Handgepflückte Trauben, vergoren im Holzfass – im Weinbau längst die Ausnahme. Für konstant hohe Qualität setzen Winzer auf Maschinen, Sensoren und moderne Analysen. Dennoch ist es eine Kunst geblieben, richtig guten Wein zu keltern.

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Denis Dilba

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Claus Morgenstern

Manchmal ist es ein Fortschritt, einfach weniger zu tun. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts, sagt Dominik Durner, Professor am Weincampus Neustadt an der Weinstraße, habe man bei der Herstellung von Wein oft übertrieben auf Maschinen gesetzt: Spindelpressen oder enge Rohrleitungen malträtierten die Trauben, Gärtanks für Rotwein standen auf Rollen und wurden um die eigene Achse gedreht, Rührwerke wälzten Traubenschalen, Kerne und Saft umher. Dieses Extrahieren ist ein wichtiger Vorgang beim Herstellen von Wein: Damit sich Farbstoffe und geschmacksbestimmende Phenole und Tannine optimal aus den Schalen lösen, müssen sie in Kontakt mit dem Most sein. Das Durchmischen hilft dabei. „Wenn man es mit dem Technikeinsatz aber übertreibt, werden Schalen und Kerne vermahlen“, sagt Önologe Durner. Oft gingen so auch Bitterstoffe aus den Traubenkernen in den Wein über. „Dann kommt etwas heraus, was nichts mit gutem Wein zu tun hat.“

Heute halten die Winzer die Rotweinmaische, wie sie die Mischung aus Schalen, Kernen und Saft nennen, zwar immer noch in Bewegung. Sie gehen aber deutlich sanfter zu Werke. Statt tanzender Tanks und massiver Mechanik kommt mehr wissenschaftliches Know-how ins Spiel. Bewegt wird nur noch, was bewegt werden muss. Oft reicht eine Remontage, ein einfaches Umpumpen aus: Ein Teil des gärenden Mostes wird aus den Tanks abgezogen und wieder eingeleitet. Eine andere Möglichkeit ist, impulsweise Druckluft in die gärende Rotweinmaische zu blasen. Dadurch bricht die verdichtete Schicht aus Schalen an der Oberfläche auf und sinkt ab.

Kaum ein Bereich im Weinbau ist nicht durch Technik beeinflusst worden.

Nicht nur die Maischevergärung hat sich in den letzten Jahrzehnten weiterentwickelt. Die Entschlüsselung der biochemischen Prozesse bei der Weinherstellung, das Pflanzen der Reben, die Lese der Trauben bis hin zur Verarbeitung im Keller: Kaum ein Bereich im Weinbau ist nicht durch Technik beeinflusst worden. Heute kreisen mit Sensoren und Kameras bestückte Drohnen über dem Weinberg, helfen Roboter bei der Weinlese und steuern Computer die weitgehend automatisierten Anlagen im Weinkeller. Die Winzer wollen so Weine in bester Qualität produzieren – und sie können auch den Geschmäckern und Trends schneller und präziser folgen. Sind etwa fruchtige Weißweine gefragt, müssen sie geschmacklich genau diese liefern. Technik hilft, den Faktor Zufall zu minimieren und die Wirtschaftlichkeit zu steigern.

Technologie statt bloßer Technik

Doch sie bringt die Winzer auch in einen Konflikt. „Einerseits kommt man im Weinbau ohne technisch optimierte Verfahren heute nicht mehr aus“, sagt Hans Reiner Schultz, Präsident der Hochschule Geisenheim in Hessen. „Andererseits fühlen sich viele Winzer dadurch dem Verdacht ausgesetzt, dass allein die Technik über die Qualität des Weins entscheidet.“ Was ganz klar nicht so sei, betont Schultz. „Denn wann welche Technik gut und wann eher schlecht ist, das entscheidet ja immer noch der Winzer.“

Etwa über den Einsatz von Entblätterungsmaschinen, wie sie viele Betriebe nutzen. Sie entfernen das Laub um die Trauben, damit sie mehr Sonne und Luft bekommen. Das bringt mehr Zucker in der Beere und verringert das Risiko von Fäulnis und Schädlingsbefall. „Der richtige Zeitpunkt für die Entblätterung kann aber je nach Produktion und Rebsorte stark variieren, da die Sonneneinstrahlung auch die Produktion von Aromastoffen und Phenolen beeinflusst“, sagt Schultz. Das sei bei Riesling oder Weißburgunder anders als bei roten Rebsorten. „Die Technik ist also Mittel zum Zweck. Ohne das Wissen der Winzer ist sie weitgehend nutzlos.“

