Lolita Carlerup kam ohne Gebärmutter auf die Welt, doch ihr war immer klar: Sie will eigene Kinder bekommen. Ihr Wunsch schien unerreichbar, bis zu ihrer Gebärmutter-Transplantation. 

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Bernd Eberhart 

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Pieter ten Hoopen

 

 

 

Mit 14 Jahren erfahren andere Mädchen Monat für Monat, dass sie eine Gebärmutter haben. Ein Organ in ihren Bäuchen, von dem sie früher gar nichts mitbekommen hatten, ein ungefähr faustgroßer Sack. Irgendwann hatte er angefangen, ein Eigenleben zu entwickeln. Mit einem Mal war in den Bäuchen der Mädchen eine Präsenz entstanden, die wächst und schrumpft, die manchmal blutet und manchmal nervt.

Mit 14 Jahren erfährt Lolita Carlerup, dass sie keine Gebärmutter hat. Dass es in ihrem Bauch kein Organ gibt, das wächst und schrumpft und blutet. Sie erfährt, dass ihr etwas fehlt, was bisher gar nicht gefehlt hat. In Lolitas Bauch entsteht keine Präsenz, kein Sack, kein Eigenleben. In Lolitas Bauch entsteht ein großes Loch, eine Leerstelle. Ein Nichts.

Sie erzählt:

Ich hatte große Schmerzen im Bauch, darum hat mich meine Mutter nach Norrköping ins Krankenhaus gefahren. Dort haben sie eine Untersuchung gemacht, dann noch eine, später eine Endoskopie. Der Arzt hat einen anderen Arzt dazu geholt, und dann kamen immer mehr Ärzte dazu. Es wurde viel gestarrt.

Irgendwann an diesem Tag im Jahr 1995 sagte der Arzt zu Lolita: »Du hast keinen Uterus.«

Ein anderer schwedischer Arzt arbeitete zu diesem Zeitpunkt bereits als Gynäkologe am Sahlgrenska Krankenhaus in Göteborg. Mats Brännström war 37 Jahre alt, hatte einen Abschluss in Medizin und einen Doktortitel und hatte drei Jahre als Postdoc in Australien geforscht. Die Gebärmutter war für ihn immer ein Thema: etwa als Ort, an den die Eizellen nach einer gelungenen In-vitro-Fertilisation eingesetzt werden. Oder als Krebsrisiko. Und als Heimat für jeden Embryo natürlich. Doch dass die Gebärmutter von Geburt an nicht da ist, das kam in Mats Brännströms Berufsalltag nicht vor.

Gebaermutter Transplantation Kinderwunsch
Mats Brännström im Sahlgrenska Krankenhaus in Göteborg.

Heute ist Mats Brännström der erste Arzt auf der Welt, dem eine erfolgreiche Gebärmuttertransplantation gelang. Erfolgreich im Sinne von: Mission erfüllt – so, dass ein gesundes Kind in dieser Gebärmutter herangewachsen und aus ihr geboren worden ist.

Die Gebärmuttertransplantation ist eine der anspruchsvollsten Operationen überhaupt. Nicht, weil der Uterus so ein komplexes Organ wäre. Sondern weil er so tief im Bauch einer Frau sitzt, weil er versteckt ist von Muskeln und Organen und weil sich seine Venen und Arterien so wahnsinnig schwer freilegen lassen. 1954 hatte der Chirurg Joseph Murray in Boston die erste menschliche Niere verpflanzt, die länger als ein paar Tage hielt. Das erste menschliche Herz transplantierte der Südafrikaner Christiaan Barnard 1967. 1998 schaffte es der Franzose Jean-Michel Dubernard, eine Hand auf einen neuen Empfänger zu übertragen, 2005 sogar ein Gesicht. Doch erst im Jahr 2011 gelang es, eine Gebärmutter in einen anderen Körper hineinzusetzen und am Leben zu erhalten.

Es war nicht Mats Brännström, dem das gelang. Er war überholt – und, wie er sagt, »um seine Forschungsergebnisse betrogen« – worden von einem türkischen Kollegen.

