Scharfkantig, metallisch versus blumig, flauschig – jeden Tag ärgert sich die Design-Theoretikerin Uta Brandes über Design, das Geschlechterstereotype transportiert. Ihr Traum: eine fluide Gestaltung.

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Jochen Overbeck

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David Carreno Hansen

Uta Brandes, Jahrgang 1949, war von 1995 bis 2015 Professorin für Gender und Design und für Designforschung an der Köln International School of Design. Sie schrieb zahlreiche Bücher, darunter das Standardwerk »Gender und Design – Streifzüge zwischen Theorie und Empirie«. Zuvor arbeitete sie in den verschiedensten Bereichen: So beschäftigte sie sich als Soziologin unter anderen mit den Arbeitsverhältnissen von Industriearbeiterinnen am Fließband. Von 1973 bis 1982 war sie Herausgeberin der »zweitschrift«, einer experimentellen Zeitschrift für Kunst, Literatur, Musik, Architektur und Design. Uta Brandes lebt in Köln.

 

Ein Nassrasierer, der wie die Göttin der Schönheit heißt. Kinderkleidung, die streng nach Geschlechtern getrennt wird. Aber auch: Frauen, die bei so elementaren Erfindungen wie Crash Test Dummies übergangen werden. Wenn die Themenkomplexe Gender und Design zusammenkommen, kracht es. Das wäre gar nicht nötig, sagt Uta Brandes. Die 73-Jährige forscht seit den 80er-Jahren zum Thema Gender-Design. Ihr Traum: ein fluides Design, das die Nutzerinnen selbst auf ihre Bedürfnisse zuschneiden können. Ein Anruf in Köln.

Frau Brandes, wie oft ärgern Sie sich über Design, das Stereotypen transportiert oder das offenbar nicht auf seine Benutzerinnen zugeschnitten ist?
Eigentlich jeden Tag! Heute war ich noch nicht draußen, in meiner Wohnung gibt es zum Glück so gut wie kein Design, das mich ärgert – doch: eine Obstpresse, die so laut ist und so mühselig zu reinigen, dass ich sie nie benutze. Draußen fängt es mit den banalsten Sachen an. Man muss nur auf die Billboards an den Straßenbahnhaltestellen gucken, vieles ist immer noch erstaunlich blöd. Jetzt gibt es gerade eine etwas fülligere, aber natürlich trotzdem schöne Frau, die für BHs Werbung macht. Es ist ihr Oberkörper zu sehen, sehr üppig, und dann streicht sie sich darüber und guckt kokett mit ihren langen Haaren über die Schulter. Das ist richtig Fifties, Sixties, Seventies, aber wirklich nicht für das neue Jahrtausend geeignet.

Und wann dachten sie zuletzt: Das ist gutes, gender-sensibles Design!
Ich freue mich immer über das, was die wunderbare Jessica Walsh anstellt! Eine junge Frau, die eine erfolgreiche Agentur besitzt und für Unternehmen wie Google und Apple arbeitet und die sich explizit als Feministin bezeichnet. Sie hat die Initiative »Ladies, Wine & Design« mit ins Leben gerufen (die sich für mehr Vielfalt in der Designwelt einsetzt, die Red.) und macht neben ihren Agenturarbeiten witzige, manchmal auch bösartige Poster. Oder T-Shirts mit Aufschriften wie: »I ain’t no pussy«, »I’m tired of your shit«; oder »Women shall not be told how to act, speak, or behave (period)«. Feminismus ist ja immer noch ein Begriff, den viele Designerinnen nicht in den Mund nehmen, wenn sie einen Auftrag wollen. Schön zu sehen, dass das möglich ist – auch, wenn es nicht um das große Geld geht!

Sie haben ihr Studium in Anglistik, Politische Wissenschaften, Soziologie und Psychologie begonnen, als die Studentinnenbewegung in vollster Blüte stand. Wie waren die Begriffe Design und Gender damals besetzt?
Ich kannte das Wort Gender aus dem Englischen, aber eher aus der Grammatik. So wie wir es heute verwenden, war es nicht geläufig. Es gab das Wort Geschlecht, das bedeutete Mann oder Frau. Ich habe mich für die Frauen interessiert – und das dann mit dem Thema Diskriminierung verbunden. Der Begriff, der bei uns neu und emanzipatorisch war, war Gleichberechtigung. Aber auch in unseren tollen Kreisen mit Popkultur, mit Twiggy oder mit Velvet Underground herrschten die Männer. Das fiel mir auf. Ich wollte gerne zu den antiautoritären 68ern dazugehören, aber auch dort fanden sich höchst patriarchale Strukturen. Also konvertierte ich sogleich auch zur Feministin, um die Belange von Frauen zu vertreten und die linken Männer zu kritisieren.

