Eine Große Grüne Mauer gegen die Dürre
Elf afrikanische Länder wollen einen Baumgürtel quer über den Kontinent spannen, fast 8.000 Kilometer lang. Eines davon ist Burkina Faso. Die Bevölkerung dort kämpft schon lange gegen die Ausbreitung der Wüste. Doch das Wasser wird immer knapper, die Dürren länger und vielerorts fehlt das Geld. Wie können die Menschen ihre Heimat retten?
In der sengenden Mittagshitze, bei über 40 Grad, schlägt der Bauer Gueswendé Zoungrana mit seiner Spitzhacke auf die knochenharte Erde ein. Sobald er ein paar Brocken gelöst hat, schiebt er sie mit den Händen zur Seite. Die staubige Erde hat sie hellbraun gefärbt, genau wie seine Hose, seine Füße und Sandalen. Der 48-Jährige wurde von der Bevölkerung seines Dorfes Gasma in Burkina Faso zum Entwicklungsbeauftragten gewählt. Er versprüht eine Leichtigkeit, als müsse man nur anpacken, und alle Probleme ließen sich lösen. Gerade führt Zoungrana vor, wie man Halbmonde anlegt, um degenerierte Böden wieder fruchtbar zu machen: Die halbmondförmigen Vertiefungen sind eine alte landwirtschaftliche Technik, die immer weiter verbessert wird. Sie werden quer zur Neigung eines Hanges gegraben, um das abfließende Wasser zu sammeln. Sie haben einen Durchmesser von etwa vier Metern, sind rund 20 Zentimeter tief und von einem Erdwall umgeben.
Regenwasser aufzufangen, wird in Gasma und anderen Orten Burkina Fasos immer wichtiger. Infolge des Klimawandels werden Wetterextreme häufiger: Auf lange, extreme Trockenphasen folgen oft Starkregenereignisse. Die ausgetrockneten Böden können das Wasser kaum aufnehmen, ein Großteil fließt ungenutzt ab, spült womöglich noch die wertvolle obere Erdschicht weg. Burkina Faso gehört zu den Sahelstaaten, also den Ländern am Südrand der Sahara. In dieser Übergangszone zwischen der Wüste im Norden und der Trockensavanne im Süden sind die Temperaturen ganzjährig hoch. In diesem Jahr wurde die Region zwischen Ende März und Anfang April auch noch von einer extremen Hitzewelle getroffen. In Burkina Faso erreichten die Temperaturen mehr als 45 Grad Celsius, in Kayes in Mali wurden bis zu 48,5 Grad gemessen. Die Forschungsgruppe World Weather Attribution (WWA) bezeichnete Hitzewellen in einer Studie zu den jüngsten Temperaturrekorden als »wohl die tödlichste Art von Extremwetterereignissen«. Für die jüngste Hitzewelle in Westafrika und der Sahelregion machen die Forscher:innen den menschgemachten Klimawandel verantwortlich.
Dass der Regen manchmal sogar jahrelang ausbleibt, ist im Sahel nichts Neues. Verheerende Dürren in den 1970er und 1980er Jahren forderten schätzungsweise 100.000 Tote durch Hunger, Unterernährung und Krankheiten. Ab den 1990er Jahren erholten sich die Niederschlagsmengen, ohne jedoch das Niveau vor der »Großen Dürre« in den 1970er und 1980er Jahren zu erreichen. Und vor allem: Der Regen ist immer ungleichmäßiger verteilt, extreme Trockenzeiten und Hochwasserkatastrophen werden häufiger. Um den Auswirkungen des Klimawandels möglichst entgegenzuwirken, bleibt den Menschen im Sahel nichts anderes übrig, als neue Strategien zu entwickeln – oder alte wiederzuentdecken.
Beim Graben der Löcher hält der Bauer Gueswendé Zoungrana immer wieder inne, richtet sich auf und erklärt, was er macht. »Jetzt zeige ich noch, wie man Zaï gräbt«, kündigt er an. Außer ihm ist kaum noch jemand in der Sonne, stattdessen sind alle Plätze unter den Karité- und Mangobäumen besetzt, die locker gestreut um das Dorf herum wachsen: Menschen, Ziegen, Schafe, Esel und Rinder – alle drängen sich unter den Kronen, passen auf, dass kein Körperteil über die dunkle Schattenlinie hinausragt.