Die Geschichte der Organtransplantation ist voll von Helden und Psychopathen. Dagegen wirkt Mats Brännström angenehm entspannt. Der Arzt hat graue stachelige Haare, die typische Haarhauben-nicht-Frisur der Krankenhausärzte. In weißen Sneakers, Jeans und Kapuzenjacke schlurft er in sein Büro im Sahlgrenska Krankenhaus in Göteborg, der linke Arm hält eine Krücke. »Rückenoperation«, erklärt der Schwede, Wirbelverschleiß, wohl vom langen Stehen am OP-Tisch. Er lächelt und sagt mit leiser Stimme: »Kaffee. Ich geh mir noch schnell einen Kaffee holen.« Für Fika, für eine kleine Kaffeepause, findet sich in Schweden immer Zeit.

Die Wände in Brännströms Büro sind übersät mit Urkunden und Diplomen von Universitäten auf der ganzen Welt. Dazwischen Familienfotos, eines zeigt ihn mit seinen Kindern auf einem Segelschiff. Und an einer Wand, ganz in der Mitte, in Postergröße, zweimal der gleiche Fotoabzug: ein winziges Baby direkt nach dem Kaiserschnitt. Einmal in Farbe, einmal schwarz-weiß. »Das ist Vincent«, sagt Brännström, als er mit seiner Kaffeetasse zurückkommt. Vincent, das erste Baby der Welt, das aus einem transplantierten Uterus geboren wurde.

Im Jahr 1999 war Mats Brännström erneut ins australische Adelaide zurückgekehrt, für eine Weiterbildung am Royal Hospital. Gemeinsam mit Kolleginnen sollte er dort eine Patientin mit Gebärmutterhalskrebs operieren. »Angela«, erinnert sich Brännström, »sie konnte ihre Eierstöcke behalten, aber wir mussten ihre Gebärmutter herausnehmen.« Angela war 27 Jahre alt. Vor der OP fragte sie den Arzt: »Könnt ihr mir nicht später einfach einen Uterus transplantieren?«

 

Kinderwunsch erfüllen, durch Gebärmutter-Transplantation? Die Idee schien verrückt

»Ich habe mir gedacht: ›Ist die verrückt?‹«, erzählt Brännström. »Aber ich habe ihr geantwortet: ›Vielleicht können wir das irgendwann in der Zukunft.‹«

Am Abend ging Brännström mit einem Kollegen in den Pub. Bei ein paar Bieren diskutierten die Ärzte über ihre Patientin und ihren verzweifelten Vorschlag. Die Idee schien wirklich verrückt – aber warum eigentlich? Am nächsten Tag stellte Brännström Recherchen an: In den 1960er-Jahren hatte es einige Versuche zur Uterustransplantation an Hunden gegeben. Damals wurde erforscht, wie den vielen Frauen geholfen werden könnte, die aufgrund von blockierten Eileitern unfruchtbar waren. Ob man ihnen eine neue Gebärmutter mitsamt Eierstöcken einsetzen könnte? Doch mit der ersten In-vitro-Fertilisation 1978 war eine einfache Behandlung gefunden – die Uterustransplantation verschwand als Forschungsthema.

Brännström aber war angefixt. Er war fasziniert von Angelas Idee, und gleichzeitig, wie er sagt, enttäuscht, dass er nie selber darauf gekommen war. Zurück in Göteborg startete er noch im selben Jahr ein Forschungsprojekt zur Uterustransplantation – »nur um zu sehen, ob es möglich ist.« Die Göteborgs Posten, die zweitgrößte Tageszeitung in Schweden, hatte Ende 1999 von dem verrückten Forschungsprojekt erfahren. Eine Freundin ihrer Mutter schickte Lolita Carlerup den Zeitungsausschnitt.

Nach dem Arztbesuch 1995 war für Lolita eine Welt zusammengebrochen. Sie zog sich zurück, nur ihre Familie wusste von ihrer Diagnose. Nicht nur der Uterus fehlte ihr, sie hatte auch keine vollständig ausgebildete Vagina. Mit 17 Jahren wurde Lolita operiert, die Ärztinnen legten eine künstliche Vagina aus eigenem Körpergewebe bei ihr an, eine sogenannte Neo-Vagina. Ein Schritt hin zu einem »normaleren« Frauenkörper. Doch für Lolita machte das keinen großen Unterschied. Sie wusste immer noch nicht, wer sie war – was sie war. Eine Frau? Vom Aussehen, vom Hormonhaushalt her: ja. Und doch würde sie nie die eine Erfahrung machen, die in ihren Augen eine richtige Frau aus ihr gemacht hätte.

