frauen und Männer Fragebögen zu ihrer eigenen Empathiefähigkeit ausfüllen sollen, zeigt sich das fast immer. Frauen geben durchweg an, dass sie empathischer sind. Wenn wir es dann aber testen, zum Beispiel dadurch, dass die Proband:innen Emotionen Gesichtern in Situationen zuordnen sollen oder auch angeben, wie sich eine Freund:in in einer bestimmten Situation fühlt, dann merken wir davon nicht mehr viel. Männer sind dann meist nicht schlechter darin als Frauen.

 

Es gibt aber auch Studien, bei denen die Hirnaktivität der Proband:innen während der Empathie-Experimente gemessen wird. Und manche dieser Studien weisen eher auf Geschlechterunterschiede hin.

Diese Studien gibt es, aber es sind sehr wenige. Auch wir haben eine Studie mit Hirnscans durchgeführt – mit recht kleiner Stichprobe –, die tatsächlich Hinweise auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern lieferte: Die Art und Weise, wie Frauen und Männer zur gleichen Antwort kommen, scheint unterschiedlich zu sein. Frauen gehen eventuell eher emotional vor, sie fragen sich: Wie würde ich mich fühlen in dieser Situation? Sie überlegen: Wie ging es mir schon mal in einer ähnlichen oder gleichen Situation? So schließen sie dann auf das Befinden anderer Menschen. Das nennt man Simulation. Männer gehen die Sache­ eher rational an – und das entspricht leider sehr dem Klischee. Sie fragen: Was sollte passieren, was ist die Theorie über eine Situation?

 

»Du bist echt empathisch« – nachdem wir nun die Definition kennen ist das wahrscheinlich weiterhin ein Satz, den jeder gerne über sich hören möchte. Aber macht uns Empathie überhaupt zu einem guten Menschen?

Tja, da ist die Frage: Was ist ein guter Mensch für uns? Hohe Werte bei einem Empathie-Test, das muss nicht heißen, das sind gute Menschen. Meist wird ein guter Mensch an seinen Handlungen festgemacht. Doch gerade die Handlungen, die aus Empathie erfolgen, das ist die Komponente, die wir bisher am wenigsten erforscht haben. Wie verhalte ich mich, wenn ich spüre oder nachvollziehe, was jemand anderes fühlt? Ob wir hilfsbereit sind, andere trösten oder aufmuntern, daran lässt sich ein guter Mensch erkennen.

 

Erschienen am 16. August 2024

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