Wie die Halbmonde sind auch die Pflanzgruben namens Zaï eine traditionelle landwirtschaftliche Technik, die im Laufe der Zeit verbessert wurde. Zoungrana gräbt jetzt eine kleinere Grube. Zaï haben einen Durchmesser von bis zu 30 Zentimetern, sind zehn bis 20 Zentimeter tief und werden in einem Abstand von 60 bis 80 Zentimeter angelegt. So ergeben sich etwa 10.000 Pflanzgruben pro Hektar. In der Trockenzeit legen Zoungrana und die anderen Bäuerinnen und Bauern etwa zwei Handvoll organisches Material aus Tierdung oder Ernteabfall in die Gruben. Darauf bringen sie das Saatgut aus, sobald der erste Regen fällt. Der Dung oder Kompost in den Vertiefungen zieht Termiten an, die den Untergrund durchwühlen und das Eindringen von Regenwasser erleichtern. Auch die Zaï-Gruben haben sich schon während der Dürren seit den 1980er Jahren bewährt.
Rund 50 Straßenkilometer von Zoungrana entfernt arbeitet Awa Nabole für dasselbe Ziel, nur mit etwas anderen Methoden. Nabole, die Ende 30 ist, hat sich die Samen von Moringa-Bäumen auf die linke Handfläche gelegt, mit der anderen Hand legt sie Samenkorn für Samenkorn behutsam in eine Mischung aus Kompost und Sand, die sie vorher in kleine Plastiktütchen gefüllt hat. Nabole arbeitet im Schatten einer einfachen Holzkonstruktion, die mit Stroh gedeckt ist. Sie achtet darauf, dass auch die Pflanztütchen alle im Schatten stehen. Die Sonne würde die Setzlinge verbrennen, sobald sie aus der Erde kommen, und die Erde in den Pflanzbeutelchen unnötig austrocknen. Nabole gehört zu einer Kooperative von 62 Frauen, die gemeinsam mehrere lokale Baumarten ziehen, darunter Akazien, Moringa-Bäume und Wüstendatteln. Inmitten von Anbau- oder Weideflächen haben Bäume den Vorteil, dass ihr Schatten die Erde und Feldfrüchte vor Austrocknung schützt, und dass ihre herabfallenden Blätter und Früchte die Bodenqualität verbessern. Außerdem brechen Bäume, Büsche und Hecken den Wind, vermindern Erosion. Die Setzlinge ziehen Nabole und ihre Kolleginnen für den Verkauf. Auf einer baumbestandenen Fläche, die sie gemeinschaftlich nutzen, fallen die vielen Schattenplätze auf: strohgedeckte Holzkonstruktionen oder Tücher, die zwischen Bäumen gespannt sind. Über manchen Setzlingen hängen dichte Moskitonetze, die sie von der Sonne wenigstens etwas abschirmen. Andere Setzlinge haben die Frauen mit Stroh bedeckt, um sie so vor den Strahlen zu schützen.
Die Samen sammeln Nabole und die übrigen Mitglieder ihrer Kooperative in einem Stück Buschland mit dichtem Baumbewuchs, das an ihre kleine Baumschule grenzt. Den »Wald«, wie Nabole die Fläche nennt, haben sich die Frauen vor rund zwanzig Jahren selbst geschaffen. »Wir hatten bei anderen Frauen gesehen, wie praktisch so ein Wald ist«, erzählt Nabole. Denn die Bäume können zu zusätzlichem Einkommen verhelfen: Ihre Blüten ziehen Bienen an, die Frauen können den Honig sammeln und verkaufen. Im Wald wachsen einige Medizinalpflanzen, die sich ebenfalls verkaufen lassen. Aus Samen, die sie im Wald sammeln, können sie Setzlinge ziehen, die sie entweder selbst auf Feldern und in Gärten nutzen oder ebenfalls verkaufen können. »Deshalb haben wir unsere Männer um Land gebeten, um uns auch einen Wald anzulegen«, erzählt Nabole. Sie hätten eine nackte und unfruchtbar gewordene Fläche zugewiesen bekommen, die niemand mehr haben wollte. Die Frauen zäunten sie mit Dornenbüschen ein, um die nachwachsende Vegetation vor Ziegen und anderen Tieren zu schützen, und warteten ab, was sich entwickeln würde. Und das war einiges: Vor Viehverbiss geschützt und sich selbst überlassen, kam der Bewuchs zurück.
