Thema
Hitze

Text
Fabian Müller

Bild
Leonard Baier

Astrid Ziemann ist promovierte Meteorologin und forscht seit 1996 zunächst an der Universität Leipzig, seit 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Meteorologie der Technischen Universität Dresden. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Stadtklima und der Wärmebelastung des Menschen. In Dresden und Erfurt testete und entwickelte sie im Rahmen des Projekts „HeatResilientCity“ Maßnahmen für Hitzeanpassung in Städten. 2022 wurde das Projekt mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Forschung ausgezeichnet.

Brennpunkt Stadt

Der Klimawandel heizt unsere Städte immer weiter auf. Dichte Bebauung und fehlende Grünflächen verschärfen das Problem. Wie können wir dafür sorgen, dass die urbanen Lebensräume auch in Zukunft noch bewohnbar sind? Die Meteorologin Astrid Ziemann gibt Antworten im Interview.  

Die deutschen Sommer werden heißer, immer früher im Jahr zeigt das Thermometer 30 Grad. In diesem Jahr schon Anfang April – so früh wie nie zuvor seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Viele freuen sich über das Badewetter. Doch Hitze kann zur großen Belastung werden, vor allem für Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Vorerkrankung. Insbesondere die Bewohner von Städten leiden, erzählt die Meteorologin Astrid Ziemann im Interview. Sie forscht an der TU Dresden zu den Auswirkungen von Hitze – und zu Maßnahmen, die uns helfen können.

Frau Ziemann, stehen deutsche Städte wegen des voranschreitenden Klimawandels vor einem unlösbaren Hitzeproblem?

Astrid Ziemann: Unlösbar ist das Problem sicherlich nicht. Wir haben noch Möglichkeiten und auch Zeit, uns anzupassen. Wir müssen aber jetzt damit beginnen, weil wir schon viele Hitzetage haben. Das ist anstrengend für die Stadtbevölkerung. Und wird sich in der Zukunft verschärfen.

Warum ist die Hitze ein zunehmendes Problem?

Global nimmt die Lufttemperatur zu. Aktuell schon und auch in der Zukunft. Das liegt am menschengemachten Klimawandel, an der menschlich verursachten Emission von Treibhausgasen. Der wirkt sich überall aus, besonders aber in den Städten. Vor allem in der Nacht liegt dort die mittlere Temperatur – je nach Größe der Stadt – um drei bis acht Grad Celsius über der im Umland. So ist während Hitzeperioden kaum mehr an erholsamen Schlaf zu denken.

Woran liegt es, dass es in den Städten fast immer wärmer ist als auf dem Land?

Städte speichern die Hitze besser. Das liegt an der dichten Bebauung und der Speichermasse, die dort durch Infrastruktur und Gebäude vorhanden ist. So sind Städte in der Lage, die Wärme, die tagsüber durch die Sonneneinstrahlung aufgenommen wird, zu speichern und dann in der Nacht freizugeben. Das führt zu höheren mittleren Lufttemperaturen im Vergleich zu den umliegenden Orten und Gemeinden. Das können schon einige Grad sein, in Extremfällen bis zu zehn. In Städten kann man zudem einzelne sogenannte Hitzeinseln entdecken. Die sind vor allem dort zu finden, wo die Stadt besonders dicht bebaut ist, es vielleicht weniger Bäume und Parks gibt. Die Wärme verbleibt nachts im Stadtkörper und wird wegen der schlechten Durchlüftung kaum mit kalter Luft ausgetauscht. Solche städtischen Hitzeinseln sorgen für eine große Belastung der Bevölkerung. Denn in Städten leben mehr Menschen auf dichtem Raum, damit also viele Menschen aus vulnerablen Gruppen, um die wir uns kümmern müssen. Etliche müssen außerdem tagsüber im Freien arbeiten, auf den zahlreichen Baustellen zum Beispiel. Viele sind der Hitze direkt ausgeliefert.

Wer tagsüber im Freien arbeitet, ist der Sommerhitze schutzlos ausgeliefert.

Welche Rolle spielt der Wohlstand? Sind Viertel in denen »ärmere« Menschen leben tendenziell eher von hohen Temperaturen betroffen?

