Schutzanzug, Pressluft und drei Paar Handschuhe: Mitten in Hamburg betreibt das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin ein Hochsicherheitslabor der höchsten Schutzstufe. Tödliche Viren sind hier kein Ausnahmefall – sondern Alltag. Eine Reportage über die gefährlichsten Erreger der Welt, die Angst vor Infektion und umständliche Pinkelpausen.

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Uta Schindler ist freie Wissenschaftsjournalistin und Filmautorin. Sie schreibt unter anderem für spektrum.de oder Gehirn&Geist.
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Ricardo Wiesinger ist freier Fotograf, er arbeitet unter anderem für die FAZ.
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Stählerne Wände, Türen mit Nieten und eingelassenen Bullaugen: Die Sicherheitsschleuse erinnert an eine merkwürdige Mischung aus Kühlraum und Schiffskabine. Es riecht nach Essig. Elly Sarrass (Name von der Redaktion geändert) schaltet das Funkgerät ein, rückt ihr Headset zurecht und streift ein Paar Einmalhandschuhe über, die orange leuchten. Sie schlüpft aus ihren Schlappen und – mit etwas Akrobatik – in einen weißen Schutzanzug mit angeschweißten Gummistiefeln, dicken grünen Handschuhen und durchsichtiger Haube. Dann legt sie ein drittes Paar Handschuhe an, diesmal lilafarben. Den Schlauch, der ins Anzuginnere führt, schließt Sarrass an ein Pressluftventil an, das von der Decke hängt. Der Schutzanzug bläht sich auf, dann stöpselt sie ihn wieder ab. »Ich bin soweit. Wenn ihr mich hören könnt, geh ich rein.«

Im Hamburger Stadtteil St. Pauli, direkt oberhalb der Landungsbrücken, sitzt das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. An der Pforte des altehrwürdigen Baus winken Souvenirs: T-Shirts mit der Anopheles-Mücke als Motiv oder einer Cartoon-Amöbe, die mit großen Augen aus einem Erlenmeyerkolben lugt. Wenige Meter weiter forscht man mit Erregern, die zu den tödlichsten der Welt gehören.

Dieser Arbeitsplatz gleicht einem Schreckenskabinett: Ebola-, Lassa-, Marburg- oder Krim-Kongo-Fieber-Viren. Die Gefahr gehört hier zur Routine.

Elly Sarrass ist Biologielaborantin. Ohne sie, ihre Kolleginnen und Kollegen würde hier wenig vorangehen: Laboranten sind die Heinzelmännchen eines jeden Labors. Sie machen aus Ideen Wirklichkeit, übersetzen in praktische Arbeit, was Wissenschaftler theoretisch ausgrübeln. Sarrass’ Arbeitsplatz, die virologische Abteilung des Bernhard-Nocht-Instituts, hält ein ganzes Schreckenskabinett an Viren bereit: hämorrhagische Fieberviren, zu denen etwa Ebola-, Lassa-, Marburg- oder Krim-Kongo-Erreger gehören. Jedes Jahr töten sie Tausende von Menschen in Afrika. Sarrass’ Arbeitsgruppe hat sich dem Lassa-Virus verschrieben. Bislang steht man ihm hilflos gegenüber. Es gibt weder einen Impfstoff noch zuverlässige Medikamente gegen das Lassafieber. Um das zu ändern, stehen Sarrass und ihre Kollegen Tag für Tag im institutseigenen Hochsicherheitslabor; ihren Arbeitsalltag verbringen sie irgendwo zwischen den gefährlichsten Erregern der Welt und der Kaffeeküche. Die Gefahr gehört hier zur Routine.

