In Österreich schießen Forscher mit Lasern auf Ionen. Mit ihrem Quantencomputer wollen sie Phänomene simulieren, die sonst nicht berechnet werden könnten.

Text:
Beatrice Latz

Bild:
Thomas Dashuber

Christine Maier und Christian Roos stehen in einem Labor in Innsbruck vor Lasern, einem Gewirr aus Kabeln und einer großen Frage der Chemie: Wie lässt sich die Energie des Grundzustands eines Moleküls berechnen? Um die Frage beantworten zu können, haben sie sich das einfachste Molekül als Versuchsobjekt ausgesucht – aber das ist schon kompliziert genug, denn es geht um Quanten und wie sie zur Simulation komplexer Fragestellungen genutzt werden können.

Molekularer Wasserstoff ist eigentlich ganz einfach aufgebaut: Er hat zwei Atomkerne und zwei Elektronen, welche jedoch den Gesetzen der Quantenmechanik folgen. Das bedeutet, dass die Elektronen sich nicht auf vorgegebenen Bahnen um die Kerne bewegen. Als Quanten besitzen sie die Eigenschaft von Wellen und überlagern sich: Zwei Quanten können sich so zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufhalten. Zudem können sie verschränkt sein. Das bedeutet, dass die Teilchen über beliebige Distanzen miteinander wechselwirken. Der Zustand eines Teilchens beeinflusst sogleich den Zustand des anderen.

Christian Roos und Christine Maier stellen am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) Ionenfallen auf und simulieren mithilfe eines Algorithmus eine der zentralen Frage der Chemie.

Herkömmliche Computer, die mit dem Binärcode rechnen, also den Werten 0 und 1, können nicht exakt berechnen, wie sich die Quanten und damit das Molekül verhalten. Übersetzt man die Welleneigenschaft auf das Bild des Binärcodes, bedeutet dies, dass Quanten jede beliebige Zahl zwischen 0 und 1 annehmen können – durch die Überlagerung gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Für den Computer ist diese Berechnung sehr komplex, zu viele Rechenoperationen werden benötigt. Der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman schlug daher in den 1980er Jahren vor, den Zustand von Quanten mit Hilfe anderer Quanten zu simulieren und so zu berechnen.

Am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI) in Innsbruck versuchen Christine Maier und Christian Roos, den energieärmsten Zustand im molekularen Wasserstoff anhand von Ionen zu simulieren. Damit dies klappen kann, übertragen sie mit einem Algorithmus die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen im Wasserstoffmolekül auf die Eigenschaften von Calcium-Ionen. Das Gewirr aus Kabeln, optischen Bauteilen und Lasern, vor dem die Wissenschaftler stehen, ist ein sogenannter Ionenfallen-Quantencomputer, der den Energiezustand am Ende berechnet.

 

Am Anfang werden in einer Vakuumkammer magnetische und elektrische Felder aufgebaut, die wie Fallen funktionieren und die Calcium-Ionen festhalten. Die Ionen selbst müssen auf eine Temperatur von minus 273 Grad Celsius runtergekühlt sein, durch Wärme könnten sie aus der Falle entweichen. Von außen sieht man nicht viel, darum erklärt Christine Maier: „Diese elektrisch geladenen Quantenteilchen sind wie auf einer Perlenkette aneinandergereiht und schwingen gemeinsam hin und her. In diesem Zustand können wir sie kontrolliert miteinander verschränken und für unsere Rechenoperationen nutzen.“

Mit Laserstrahlen werden Kalziumionen bestrahlt – dafür müssen sie zuerst in einer besonderen Vorrichtung gebündelt werden.

Damit der Quantencomputer mit den Ionen rechnen kann, manipuliert Laserlicht die Ionen und kodiert sie dadurch: Im Zustand niedrigster Energie hat das Ion den Wert 0. Durch die Anregung mit Hilfe des Lasers erhält es beispielsweise den Wert 1. Eine beliebige Überlagerung zwischen angeregtem und energieärmstem Zustand besitzt dann einen Wert zwischen 0 und 1.

Während Computer Rechenaufgaben von Bit zu Bit weitergeben, rechnet der Quantencomputer mit allen Quanten-Bits zur gleichen Zeit – kein herkömmlicher Computer kann das. Er rechnet daher nicht nur mit der Summe aller Teilchen, sondern mit unendlich vielen Kombinationen ihrer Überlagerungen zur gleichen Zeit.