Um unter anderem diese Frage zu beantworten, haben wir uns vor ein paar Jahren den Dresdner Stadtteil Gorbitz, eine Plattenbausiedlung im Südwesten der Stadt, angeschaut, weil hier viele sozial Benachteiligte leben. Viele kommen nicht an die Informationen, wie man sich gezielt vor Hitze schützen kann, oft fehlen auch die finanziellen Mittel, um in ihren Wohnungen entsprechende Maßnahmen durchzuführen. Da sind die Städte gefordert, Hitzeschutz für die gesamte Bevölkerung bereitzustellen, sei es durch Schatten im Freiraum oder andere Anpassungen in den Gebäuden selbst. Und es braucht Sozialarbeitende, die in Hitzeperioden unterwegs sind, die Menschen direkt ansprechen und mit Informationen unterstützen.

Sind wir dem Hitzeinsel-Effekt schutzlos ausgeliefert?

Nein, wir können schon noch verschiedene Maßnahmen ergreifen. Besonders wichtig ist beispielsweise, dass Park- und Grünanlagen öffentlich zugänglich sind. Alle Bewohner einer Stadt sollten die Möglichkeit haben, an solche kühleren Orte zu gelangen.

Meteorolog:innen interessiert dabei weniger die tatsächliche, sondern vor allem die gefühlte Temperatur. Warum ist dieser Wert aussagekräftiger?

Die gefühlte Temperatur hängt von der Sonnenstrahlung, der Wärmestrahlung, Luftfeuchte und vom Wind ab. Das sind die Größen, die bestimmen, welche Maßnahmen gegen Hitze wirksam sind und welche nicht. Bei einem Hitzetag haben wir überall in der Stadt eine ähnliche Lufttemperatur. Was sich tatsächlich aber unterscheidet, ist die Sonneneinstrahlung und der Wind, und damit die gefühlte Temperatur. Wir als Wissenschaftler können das dann mit entsprechenden Daten unterfüttern und so den Entscheidungsträgern eine Priorisierungshilfe geben, welche Gegenmaßnahmen wo helfen könnten.

Was können wir also gegen Hitze machen?  

Wir betrachten dabei verschiedene Zeitskalen: lang-, mittel- und kurzfristige Maßnahmen. Eine langfristige Anpassung wäre zum Beispiel, wenn wir ein Gebäude so ertüchtigen, dass Hitze nicht in den Innenraum gelangen kann. Das gelingt mit guter Dämmung an den Gebäudeaußenwänden und Verschattung aller Fenster, also Rollläden oder Jalousien, wenn möglich ebenfalls außen angebracht. Wenn wir an die kürzeren Zeitskalen denken, sollten wir vor dem Sommer alle Akteure wieder für das Thema Hitze sensibilisieren. In Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und Apotheken sollten Informationen ausgegeben werden mit Empfehlungen, wie sich jeder Einzelne bei Hitze verhalten kann: genug trinken, den Schatten suchen, nur morgens und abends lüften, um die heiße Luft nicht in die Wohnung zu lassen.

Es heißt, Bäume wären immens wichtig für das innerstädtische Klima. Wenn ich aber heute einen Baum pflanze, braucht es Jahrzehnte, bis der gewünschte Kühlungs-Effekt eintritt. Warum sollten wir das dennoch tun?

Ein neu gepflanzter Baum braucht lange, um seine Klimawirksamkeit richtig zu entfalten, das stimmt. Wenn wir heute aber nicht damit anfangen, fällt das uns und unseren nachfolgenden Generationen auf die Füße. Wir profitieren ja heute auch von den Bäumen, die vor Jahrzehnten angepflanzt wurden.

Viele Städte setzen mittlerweile auf Klimaresilienz und Hitzeschutz, wie hier im Volkspark Hasenheide in Berlin. Immer mehr Bäume vertrockneten, nun soll der Park umgebaut werden.

Was können Städte noch machen, um hitzeresilienter zu werden?

Zunächst einmal die Wärmeaufnahme tagsüber verringern, also die Sonneneinstrahlung reduzieren. Das erreichen wir durch Beschattung und die erreichen wir sehr effektiv durch große und großkronige Bäume. Also hier mein Plädoyer: Große, alte Bäume bitte pflegen, stehen lassen und bewässern und dort, wo es möglich ist, Straßenbäume neu anpflanzen. Auch Wiesenflächen sind sehr wichtig und effektiv, denn dort ist die Kühlwirkung nachts besonders groß. Die kühle Luft, die nachts über den landwirtschaftlich genutzten Flächen im Umland entsteht, sollte zudem möglichst ungehindert in die Stadt dringen können. Das bedeutet, wir sollten Luftschneisen, die in den Stadtkern führen, nicht mit großen Häusern den Weg versperren. Häufig liegen Städte in Tälern, die kalte Luft des Umlands würde für wohltuendere Temperaturen sorgen. Wenn allerdings diese Wege blockiert sind, kann die Luft nur erschwert in die Stadt eindringen. In der Stadtplanung sollte das bedacht werden.