Die Mechansimen der Viren verstehen

Anhand von Versuchen mit Mäusen wollen die Forscher verstehen, wie das Virus die Krankheit verursacht und welche Rolle das Immunsystem dabei spielt. »Wir vermuten, dass die Immunantwort ausschlaggebend ist, ob man an der Infektion stirbt oder nicht«, sagt Sarrass. »Zum Tod führt letztlich ein Organversagen. Auslöser dafür könnte eine heftige Überreaktion des Immunsystems sein. Wenn wir die Mechanismen genau kennen, können wir dort angreifen und sie verändern.«

Die Wissenschaft kennt das Lassa-Virus seit knapp fünfzig Jahren. Es kommt fast ausschließlich in Westafrika vor, wo es von einem kleinen Nager auf den Menschen übertragen wird: der Natal-Vielzitzenmaus. Viele infizieren sich über Lebensmittel, kontaminiert durch die Ausscheidungen virustragender Mäuse. Oft verläuft die Infektion symptomlos oder nur schwach. In anderen Fällen jedoch ist sie tödlich: Gliederschmerzen, Fieber, Entzündungen; später Ausschläge, Geschwüre, innere Blutungen. Nach einer Woche halten die Organe der extremen Belastung nicht mehr stand. Innerhalb von nur zehn Tagen kann das Lassa-Virus ein Menschenleben auslöschen. Ein Medikament namens Ribavirin ist bisher die einzige Möglichkeit, die Infektion zu behandeln. Das birgt allerdings massive Nebenwirkungen und die Behandlung wirkt nur, wenn man sehr früh damit beginnt.

Elly Sarrass sieht aus wie ein Michelin-Männchen, das gerade Blutproben beschriftet.

In ihrer Arbeitsmontur sieht Elly Sarrass aus wie das Michelin-Männchen – ein Michelin-Männchen, das gerade Blutproben beschriftet. In der aktuellen Versuchsreihe testet sie ein neues Präparat: Der Wirkstoff, den sie den Lassa-infizierten Mäusen verabreicht hat, soll die Vermehrung der Viren verhindern. Ob er greift, zeigt sich auch im Blut. Über das Pressluftventil strömt ständig Sauerstoff in den aufgeblähten Anzug, um sie mit Atemluft zu versorgen und zu schützen. Wäre der Anzug undicht, würde der Überdruck verhindern, dass Viren in ihn eindringen: gegen die ausströmende Luft kämen die Erreger nicht an. Etliche Schutzmaßnahmen – wie das Arbeiten unter Sicherheitswerkbänken – verhindern allerdings, dass die Viren aber überhaupt in die Umgebungsluft gelangen.

Weltweit gibt es nur drei Dutzend S4-Labore

Druckluftkaskaden, Schleusen- und Filtersysteme sind nur ein paar der Auflagen, die ein Hochsicherheitslabor erfüllen muss. Wegen der aufwändigen Schutzmaßnahmen ist die Zahl der Labore mit der höchsten biologischen Sicherheitsstufe vier – kurz S4 – weltweit überschaubar. Eine genaue Zahl ist nicht bekannt; vermutlich existieren weltweit rund drei Dutzend S4-Labore. Vier davon gibt es hierzulande. Eigentlich beherbergt das Bernhard-Nocht-Institut sogar zwei Hochsicherheitslabore. Neben dem 2014 eröffneten S4-Labor im Neubau, in dem auch Sarrass arbeitet, existiert im alten Hauptgebäude ein zweites, ganz besonderes: Als man es 1982 einweihte, war es europaweit das erste seiner Art. Inzwischen ist es etwas in die Jahre gekommen. Während man im neuen Labor mit gentechnisch veränderten, hochgefährlichen Krankheitserregern forschen und Tierversuche durchführen kann, arbeitet man im alten vorwiegend diagnostisch und mit Zellkulturen.