Seitdem hilft der Wald den Frauen buchstäblich beim Überleben, weil er ihnen zusätzliches Einkommen verschafft. Ein Großkunde für die Setzlinge kam vor einigen Jahren dazu: die Regierung von Burkina Faso. Denn die beteiligt sich seit rund zehn Jahren an einem utopisch klingenden Megaprojekt: der »Großen Grünen Mauer« durch den Sahel. Auf den Weg gebracht hat das Projekt schon 2007 die Afrikanische Union, ein Zusammenschluss der Staaten des Kontinents. Es sollte den Vormarsch der Wüste Sahara stoppen und das Überleben der Menschen im Sahel trotz der Klimakrise ermöglichen. Dafür sollte bis zum Jahr 2030 ein Gürtel aus Bäumen quer durch den Sahel gepflanzt werden, 15 Kilometer breit und fast 8.000 Kilometer lang – eine Fläche von rund 100 Millionen Hektar. Zunächst schlossen sich elf Länder an, später kamen zehn weitere dazu. Schnell wurde klar, dass viel zu wenige Setzlinge überleben, und dass im Sahel nicht nur Bäume gebraucht werden, sondern eine Vielfalt an Ökosystemen. Das Konzept des Projektes wurde im Laufe der Jahre angepasst. Nun soll auf der Trasse der Großen Grünen Mauer ein Mosaik aus Grünflächen und wiederhergestellten Ökosystemen entstehen, die von der Bevölkerung nachhaltig genutzt werden können. In vielen Regionen wird aufgeforstet, mancherorts erhalten, was ohnehin wächst. Anderswo werden Flächen eingezäunt, damit sich Buschland regeneriert. Und verarmte Böden werden wieder fruchtbar gemacht, Acker- und Weideland zurückgewonnen.
Das ist vor allem in Burkina Faso das Ziel. »Wir kümmern uns zunächst um die Böden, die am stärksten degradiert sind«, erklärt Roch Pananditigri, »das sind landesweit etwa zwei Millionen Hektar«. Diese besonders betroffenen Flächen seien knochenhart und unfruchtbar geworden. Der Förster Pananditigiri koordiniert das Projekt im Auftrag der Regierung: ein nahbarer und zupackender Mann Mitte 50, der jetzt mit einer Baseballkappe auf dem Kopf, einem kurzärmeligen Hemd und einer beigen und taschenreichen Arbeitsweste zwischen den Frauen der Kooperative von Laye steht. Insgesamt sind in Burkina Faso nach UN-Angaben bereits neun Millionen Hektar Land degradiert, also nur noch sehr eingeschränkt fruchtbar – ein Drittel des gesamten Landes. Jedes Jahr gehen nach Schätzungen 360.000 weitere Hektar für die Vieh- und Landwirtschaft verloren. Durch die größere Hitze trocknen Böden schneller aus, das setzt sie noch stärker der Winderosion aus, die nährstoffreiche Schichten abträgt. Außerdem werden viele Flächen durch ein starkes Bevölkerungswachstum übernutzt. Dem Boden werden mehr Nährstoffe entzogen, als er wieder aufbauen oder ihm von außen zugeführt werden kann.
Pananditigiri ist an diesem Morgen die gut 50 Kilometer aus der Hauptstadt Ouagadougou nach Boussé gekommen, um sich einen Eindruck von der gegenwärtigen Produktion der Frauen zu machen: Für die Aufforstung in der kommenden Regenzeit will das Projekt hier tausende Setzlinge kaufen. Pananditigiri hat mit geübtem Blick schnell einen Eindruck davon bekommen, wie viele der Setzlinge hier dafür in Frage kommen. »Etwa 7.000«, glaubt er. Die anderen seien noch zu klein oder zu schwach, »dann ist das Risiko zu hoch, dass sie nach dem Pflanzen eingehen«. Seine Teams werden wiederkommen und die Details aushandeln, die übrigen Setzlinge bei anderen Produzierenden kaufen. Für die Frauen lohnt sich das Geschäft mit den Setzlingen und dem Honig: In guten Monaten verdiene jede etwa 100.000 westafrikanische Francs, sagt Nabole. Das sind umgerechnet etwa 150 Euro und in Dörfern wie Boussé ein gutes Einkommen.
Zurück zum Bauern Gueswendé Zoungrana, der in der Mittagshitze Halbmonde gräbt. Ein paar Millionen Hektar so zu bearbeiten, würde viele Jahre dauern. Hier kommen Roch Pananditigiri und das Projekt der Großen Grünen Mauer ins Spiel. Weil Zoungrana der Entwicklungsbeauftragte seines Dorfes ist und weil das Dorf im Rahmen des Projektes der Großen Grünen Mauer unterstützt wird, sind der Förster und der Bauer regelmäßig in Kontakt. Pananditigiri zeigt auf tiefe Furchen in einer ansonsten knochenharten Parzelle, auf der Zoungrana mit der Spitzhacke schuftet. Die Furchen habe ein Traktor im Rahmen des Grüne-Mauer-Projektes mit dem Pflug gezogen, erklärt Pananditigiri. Dafür werden spezielle Pflüge eingesetzt, die in den harten Böden Halbmonde ausheben. Mit ihrer Muskelkraft können 100 Bauern einen Hektar am Tag bewältigen. Ein Traktor mit dem so genannten Delfino-Pflug bewältigt nach Angaben der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO am Tag bis zu zwanzig Hektar.