Dank der Überlagerung der Quanten kommt der Computer zu seiner herausragenden
Rechenleistung. Gleichzeitig liegt genau darin die größte Herausforderung.

Maier und Roos ist es so gelungen, die Grundzustandsenergie des Wasserstoffmoleküls und zusätzlich jene für Lithiumhydrid zu simulieren. Mit einem herkömmlichen Computer können sie das Ergebnis vergleichen, da für solch kleine Moleküle noch gute mathematische Nährungen möglich sind. Was das Team aus Innsbruck dadurch erreicht hat, untermauert vor allem das große Potenzial dieser Methode: „Die simulierten Werte sind unerwartet gut mit klassischen Ergebnissen vergleichbar“, sagt Christian Roos. „Dennoch muss man sie als Demonstration der Möglichkeiten werten. Bis zur Berechnung unverstandener chemischer Prozesse ist es noch ein weiter Weg.“

Auch der Weg, den sie schon zurückgelegt haben, ist lang. Christian Roos erinnert sich noch daran, als im Innsbrucker Labor das erste Calcium-Ion gefangen wurde. Das war 1998. „Früher brauchten wir einen ganzen Tag, um eine Messung vorzubereiten. Heute ist nach zwei Stunden das Quantensystem rechenbereit, die Ionen sind räumlich fixiert und wir können sie mit Laserlicht manipulieren“, sagt Roos und lächelt. „In Zukunft werden sich noch einige Probleme mit solchen Experimenten und den passenden Quantenalgorithmen lösen lassen – auch außerhalb der Chemie“, ergänzt Maier.

Einen weiteren Schritt in Richtung Zukunft haben die Wissenschaftler mit der Simulation der sogenannte „Schwinger-Paarbildung“ gemacht. Sie sagt voraus, dass in starken elektrischen Feldern Teilchen mit Masse erzeugt werden können – und zwar aus einem Photon, einem Lichtteilchen. Aus Licht entsteht also Materie. Dieser Prozess spielt unter anderem bei der Explosion von Sternen und an der Oberfläche von schwarzen Löchern eine Rolle. Christian Roos war überrascht, wie gut sich der Schwinger-Prozess simulieren ließ: „Während wir für die Berechnung des molekularen Wasserstoffs nur zwei Ionen als Quanten-Bits verwendeten, erweiterten wir die Rechnung zunächst auf vier, dann auf acht und schließlich auf zwanzig Ionen.“

Zeitmaschine: In Zukunft soll der Quantencomputer berechnen können, wie aus Lichtteilchen Masse entsteht.

Doch bei den Ionen liegt gleichzeitig auch das Problem: Ist ein Fehler im System, verbreitet er sich schnell, da sich die Eigenschaften der Quanten ja überlagern und sie miteinander verschränkt sind. Insbesondere die Erweiterung des Versuchsaufbaus durch Hinzufügen von Ionen macht das System störanfällig. Einerseits verleiht der kontrollierte Einsatz von Überlagerung und Verschränkung den Quantencomputern ihr unglaubliches Leistungsvermögen, andererseits stellt er die derzeit größte Herausforderung für die Forschenden dar.

Die Überlegenheit der Quantencomputer über Hochleistungsrechner könnte dennoch bereits in naher Zukunft bei speziellen Aufgaben erreicht werden. „Nehmen wir beispielsweise das von uns untersuchte Problem aus der Chemie. Um kompliziertere Moleküle besser simulieren zu können als konventionelle Computer, bräuchte es mindestens 50 Ionen“, sagt Maier. Denn so wie ein Computer mit mehr Bits eine höhere Leistung erbringt, rechnet ein Quantencomputer besser mit mehr Quanten-Bits. Sollte diese Überlegenheit erreicht werden, steht das Forschungsfeld vor einem weiteren Rätsel. Der Quantencomputer würde zu einer „Blackbox“, deren Ergebnisse nur schwer nachvollziehbar sind. Für Christian Roos ist die entscheidende Frage: „Wie bewerten wir die Ergebnisse, wenn sie nicht mehr mit klassischen Rechnungen verglichen werden können? Wie stark vertrauen wir also den Ergebnissen, die ein Quantencomputer liefert?“

 

Text:
Beatrice Latz

Bild:
Thomas Dashuber