»Die Technik ist Mittel zum Zweck. Ohne das Wissen der Winzer ist sie weitgehend nutzlos.«
Hans Reiner Schultz

Weincampus-Professor Durner spricht daher lieber von Technologie als von Technik. „Technologie beinhaltet das Wissen der Winzer über Prozesse und Maschinen.“ Geschätzt seien es mehr als 40 000 Betriebe in Deutschland, die Trauben anbauen und rund 10 000, die aus den Trauben dann Wein machen, sagt Durner. Und jeder ist anders. „Dementsprechend sind technische Lösungen von der Stange selten zielführend.“ Andererseits sind individuelle Entwicklungen oft zu teuer für einzelne Weingüter – auch wenn sie sinnvoll wären. Darum sind der Weincampus in Neustadt und auch die „Weinuni“ Geisenheim eng mit den Herstellern verzahnt. Der 2009 aus einer Kooperation der drei Hochschulen Ludwigshafen, Bingen und Kaiserslautern und dem Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) Rheinpfalz hervorgegangene Weincampus arbeitet mit über 300 Betrieben in ganz Deutschland zusammen. „Die Winzer kommen mit konkreten Fragen aus der Praxis zu uns“, sagt Durner. So können auch Entwicklungen vorangetrieben werden, die kleine Weingüter allein finanziell nicht stemmen könnten. Winzergenossenschaften, in denen sich Betriebe zusammenschließen, bieten ähnliche Vorteile: Gemeinsame Geräteparks, geteiltes Wissen, betriebswirtschaftliche Synergien.

Die Winzergenossenschaft rüstet auf

Bastian Klohr, geschäftsführender Vorstand der Winzergenossenschaft Weinbiet in Neustadt-Mußbach, hat erst vor vier Jahren das mitten in der Altstadt gelegene Kelterhaus der Genossenschaft ausgebaut und auf den neuesten Stand gebracht. Der hochgewachsene 32-Jährige zeigt dort nicht nur die namensgebenden Keltern – wie die Pressen für Fruchtsäfte genannt werden – sondern auch glänzende, meterhohe Edelstahltanks mit Fassungsvermögen von mehreren 10 000 Litern und alle anderen Anlagen zur Verarbeitung der Trauben. Die Früchte werden vom Anhänger in einen großen Trichter gekippt und gewogen. Dann fallen sie in die sogenannte Abwehrmaschine, welche die Beeren automatisch von den Stielen trennt. Weiter unten geht es zum Hightech-Herz des Kelterhauses, dem Grape Scan: einem Infrarot-Spektroskop, wie es eigentlich die Milchwirtschaft nutzt.

Zusammen mit dem Weincampus und dem DLR Rheinpfalz hat Weinbiet die Technik in den vergangenen Jahren auf Weintrauben angepasst. Die Beeren wandern durch eine Probenkammer und werden mit Infrarotlicht beleuchtet. Je nach Inhaltstoffen werfen sie ein anderes Profil zurück. Innerhalb einer Minute würden damit 15 Parameter bestimmt, sagt Klohr. Zum Beispiel Zuckerinhalt, Säurezusammensetzung, pH-Wert, Stickstoffanteil oder Gesundheitszustand. Anhand der Werte kann Klohr schnell und zuverlässig entscheiden, ob aus der angelieferten Traubencharge ein qualitativ hochwertiger Wein oder einer für den Alltag entstehen soll. Mit dem Grape Scan wählt er also die optimale Traube für den jeweiligen Wein. „Wir haben einen Gewinn an Qualität und Schnelligkeit, das ist essentiell in der Traubenverarbeitung“, sagt er.