Wann kam bei ihnen das Design dazu?
Auch dieser Begriff war damals noch nicht gebräuchlich. In Deutschland hieß das Gestaltung – eben im Sinne des Bauhauses und der HfG Ulm. Ich war Anfang der 80er-Jahre mit meinem Partner Mit-Herausgeberin eines Buches zum Thema neue Tendenzen im europäischen Design. Das war ein relativer Erfolg, und plötzlich galt ich als Designexpertin. Das gefiel mir, und ich stellte fest: Über Gender spricht in diesem Bereich überhaupt noch niemand. Wenn man dieses Thema erwähnte, sagten alle, damals vor allem Männer: »Im Design spielt das Geschlecht doch gar keine Rolle, da geht es um Dinge wie Funktionalität und Anmutung!« Das weckte meinen Widerspruchsgeist.

Im Prinzip reden wir bei dem Themenkomplex Gender und Design über zwei Hauptprobleme. Das Erste: Häufig wird überhaupt nicht daran gedacht, dass es auch Frauen gibt.
Eindrucksvoll sind die Dummies für Auto-Crashtests. Der Idealmaßstab ist ein Mann – wie damals bei Leonardo Da Vinci. Als man das problematisierte, wurden zusätzlich kleinere Männer-Figuren entwickelt. Dass der Körper einer Frau sich aber von dem des Mannes unterscheidet und deswegen anders geschützt werden muss, darüber wurde nicht gesprochen.

Das zweite Problem: Dinge, die für Frauen entworfen sind, aber absolut grauenvoll sind. In ihrem Buch beschreiben Sie etwa einen rosafarbenen Werkzeugkoffer für Frauen, dessen Verpackung sexistische Darstellungen von Frauen zeigt. Dass Produkte überhaupt so sehr auf die unterschiedlichen Geschlechter zugeschnitten werden, ist relativ neu, oder?
Zumindest war das in meiner Kindheit in den 50er-Jahren weniger ausgeprägt als heute. Ich habe einmal meine Mutter gefragt, weil die Fotos aus der damaligen Zeit ja schwarzweiß sind. Sie sagte: Kleine Kinder wurden bunt angezogen, Babys trugen oft weiß. Diese Idee, dass etwa ein Kinderwagen bei einem Mädchen rosa sein soll, gab es damals noch nicht. Auch in Spielzeugläden haben wir mittlerweile getrennte Abteilungen für Mädchen und Jungen. Das ist fatal, weil es Geschlechterrollen früh zementiert.

Was wäre die erste Frage, die Designerinnen sich stellen müssen, wenn sie gendersensibel designen wollen?
Im Idealfall wäre das Thema in ihren Köpfen schon drin, so wie das Nachhaltigkeit und Materialgerechtigkeit sind. Vielen ist gar nicht bewusst, inwieweit Geschlecht den Blickwinkel bestimmt. Die sind dann sehr erstaunt, wenn man ihnen sagt: Du hast dieses Produkt nicht für alle Menschen gestaltet; du hattest eine klare Gruppe im Kopf gehabt. Das Bewusstsein dafür müsste schon im Studium geschaffen werden – mit einem Fach, das als Querschnittsfach in allen Designbereichen gelehrt wird.

Sie haben als Begriff einmal die »fluide« Gestaltung ins Spiel gebracht. Was dürfen wir uns darunter vorstellen?
Fluid bedeutet erstmal, dass unsere geschlechtlichen Identitäten heute mehr sind als zwei. Fluid bedeutet aber auch, dass unsere Identitäten changieren können. Es gibt viele Möglichkeiten – und deswegen braucht es eine Gestaltung von enormer Offenheit, eine fließende Gestaltung. Im Idealfall ist ein Objekt so gestaltet, dass ich es mir individualisieren kann, bis es für mich sinnvoll und gebrauchshaft ist.

Wenn wir mit Adjektiven arbeiten: Was sind die Design-Attribute, die Männern und Frauen so zugesprochen werden?
Bei Männern ist das vor allem: hart, kantig, hi-tech, metallisch. Bei den Frauen ist es soft, weich, textilhaft, plüschig, niedlich.

Also ist ein SUV ein dezidiert männliches Produkt, während ein Fiat 500 eher Frauen anspricht?
Potenziell ja. Wobei das Interessante an den SUV ist: Die werden – in den USA noch stärker als in Deutschland – auch viel von Frauen gekauft. Dasselbe Produkt, aber die Motivation für die Kaufentscheidung unterscheidet sich: Frauen sagen, sie fühlen sich darin sicherer, gerade wenn sie ihre Kinder zur Schule fahren. Sie haben einen besseren Blick, weil sie meistens kleiner sind und erhöhter sitzen. Männer dagegen stellen sich, vereinfacht gesagt, am Steuer ihres SUV vor, dass sie im Outback unterwegs sind. Dass Frauen und Männer unterschiedlich begründen, warum sie etwas gut oder schlecht finden, gibt es übrigens öfter.