Die Arbeit im Hochsicherheitslabor verlangt den Beteiligten viel ab. »Es ist warm, es ist anstrengend und ich muss mich immer konzentrieren«, sagt Sarrass, »aber die Arbeit ist auch schön, weil ich in einer Welt für mich bin«. Zwei Kollegen aus der Arbeitsgruppe halten über Funk stets Kontakt mit denen, die im Labor arbeiten. Immer wieder erkundigen sie sich, ob alles in Ordnung ist. Für den Ernstfall, in dem man nicht mehr sprechen kann, besitzt das Funkgerät einen Totmannsender: ein Piepen, das ausgelöst wird, sobald sich das Gerät in der Waagerechten befindet. »Manchmal springt die Funke aber auch versehentlich vom Gürtel und landet im Schuh«, erzählt Sarrass. »Dann wird nachgefragt, ob alles OK ist.«

Sie und ihre Kollegen planen ihre Schicht so, dass sie nach spätestens drei Stunden eine Pause einlegen können. Erlaubt sind bis zu fünf Stunden am Stück. Fünf Stunden ohne Toilette? »Man trainiert ein bisschen. Wir nennen das die Viererblase. Aber irgendwann muss man dann wirklich raus«, lacht Sarrass. Will sie das Labor verlassen, geht das nicht von jetzt auf gleich. Etwa vier Minuten steht sie in der Dekontaminationsdusche: 10 Sekunden Peressigsäure, 20 Sekunden Einwirkenlassen, dann Wasser, danach drei Minuten für Trocknung und Druckausgleich. »Die Trocknungsphase ist immer der fieseste Moment. Da passiert ja nichts mehr, aber die Schleusentür geht trotzdem noch nicht auf«, sagt Sarrass. »Manchmal finde ich im Flur einen Anzug auf dem Boden liegen – da weiß ich dann: Es war dringend.«

Die enge Kooperation, die Mühsal, vielleicht auch die Gefährlichkeit ihrer Studienobjekte schweißen die etwa vierzig Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zusammen. Viele von ihnen sind so gut befreundet, dass sie zusammen in den Urlaub fahren. Ihre Zigarettenpausen verbringen sie auf dem Balkon – beste Lage, mit Blick auf den Hamburger Hafen. Sarrass nutzt die Pausen, um Organisatorisches zu besprechen: Sie verabredet mit ihrer Kollegin dann zum Beispiel, wer am Wochenende welche Schicht übernimmt, um die Labormäuse zu versorgen. Denn während der Arbeit im Labor zu plaudern, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Anzug schirmt ab, die einströmende Luft rauscht. Und um über Funk zu sprechen, braucht sie eine freie Hand, mit der sie den Sender betätigt. Oft verständigen sich die Kollegen mit Zeichensprache. »›Ich geh raus‹ ist der Klassiker: Ich zeige auf die Dusche und winke. Zur Not kann ich mich kurz von der Luftzufuhr abstöpseln und meine Kollegen anschreien«, sagt Sarrass. »Mit der Zeit habe ich mich an das Rauschen gewöhnt und höre die Umgebung besser. Was man sich hier aber leider auch angewöhnt, ist eine schlechte Haltung. Man macht automatisch ein bisschen auf T-Rex, weil man dem Luftfilter ausweicht, der hinten auf den Kopf drückt.«

Sara Oesterland ist Virologin und forscht gemeinsam mit Sarrass, zwei weiteren Laboranten und drei Promovierenden. Die junge Postdoktorandin ist für mehrere Projekte verantwortlich, die sie wissenschaftlich betreut. Ihr Fachgebiet ist die sogenannte Pathogenese des Lassafiebers, sprich die Entstehung und der Verlauf der Virusinfektion, und die damit einhergehende Immunreaktion. Während ihrer Promotion stand Oesterland noch selbst im S4-Labor. Heute bleibt ihr dafür kaum Zeit. »Meine Mitarbeiter haben mich gut trainiert, dass ich sie gleich in meine Ideen einweihe und ihnen die Umsetzung überlasse«, sagt Oesterland. »Wenn es geht, mache ich ein paar Lieblingsprojekte selbst. Das ist aber selten.«