Schnell muss es auch bei der Ernte gehen. „Wir bringen heute 99 Prozent der Ernte mit Maschinen ein“, sagt Klohr. Man sei mit ihrer Hilfe einfach schlagkräftiger, sagt auch Dieter Greiner, Geschäftsführer des Weinguts Kloster Eberbach im hessischen Eltville am Rhein. „Wir können die vollreifen Trauben damit auch bei wärmeren Temperaturen schneller ernten, ohne dass sie faulen.“ Die Zukunft der Weinlese weisen Forschungsprojekte, an denen auch die Universität Geisenheim beteiligt ist. Der Roboter „Phenobot“ etwa fährt auf Ketten programmierte Routen ab und fotografiert die Rebstöcke. Derzeit erkennt er die äußeren Merkmale der Pflanzen, um die mit den besten Trauben und gesündesten Blättern für eine gezielte Züchtung auszuwählen. Experten wie der Geisenheimer Hochschulpräsident Hans Reiner Schultz trauen Phenobot künftig auch die Bestimmung des optimalen Erntezeitpunkts anhand der Beerenfarbe zu. Der Roboter „Geisi“ wiederum fährt auf zwei stachelbewehrten Rollen durch Steillagen, arbeitet sich die Hänge hoch, lockert den Boden auf und kann je nach Ausstattung Pflanzenschutzmittel versprühen, optische Analysen von Beeren und Reben liefern oder geerntete Trauben abtransportieren.

Bis diese Systeme wirklich eingesetzt werden, dürften noch mehrere Jahre vergehen. Nicht so bei den Drohnen. Das Start-up Lilienthal Digitaler-Weinbau aus Wiesbaden stattet ihre fliegenden Analyseplattformen mit Multispektral-Kameras und verschiedenen Sensoren aus. Besonders nachgefragt sei die Messung der Chlorophyll-Reaktion in den Pflanzen, sagt Gründer und Geschäftsführer Henning Hünemohr. Daraus könne man auf die Gesundheit der Pflanzen schließen, beispielsweise wenn die Ausdünnung eines Weinbergs ansteht. „Wir sind inzwischen in jedem Weinanbaugebiet in Deutschland aktiv – bis auf Saale-Unstrut und Sylt.“ Auch Greiner und sein Team des Weinguts Kloster Eberbach stehen in Kontakt zum Drohnen-Unternehmen. „Das Thema wird immer wichtiger. Kein Winzer kann sich jeden Tag eine Million Rebstöcke anschauen“, sagt Greiner. Ein Vorteil der Drohnen sei auch, dass man den Boden nicht befahren und dadurch verdichten muss, was sich negativ auf die Pflanzen auswirken kann.

Der Winzer aus Leidenschaft verzichtet auf Technik – und Gewinn

In manch kleineren Weingütern ist allerdings auch ein Gegentrend zur Technisierung zu beobachten, etwa bei Henrik Möbitz in Freiburg. Der Verzicht auf technische Hilfsmittel kann auch zu unverwechselbaren Spitzenweinen führen. Möbitz setzt beispielsweise auf die natürlichen, regional unterschiedlichen Hefen, die in den Weinbergen vorkommen. Das verleiht seinen Weinen hohe Individualität, ist aber risikoreich: Regnet es in einem kühlerem Jahr viel oder muss er wegen Schädlingsbefall spritzen, bilden sich nur wenig natürliche Hefekulturen. Der Wein vergärt dann nicht vollständig und wird ungenießbar. Mit den heute üblichen Reinzuchthefen aus dem Labor passiert das nicht – um den Preis, dass viele Weine sehr ähnlich schmecken. Das will der Freiburger Winzer vermeiden. „Önologie verhält sich zu Wein wie Grammatik zu einem Gedicht“, sagt Möbitz. „Viele große Weine der Welt entstehen mit relativ primitiven Mitteln und entgegen önologischem Wissen.“ Der wirtschaftliche Erfolg eines Jahrgangs allerdings ist schwerer zu kalkulieren. Möbitz jedoch produziert seinen Wein nicht, weil er muss. Sondern als ambitioniertes Hobby – hauptberuflich ist er Chemiker bei einem Pharmaunternehmen.

Der Verzicht auf technische Hilfsmittel kann auch zu unverwechselbaren Spitzenweinen führen.

Insgesamt wird der Technikeinsatz im Weinbau – jedenfalls im gewinnorientierten – künftig weiter zunehmen. Wichtig ist er aber nicht nur im Hinblick auf die Qualität des Weines und eine wirtschaftliche Produktion – die Technik erhält zum Teil auch ganze Kulturlandschaften. „Auch wenn das paradox klingt: Steillagen, die ältesten und ursprünglichsten Anbau-Formen, sind wahrscheinlich diejenigen, die nur durch technische Innovationen konkurrenzfähig und damit erhalten bleiben“, sagt der Geisenheimer Hochschulpräsident Schultz. Tradition und Technik, sie müssen beim Wein kein Gegensatz sein.

Erscheinen am 18. März 2018

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