Haben sie da Beispiele?
Etwa im Haushalt. Man glaubts nicht, weil es so klischeehaft klingt: Aber Frauen finden ein Produkt gut, weil es schnell auseinanderzunehmen und zu reinigen ist. Männer, weil sie cool finden, es zu bedienen.

Da sind wir bei der eingangs erwähnten Obstpresse…
Frauen haben gerade bei Dingen, die lange Zeit ihnen zugeschoben wurden, den praktischen Alltagsblick, während Männer etwa Motoren mögen. Wumm, wumm, wumm, sie können etwas mit Power machen!

Wenn wir zurück zu dem weiblichen Werkzeugkoffer kommen: Unternehmen kassieren für so etwas heute häufig einen Shitstorm im Internet. Kommen die Firmen dann zu Ihnen und wundern sich darüber?
Unternehmen verwechseln Gender-Design häufig mit Gender-Marketing. Ich habe mal bei einer sehr bekannten Fahrradfirma einen Workshop geleitet mit den ganzen Ingenieuren und Designern – alles Männer. Da habe ich mir vorher die Website angeschaut: Verschwitzte Männer mit verzerrten Gesichtern, die den Berg hinauf strampeln. Jetzt wollte der Chef etwas für Frauen machen. Da hat er überlegt, ob man den Rahmen und den Sattel in Pastelltönen gestaltet. Aber solche Vorstellungen sind genau falsch, weil man wieder nach Stereotypen trennt. Es ist auch schwer – was soll man bitte an einem Fahrrad groß verändern? Ich habe ich mich dort dann auf Kommunikation und Marketing beschränkt. Ich weiß nicht, ob es an meiner Kritik lag, aber die Website ist nun weniger eindimensionalund präsentiert auch Frauen.

Eine Produktgruppe, in der diese Trennung völlig normal scheint, ist der Nassrasierer…
Dabei kommt es bei so einem mechanischen Gerät nur darauf an, wo die Haare abrasiert werden müssen – am Kopf oder im Intimbereich. Auf diese jeweilige Tätigkeit hin müsste der Rasierer gestaltet werden, und nicht einmal elliptisch und einmal kantig. Die Namen dieser Produkte sind ja schon so fürchterlich. Venus und Mach3. Was hat ein Rasierer mit Überschallgeschwindigkeit zu tun?

Wenn wir uns das Berufsbild der Designerin anschauen: Der Bereich des Produkt- und Industriedesigns ist männlich geprägt, Frauen sind eher im Textil- und Keramikbereich zu finden, vielleicht noch im Grafikdesign. Wird das besser?
Es wird besser, aber es ist noch lang nicht ausgeglichen. Zwar arbeiten mittlerweile einige Frauen in typischen Männerbereichen. So tut sich einiges im Game-Design, weil es andere Spiele gibt als früher. Aber umgekehrt ist das fast nie der Fall. Es finden sich kaum Männer in der Keramik. In Bereichen wie der Automobilindustrie gibt es hingegen immer noch unglaublich wenig Frauen. Und wenn doch, dürfen sie sich mit den Sitzbezügen und dem Dachhimmel auseinandersetzen, weil man ihnen ein Gespür für das weiche Material andichtet. Die gestalten keine Felge! Dabei wissen wir: Je gemischter Teams sind, sowohl was das Geschlecht als auch die Disziplinen und Kulturen angeht, desto besser sind die Ergebnisse. Weil dann sehr viele unterschiedliche Erfahrungen einfließen. Manches wird dann vielleicht drei, vier Tage länger dauern, aber am Ende setzen sich schönere und klügere Ideen durch.

Erschienen am 1. September 2022

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Jochen Overbeck

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Uta Brandes, Jahrgang 1949, war von 1995 bis 2015 Professorin für Gender und Design und für Designforschung an der Köln International School of Design. Sie schrieb zahlreiche Bücher, darunter das Standardwerk »Gender und Design – Streifzüge zwischen Theorie und Empirie«. Zuvor arbeitete sie in den verschiedensten Bereichen: So beschäftigte sie sich als Soziologin unter anderen mit den Arbeitsverhältnissen von Industriearbeiterinnen am Fließband. Von 1973 bis 1982 war sie Herausgeberin der »zweitschrift«, einer experimentellen Zeitschrift für Kunst, Literatur, Musik, Architektur und Design. Uta Brandes lebt in Köln.