Ich war immer so ein richtiges Mädchen gewesen. Ich habe Kinder geliebt, ich habe die ganze Zeit babygesittet, ich war die beste Puppenmutter auf der ganzen weiten Welt. Mein Traum war immer, irgendwann eine echte Mutter zu sein. Dieser Traum ist geplatzt. Ich habe mich so geschämt. Etwas stimmte nicht mit mir, als hätte ich irgendetwas falsch gemacht, dass ich so geboren worden war. Ich konnte mit niemandem darüber reden – erst mit 17 oder 18 habe ich einer Freundin davon erzählt. Wenn ich Jungs kennenlernte, wusste ich nicht, was ich ihnen sagen sollte, ob ich überhaupt etwas sagen sollte.

Irgendwie fand Lolita Carlerup die Telefonnummer von Mats Brännström heraus. Sie rief ihn an. Sie wollte ihre Situation erklären. Schließlich hatte sie den Mann am Apparat, der ihr vielleicht helfen könnte aus ihrer verdammten Lage. Aber Brännström wiegelte ab. Er war ganz am Anfang seiner Forschungen, die Uterustransplantation war wenig mehr als eine Idee. Brännström und Carlerup sollten zwölf Jahre lang nicht mehr voneinander hören.

Mats Brännströms Chef in Schweden war nicht groß interessiert an dem Forschungsvorhaben: »Einen Uterus transplantieren? Warum sollten wir das tun?« Aber Brännström fand eine Mitstreiterin: Randa Akouri. Akouri war Labortechnikerin am Sahlgrenska Krankenhaus, die talentierteste weit und breit. Sie war schnell, präzise, beharrlich. »Und sie war genau wie ich«, sagt Brännström: »ein Dickkopf. Ich habe zu ihr gesagt: ›Randa, ich hab diese verrückte Idee.‹«

Randa Akouri brachte noch ihren ersten Sohn auf die Welt, dann machte sie sich an die Arbeit – an ihre Doktorarbeit, so hatte sie es mit Brännström ausgemacht. Sie arbeitete mit Mäusen und deren winzigen Mäusegebärmüttern. Wenn sie nicht bei ihrem Kind war, dann arbeitete Akouri, Tag und Nacht, und nach zwei Jahren und zehn Monaten hatte sie ihre Doktorarbeit fertig – und ein wissenschaftliches Paper, das 2002 Wellen schlug bei den Transplantationsärztinnen. Randa Akouri hatte es nicht nur geschafft, fremde Mäusegebärmütter in Mäusebäuche zu verpflanzen. Sie hatte es auch geschafft, dass darin gesunde Mäusebabys heranwuchsen und geboren wurden.

Gebärmutter Transplantation Kinderwunsch
Randa Akouri im Krankenhaus Göteborg

Ein Meilenstein – und ein wichtiges Signal an die Welt, um Vertrauen zu schaffen für die Uterustransplantation. Das war zwei Jahre zuvor strapaziert worden: Ein Team um die saudi-arabische Gynäkologin Wafa Fageeh hatte einer 26-jährigen Frau im April 2000 die Gebärmutter einer Spenderin eingesetzt. Ein riskanter Alleingang, wie sich später feststellen lässt, mit zu wenig Vorwissen aus der Forschung. Nach 99 Tagen war das Organ im Spenderleib abgestorben und musste entfernt werden.

Im mintgrünen Krankenhausoberteil sitzt Randa Akouri an ihrem Schreibtisch. Mit warmer Stimme fragt sie: »Kaffee?«

Eine durchschnittliche Labormaus kommt ungefähr auf folgende Maße:
Länge:
7 Zentimeter
Gewicht:
30 Gramm
Durchmesser Uterus:
3 Millimeter
Durchmesser untere Hohlvene:
1 Millimeter
Durchmesser Aorta:
0,7 Millimeter

Ob Kaffee denn nicht die Hände zittrig macht? Akouri lacht. Nein, das hält sie für ein Märchen. Neben dem Stereomikroskop, das sie für die Mäuse-OPs brauchte, habe sie zu jeder Zeit eine Kaffeetasse stehen gehabt.