Neue Doktoranden prüft der Verfassungsschutz

Das Hochsicherheitslabor ist das exklusive Reich von Elly Sarrass und der restlichen Stammbelegschaft. Weil keine Putzfrau ihren Arbeitsplatz betreten darf, müssen die Forscher daher auch selbst den Mopp schwingen, um ihr Labor sauber zu halten – »do-it-yourself« lautet die Devise. Auch die Kleiderbügel, auf denen die Schutzanzüge auf ihren Einsatz warten, sind Marke Eigenbau. Weil gewöhnliche Kleiderbügel zu klein und wackelig wären, haben die Kollegen aus der Technik eigene Bügel geschweißt. Ein anderes Problem lösen die Forscher mit dem Faxgerät, das im Hochsicherheitslabor steht: »Prinzipiell dürfen wir alles mit reinnehmen, aber nicht mehr mit raus«, erklärt Sarrass. »Um die Versuche zu dokumentieren, können wir hier alles ganz normal auf Zettel schreiben. Die Notizen faxen wir dann an unseren Büroplatz.«

Als Mentorin lernt Sarrass gerade einen Doktoranden ins S4-Labor ein. Bevor ein neuer Mitarbeiter tatsächlich alleine das S4-Labor betreten und darin arbeiten darf, wird er vom Verfassungsschutz überprüft. Gibt der grünes Licht, folgt auf eine offizielle Einweisung eine Trainingsphase.

Der Neue erlernt darin alle notwendigen Handgriffe. Mindestens zwanzig Mal übt er das Arbeiten im Labor, während ihm dabei eine Mentorin über die Schulter schaut. Wenn alles sitzt, muss er in einer praktischen Abschlussprüfung seine Labortauglichkeit unter Beweis stellen.

Angst hat sie keine. Doch die Arbeit im Anzug ist hart.

Angst vor den Viren hat Sarrass keine, sie vertraut auf die Schutzmaßnahmen. »Viel mehr Angst habe ich, das Labor kaputtzumachen, als dass mir selbst etwas passiert«, scherzt sie. »Wichtig ist, die Balance zu finden. Wir müssen auf unsere Fähigkeiten vertrauen und dürfen den Respekt nicht verlieren, auch wenn die Arbeit mit dem Erreger alltäglich wird.« Seit vier Jahren arbeitet Elly Sarrass im Hochsicherheitslabor. Damit gehört sie zu den alten Hasen. Aller Routine zum Trotz, manche Reflexe bleiben. »Wenn ich einen Fussel auf dem Anzug habe, puste ich. Oder wenn die Brille rutscht, will ich sie hochschieben.

Unterm Mikroskop leuchten die Viren wie ein Sternenhimmel. Manchmal denkt sie: »Sind die nicht hübsch?«

Beides geht natürlich nicht, weil die Anzughaube im Weg ist«, sagt Sarrass. »Da muss ich dann über mich selbst schmunzeln.« Ihre Arbeit im S4-Labor möchte sie so lange machen, wie es nur geht. »Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Zeit irgendwann vorbei ist«, sagt sie. »Ich glaube, mit sechzig stehe ich nicht mehr hier. Dafür ist es einfach zu anstrengend.« Elly Sarrass liebt ihre Arbeit im Hochsicherheitslabor. Und so gefährlich die Lassa-Viren auch sind, Sarrass kann ihren Forschungsobjekten sogar etwas Schönes abgewinnen. Zum Beispiel, wenn sie unter dem Fluoreszenz-Mikroskop leuchten: »Die körnigen Strukturen, die für diese Art Viren typisch sind, spannen sich über die Zellen wie ein Sternenhimmel.« Faszinierend sieht das aus, findet Sarrass. Über die tödlichen Viren, die Erreger einer furchtbaren Krankheit, denkt sie dann manchmal: »Sind die nicht hübsch?«

Dieser Text ist zuerst erschienen in der zweiten Ausgabe zum Thema »Gefahr« (04. September 2018).

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Uta Schindler ist freie Wissenschaftsjournalistin und Filmautorin. Sie schreibt unter anderem für spektrum.de oder Gehirn&Geist.
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