Trotz all der Bemühungen: Hilft bald nur noch eine Klimaanlage, um durch den Sommer zu kommen?

Wir versuchen derzeit noch, solche aktiven Kühlungen zu vermeiden. Denn Klimaanlagen verbrauchen viel Energie, außerhalb der Gebäude sorgen sie damit für wärmere Luft. Sie verlagern das Problem also nur. Wir setzen derzeit noch auf passive Kühlungsmethoden, wollen also die Wärme gar nicht erst in den Innenraum lassen. Es ist trotzdem zu befürchten, dass mittelfristig Klimaanlagen angebracht werden müssen, zumindest im Bereich von Pflegeeinrichtungen beispielsweise.

Was würde denn passieren, wenn wir den Klimawandel einfach stoisch hinnehmen würden?

Unsere Städte wären sicherlich nicht mehr so lebenswert, wie wir das kennen. Wir hatten jetzt Jahrhundertsommer wie zum Beispiel 2018 mit mehr als 6.000 Hitzetoten allein in Deutschland. Die Lage würde sich weiter verschärfen. Wenn ich an 2018 denke, hatten wir da eine Anzahl an heißen Tagen, die schon zum Ende dieses Jahrhunderts im Mittel noch ein ganzes Stück übertroffen werden. Die Arbeitsproduktivität ginge nach unten, das Gesundheitswesen würde belastet. Auch diese gestiegenen Kosten müssen wir einrechnen.

Damit es nicht so kommt, tüfteln Wissenschaftler:innen an kreativen Lösungen. Forscher:innen der US-Universität Purdue haben zum Beispiel eine weiße Fassadenfarbe entwickelt, die künftig Klimaanlagen ersetzen können soll. Könnte so etwas nützlich sein?

Vor einigen Jahren gab es Versuche in Los Angeles, Straßen weiß zu streichen. Grundsätzlich ist das ein interessantes Thema. Wir haben in unserer Forschung jedoch festgestellt, dass durch diese stark reflektierenden Fassaden und Wege tagsüber die Wärmebelastung der Menschen im Außenraum erhöht wird. An Häuserwänden haben wir beispielsweise eine um vier Grad erhöhte gefühlte Temperatur gemessen. Für Orte, an denen viele Menschen unterwegs sind, ist das also keine geeignete Methode. Innenräume hingegen können so schon abgekühlt werden, weil die Hitze draußen verbleibt. Solche Farben sind ein gutes Beispiel dafür, dass es für dieses komplexe Problem keine einfachen Antworten gibt. Es muss immer bewertet werden, wann und wo bestimme Maßnahmen sinnvoll sind. Da können Wissenschaftler mit ihrer Wirksamkeitsbewertung helfen.

Das Projekt Ecostress macht die schwankenden Temperaturen in Los Angeles sichtbar. Besonders dabei ist, dass die Oberflächentemperatur gemessen wird und nicht die Lufttemperatur, die normalerweise von Wetterstationen gemeldet wird.

Gibt es denn so etwas die »die wirksamste Maßnahme«?

Es kommt immer darauf an für welche Tages- und Nachtzeit. Und auch, ob sich an einem Ort viele Leute aufhalten oder nicht. Wir haben festgestellt, dass im Außenraum vor allem Bäume wirksam sind, weil Bäume maximal beschatten und damit die gefühlte Temperatur um bis zu zehn Grad verringern. Bäume haben noch viele weitere günstige Eigenschaften. Dort wo sie angepflanzt werden, kann das Regenwasser lokal versickern und vorgehalten werden, das hilft auch bei starkem Regen.

Auch Starkregen ist eine Folge des Klimawandels. In der Klima-Forschung ist immer wieder von sogenannten »Schwammstädten« die Rede. Worum geht es dabei?

Der Niederschlag soll lokal gesammelt und wie in einem Schwamm vorgehalten werden, um die Entwässerungssysteme der Stadt zu schonen und dafür zu sorgen, dass das Wasser über die Zeit verteilt der Vegetation zugutekommt. Bäume oder Wiesen sind natürlich nur dann wirksam, wenn sie auch in Trockenperioden genügend Wasser zur Verfügung haben und nicht absterben. Eine Schwammstadt hat diese Fähigkeit. Das gelingt mit verschiedenen Vorhaltesystemen, die man baulich schaffen muss. Beispielsweise sogenannte Baumrigolen, also Mulden, die errichtet werden und mit Wiesen und Bäumen bewachsen sind. Wenn ich aber eine versiegelte Fläche habe, fließt der Niederschlag in die Kanalisation ab und belastet dieses System. Und dann ist das Wasser weg.