 

Exklusivste Stufe der Fruchtbarkeitsbehandlung: Die Gebärmutter-Transplantation

Auf dem Weg zur Kaffeeküche führt Akouri durch die Abteilung Reproduktionsmedizin des Sahlgrenska Krankenhauses: ein Behandlungsstuhl mit Beinauflagen. Eine Art Mini-Staubsauger zur Entnahme von Eizellen für die In-vitro-Fertilisation. Auf 37 Grad Celsius temperierte Wärmeschränke, beschriftet mit schwedischen Familiennamen, gefüllt mit Eizellen und Sperma, mit befruchteten Hoffnungen im Maulbeer- und Vielzellstadium. Auf dem Flur eine riesige Galerie von lachenden Babys. »Die meisten Patientinnen kommen erst mal ans obere Ende des Flurs«, erklärt Akouri. Dort finden die einfacheren Kinderwunsch-Behandlungen statt, Zyklusoptimierung, Hormontherapien. Wenn das nicht funktioniert, wandern die Frauen immer weiter den Flur hinab. Insemination, In-vitro-Fertilisation, intra-zytoplasmatische Spermieninjektion. Und sozusagen als letzte, als neueste, als exklusivste Stufe der Fruchtbarkeitsbehandlung im Sahlgrenska Krankenhaus: Gebärmuttertransplantation. 17 Frauen wurde diese hier zuteil, bei 13 von ihnen ist die Operation gelungen. 12 Babys sind bisher daraus entstanden.

An manchen Tagen transplantierte Randa Akouri sechs, sieben Mäusegebärmütter. Als die erste Maus schwanger war, konnte sie es trotzdem kaum glauben. »Das war für mich der großartigste Moment im ganzen Projekt«, erzählt sie und lächelt. Der zweitgroßartigste war die Geburt von Vincent, dem ersten Menschenbaby, 12 Jahre später. In der Zwischenzeit bekam Akouri weitere fünf Kinder, studierte Medizin, machte ihren Abschluss, arbeitete als Ärztin. Und forschte immer weiter an der Uterustransplantation.

Randa Akouri und Mats Brännström waren von Anfang an ein Team, sie haben fest an ihre verrückte Idee geglaubt. »Aber wenn das mit den Mäusen nicht geklappt hätte damals, wenn Randa das nicht geschafft hätte«, sagt Brännström, »dann hätten wir das Projekt aufgegeben. Wir hätten es niemals so weit geschafft.« Natürlich waren über die Jahre noch viele andere Ärztinnen und Wissenschaftlerinnen beteiligt, haben zusammen geforscht und geübt: Nach der Maus an der Ratte, dann am Kaninchen, am Schwein, am Schaf, am Schimpansen. Teils operierte das gesamte Team genau in der Besetzung, wie sie später die ersten menschlichen Patientinnen operierten. Nur mit dieser akribischen Vorbereitung, sagt Mats Brännström, habe er das Risiko dieser neuen Operation eingehen können.

Im Jahr 2011 war es wieder ein Zeitungsartikel, der Lolita Carlerup und Mats Brännström zusammenbrachte. »Es stand nicht viel mehr drin als: ›Wir sind jetzt bereit, eine menschliche Gebärmutter zu transplantieren‹«, erinnert sich Carlerup. Sie meldete sich erneut in Göteborg. Im September wurde sie zu einer Untersuchung eingeladen.

Hier hat Lolita Carlerup endlich einen Namen bekommen für ihre Krankheit, ein Etikett für ihr Leiden: MRKH – das Mayer-Rokitansky-Küster-Hauser-Syndrom. Eine Fehlbildung der weiblichen Genitalien, die Vagina endet nach wenigen Zentimetern, der Uterus fehlt. Ungefähr eine von 4.500 Frauen hat MRKH, allein in Deutschland sind das rund 10.000 Betroffene. Die Ursache ist unklar, auch, inwieweit erbliche oder epigenetische Komponenten eine Rolle spielen. Es gibt zwar familiäre Häufungen, doch es gibt auch nur halb betroffene eineiige Zwillingspaare: eine Schwester mit Gebärmutter, die andere ohne Gebärmutter. Für Carlerup war allein die Diagnose, der Name für ihre Situation eine Erleichterung – als ob damit wieder ein Stück Identität in ihr Leben gekommen wäre. Und vor allem erfuhr sie endlich, dass sie nicht allein ist auf der Welt.