Pananditigiri und Zoungrana haben sich unter einen großen Karité-Baum gesetzt. Sein Dorf arbeite schon seit mehr als zwei Jahren mit der Initiative der Großen Grünen Mauer zusammen, sagt Zoungrana. »Wir haben davon sehr profitiert. Sehen Sie den Brunnen da drüben? Den haben wir dank des Projektes bekommen.« Gerade sind viele Frauen damit beschäftigt, am Brunnen Wasser zu holen, um ihre Gemüsegärten zu bewässern. Die Mittagshitze ist dafür nicht die beste Tageszeit, weil viel Wasser sofort verdunstet. Aber morgens und abends hätten die Frauen – die im Sahel meist für das Ziehen von Gemüse zuständig sind – andere Pflichten im Haushalt, erklärt Zoungrana. Der Brunnen sei 80 Meter tief, ergänzt Pananditigiri. Noch vor wenigen Jahren reichten 13 Meter, doch mittlerweile fallen diese Wasserstellen häufig trocken.
»Außer dem Brunnen haben uns die Schulungen sehr geholfen, die wir bekommen haben«, meint Zoungrana. So habe er unter anderem gelernt, wie man Zaï und Halbmonde anlegt. Im vergangenen Jahr habe er auf seinem Sorghum-Feld die Zaï-Technik angewandt, der Ertrag habe sich verdreifacht. Die Erfahrungen der übrigen Dorfbewohner seien ähnlich, auch die Maisfelder gäben mehr her. »Die Große Grüne Mauer ist einfach – wow!«, schwärmt Zoungrana. Panditigri strahlt, er freut sich über Zoungranas Begeisterung. Er selbst ist in seiner Bilanz etwas nüchterner. Von den zwei Millionen Hektar, die in Burkina Faso besonders stark degradiert sind, hätten sie bisher gerade mal 81.000 bearbeitet. »Es bleibt also noch viel zu tun«, stellt er sachlich fest. »Wie gut wir vorankommen, liegt nicht zuletzt daran, wie viel Geld wir mobilisieren können.«
Finanziert wird das Projekt der Großen Grünen Mauer von jeder der beteiligten Regierungen, aber auch von vielen internationalen Geber:innen und unterschiedlichen UN-Organisationen. Das gesamte utopisch klingende Megaprojekt liegt weit hinter seinen Zielen zurück. Laut einer UN-Studie von 2020 wurden in allen Ländern zusammen zu diesem Zeitpunkt erst 18 Prozent der angestrebten 100 Millionen Hektar wiederhergestellt, wobei die Fortschritte in den unterschiedlichen Ländern verschieden groß sind. Von der UNO werden die Gesamtkosten für die Große Grüne Mauer auf bis zu 40 Milliarden Dollar geschätzt. Bei solchen Summen liegt die Frage nahe, ob sich der Aufwand lohnt. Wissenschaftler:innen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn sind der Frage nachgegangen. Ihr Fazit, veröffentlicht Ende 2021: Trotz aller Schwierigkeiten sei die Investition wirtschaftlich sinnvoll. Allerdings drohten die vielen bewaffneten Konflikte den Erfolg des Projekts zu gefährden.
Auf die Frage nach der Zukunft des Projektes wird selbst der Bauer Zoungrana erst einmal still. »Der Gedanke daran ist tatsächlich beunruhigend«, räumt er dann ein. Der reine Regenfeldbau werde zum Überleben nicht mehr ausreichen. »Wir müssen Regenwasser auffangen, damit die Menschen ganzjährig etwas anbauen können.« Wenn das gelingen würde, hätten auch die jungen Leute etwas zu tun und wären nicht gezwungen, sich anderswo Arbeit zu suchen. Ohne ausreichend Wasser wird es unmöglich sein, bei steigenden Temperaturen im Sahel künftig zu überleben. Lösungsansätze gibt es genug. Den Menschen im Sahel fehlt vor allem das Geld, sie umzusetzen.
Erschienen am 12. Juli 2024
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