In den vergangenen Jahren wurden auch Häuserfassaden begrünt. Ist das eine effektive Maßnahme oder schaut das nur schön aus?

Generell ist sämtliches Grün in der Stadt positiv, im Übrigen nicht nur bei Hitze. Es hilft beim Regenwasserrückhalt, bei der Verringerung von Effekten durch Starkregen und der Filterung von Luftschadstoffen. Fassadengrün oder begrünte Dächer haben allerdings bezüglich Wärme eine begrenzte Wirkung. Im Innenraum kann das Grün vor allem in alten Gebäuden, die nicht besonders gut gedämmt sind, die Temperatur reduzieren, sonst fällt der Effekt deutlich geringer aus, ist aber immer noch messbar.

Wien ist in Europa eine der Großstädte, die den Klimawandel besonders extrem zu spüren bekommen. Trotzdem hat die Stadt Wege gefunden, mit der Hitze zurechtzukommen. Warum gelingt das dort?

Es ist häufig so, dass man handelt, wenn der Druck da ist. Das sieht man auch im internationalen Vergleich gerade dort, wo die Hitzebelastung schon länger ein Thema ist. In Wien stimmt das Netzwerk innerhalb der Stadtverwaltung. Die verschiedenen Abteilungen interagieren sehr gut und stimmen sich ab, um dann relativ schnell Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Die Stadt hat beispielsweise einen Hitzeaktionsplan aktiv geschaltet. Es gibt eine App, die den Bewohnern kühle Orte vorschlägt, es gibt Trinkbrunnen und verschattete Sitzbereiche. Hier können sich etliche Städte in Deutschland ein Beispiel nehmen.

Gibt es Städte, die geografisch einen Nachteil haben oder anderweitig besonders betroffen sind?

Generell spielt die geografische Lage eine große Rolle. Für Deutschland ist ein gutes Beispiel Stuttgart, was durch seine Tallage nicht nur bezüglich Hitze großen Belastungen ausgesetzt ist, sondern auch bei Luftschadstoffen. Die Stadt liegt im Windschatten des Schwarzwaldes und der Schwäbischen Alb. Das Zentrum liegt in einem Talkessel mit einem Höhenunterschied von circa 300 Metern zu den Randlagen. Deshalb dominieren in der Innenstadt windschwache und austauscharme Bedingungen. Das führt dann zu der vergleichsweise hohen Wärmebelastung. Die Städte im südwestlichen Raum, in denen die mittlere Lufttemperatur im Sommer etwas höher ist, sind in Sachen Hitzeschutz viel weiter als Städte im Norden. Aktive Hitzeaktionspläne gibt es in Würzburg, Mannheim, Köln. Das wird sich sicherlich in die anderen Regionen ausrollen, weil das Problem Hitze in absehbarer Zeit überall auftreten wird.

Kann der Einzelne überhaupt etwas gegen das Hitzeproblem ausrichten?

Natürlich, es gibt ja entsprechend viele Initiativen in der Bürgerschaft und in Vereinen, die sich für solche Klimanetzwerke in den eigenen Städten engagieren. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, wirksam zu werden, zum Beispiel mit Baum- und Gießpatenschaften oder in Nachbarschaftsvereinen, die eine wichtige Unterstützung vulnerabler Gruppen während Hitzeperioden sein können. Und es gibt ja auch die Bürgerwissenschaft, wo man sich an Projekten beteiligen kann und zum Beispiel mit einem Smartphone die Temperatur messen und sie einspeisen kann in Messnetzwerke und Forschungsprojekte. Das hilft uns in der Forschung und auch dabei, in Städten lokale Hitzeinseln zu lokalisieren. Und so lernen wir, wo wir dringend aktiv werden sollten.

Erschienen am 12. Juli 2024

Newsletter

Jeden Monat ein Thema. Unseren Newsletter kannst du hier kostenfrei abonnieren:

Thema
Hitze

Text
Fabian Müller

Bild
Leonard Baier

Astrid Ziemann ist promovierte Meteorologin und forscht seit 1996 zunächst an der Universität Leipzig, seit 2011 als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Meteorologie der Technischen Universität Dresden. Sie beschäftigt sich vor allem mit dem Stadtklima und der Wärmebelastung des Menschen. In Dresden und Erfurt testete und entwickelte sie im Rahmen des Projekts „HeatResilientCity“ Maßnahmen für Hitzeanpassung in Städten. 2022 wurde das Projekt mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Forschung ausgezeichnet.