»Es besteht ein echtes Risiko, dass ein weiterer SARS-Coronavirus aus seinem natürlichen Reservoir hervorgeht«, schrieb Friedemann Weber als einer von mehreren Autoren im Fachjournal PLOS One – und zwar im März 2012. 

Herr Weber, was lernt die Wissenschaft aus der Krise über langfristige Planung?

Protokoll
Bernd Eberhart
ist Redakteur beim Science Notes Magazin.

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Janik Söllner
ist freier Illustrator.
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Meine Arbeitsgruppe und ich haben in dieser Veröffentlichung 2012 ein Werkzeug beschrieben, mit dem wir unsere Interessen weiterverfolgen konnten: zu erforschen, welche Wechselwirkungen ein Virus mit dem angeborenen Immunsystem des Menschen eingeht. In diesem Fall haben wir SARS-CoV-1 untersucht, das Coronavirus, das im Jahr 2002 die SARS-Epidemie ausgelöst hat.

Professor Friedemann Weber leitet das Institut für Virologie an der Universität Gießen. Als Schwerpunkt arbeitet er an hochpathogenen RNA-Viren – auch schon vor SARS-CoV-2.

Jetzt in der Coronakrise fragen sich die Menschen vielleicht: Haben die Wissenschaftler zu kurzfristig gedacht? Hätten sie intensiver an Coronaviren forschen müssen? Nach SARS und dem MERS-Ausbruch ab 2012 sind diese wieder etwas aus dem Fokus der Forschung geraten, das ist richtig. Aber in der Wissenschaft gibt es nun mal sehr begrenzte Ressourcen. Forschung kostet viel Zeit und Geld. Da gilt es, Prioritäten zu setzen. Im Rückblick ist es einfach zu sagen: Hätten wir doch alle auf Hochtouren Corona erforscht.

Auch andere Viren bedrohen die Menschheit

Klar, Coronaviren sind Topkandidaten für gefährliche Krankheiten, darauf haben wir und viele andere ja damals hingewiesen. Das Risiko besteht immer, dass ein neuer Virusstamm von Tieren auf Menschen übergeht. Aber es hätte auch ein Influenzavirus sein können, das die Welt aus dem Takt bringt. Oder, das müssen wir auch in Erinnerung behalten: Zwischendurch gab es einen verheerenden Ebola-Ausbruch.

Dass die Wissenschaft Coronaviren vernachlässigt oder zu kurzfristig gedacht hätte, diesen Vorwurf lasse ich also nicht gelten. Der Virologe Christian Drosten von der Charité Berlin etwa hat schon 2017 das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Programm RAPID initiiert, an dem auch ich beteiligt bin. Da erforschen wir am Beispiel MERS, wie sich luftübertragene Viren zu pandemischen Erregern entwickeln. Wir haben also die ganze Zeit an der Frage gearbeitet: Was macht man eigentlich, wenn ein neues Virus kommt, das die menschliche Lunge befällt und über das wir noch nichts wissen? Die Forschung an Coronaviren ist also die ganze Zeit weitergelaufen, eben auf einem normalen Niveau.

Großen Anteil daran hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die Grundlagenforschung in Deutschland finanziert. Glücklicherweise macht die DFG sich nicht von Moden abhängig. Sie schaut bei Anträgen in erster Linie: Ist das gute, solide Wissenschaft? Programme zu zoonotischen Viren oder Fledermausviren (zu denen die SARS-Viren gehören) beispielsweise waren die ganze Zeit über gut gefördert. Man kann also auch den Geldgebern keine Kurzsichtigkeit unterstellen.

Die Grundfinanzierung ist dürftig

Ein Problem gibt es dennoch: die Grundfinanzierung der Universitäten. Unsere Forschung ist hauptsächlich über Drittmittel finanziert. Die müssen wir einwerben, zum Beispiel bei der DFG. An sich tut das der Wissenschaft gut – es wäre falsch, einfach so, ohne konkrete Projektidee, dauerhaft Geld zu bekommen. Aber die Laufzeit für ein DFG-Projekt beträgt im Schnitt drei Jahre. Wir sind also andauernd damit beschäftigt, neue Anträge zu schreiben. Wenn da einmal etwas schief geht, kommt man schnell in eine Schieflage. Denn allein von der Grundfinanzierung her könnte meine Arbeitsgruppe vielleicht drei Monate lang überleben. Wenn Bund und Länder mehr Grundförderung für die Universitäten bereitstellen würden, dann könnte ich – und all meine Kolleginnen und Kollegen – deutlich ruhiger schlafen.

Fakten statt Ideologien

An unserer täglichen Arbeit ändert die Coronakrise nichts Grundsätzliches. Wir haben immer Termindruck, immer Wettbewerb, es gibt immer Belastungsspitzen, das ist normal. Nur ist jetzt alles noch einmal verschärfter, wie auf Speed. Man fühlt sich manchmal wie eine Kerze, die von beiden Seiten her brennt.

»Plötzlich erkennen die Menschen den Wert der Wissenschaft: der vorurteilsfreien Neugier und Erkenntnis.«

Aber es gibt auch eine positive Seite: Plötzlich interessieren sich die Menschen für Virologie. Und ich denke, sie erkennen den Wert der Wissenschaft, der vorurteilsfreien Neugier und Erkenntnis. Den Leuten wird bewusst: Es hat doch einen gewissen Vorteil, wenn man sich auf Fakten stützt und nicht auf Ideologien. Als Virologen und Biowissenschaftlinnen stehen wir immer wieder im Kreuzfeuer von Impfgegnern, Evolutionsleugnerinnen oder Homöopathen. Da ist es schön zu sehen, dass die Menschen verstehen: Es gibt Grundlagen für wissenschaftliche Erkenntnisse, die werden nicht einfach nur behauptet. Und es hat erhebliche Auswirkungen, wenn man sie ignoriert. Ich hoffe, dieses Verständnis wirkt sich auch auf andere Bereiche aus. Zum Beispiel auf den Umgang mit dem Klimawandel.

Erschienen am 08. Mai 2020 

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