Bei den Untersuchungen in Göteborg habe ich manchmal die anderen Frauen aus der Studie getroffen. Ich erinnere mich genau an das erste Mal: Ich kam ins Wartezimmer, und da war diese Frau – eine andere Frau mit MRKH, die erste, die so war wie ich. Ich habe sie angeschaut und gedacht: »Wow, die sieht ja ganz normal aus!«

Bereits im Dezember begannen die Ärztinnen mit Hormonbehandlungen, im Frühjahr 2012 fuhr Carlerup zur Eizellentnahme nach Göteborg. Davor hatten sie und ihr Mann bereits etliche Untersuchungen und Aufklärungsgespräche über sich ergehen lassen, Carlerups Körper wurde genauso durchleuchtet wie ihre Beziehung und ihre psychische Verfassung. Zehn Embryos warteten nun im Gefrierschrank, und mit ihnen wartete Lolita Carlerup ein Jahr lang voller Ungeduld. Dann kam der Bescheid aus Göteborg: Als eine von neun Patientinnen war sie Teil der ersten Kohorte für die Gebärmuttertransplantation.

Als ich 14 war, hat mich meine große Schwester Linda getröstet: »Du kannst meinen Uterus haben.« Sie wollte reisen, die Welt sehen. Sie wollte keine Kinder haben. Es kam anders – heute hat sie vier. Gleich nach der ersten Untersuchung habe ich sie angerufen. Sie hatte ihr Versprechen nicht vergessen. Sie sagte nur: »Wann und wo?« Es war, als hätte ich sie gefragt, ob sie mir ein Sweatshirt leiht.

Am 15. März 2013 fuhren die Schwestern nach Göteborg. Am nächsten Morgen um 6 Uhr öffnete das Team von Mats Brännström die Bauchdecke von Carlerups Schwester Linda. Die Entnahme der Gebärmutter ist der schwierigere Teil, sie kann sechs, acht, zehn Stunden lang dauern. Vor einer Transplantation müssen Spenderin und Empfängerin ausführliche Tests durchlaufen. Nur ein völlig gesundes Organ kann entnommen werden – und eines, das seine Funktion bewiesen, also schon mindestens ein Kind ausgetragen hat. Dennoch besteht das Risiko, dass der Uterus nach der Entnahme nicht den Ansprüchen der Ärztinnen genügt und verworfen werden muss.

Um die Mittagszeit kam eine Krankenschwester zu Lolita Carlerup ins Zimmer: »Du bist dran.«

Ich hatte keine Angst. Ich wollte diese Operation so sehr, und wenn ich dabei sterben würde. Kurz nach der Operation hatte ich dann große Schmerzen. Aber ich war wie ein neuer Mensch. Ich war endlich vollständig. So viele Gefühle, so viel Leid waren jahrelang mit diesem Organ verknüpft gewesen. Dann hat mich die Gebärmutter meiner Schwester zur Frau gemacht. Ich war endlich wie die anderen, ich hatte die Chance, Kinder zu bekommen. Und meine Schwester? Die war froh, dass sie ihren Uterus los war.

Am 16. März bekam Lolita Carlerup die Gebärmutter transplantiert. Am 27. April hatte sie zum ersten Mal ihre Periode – mit 32 Jahren.

Das war das Einzige, was mir Panik machte: meine Periode. Ich hatte keine Angst zu sterben. Aber meine erste Periode zu bekommen, davor hatte ich verdammte Angst.

Nach der Operation musste Carlerup ein Jahr lang warten, bevor die Ärztinnen ihr den ersten Embryo einsetzten. Embryo Nummer sechs nistete sich endlich in der Gebärmutter ein.

Fünf Mal musste ich auf diesen blöden Test pinkeln, nur um wieder ein negatives Ergebnis zu bekommen. Das war hart. Aber dann hat es funktioniert! In der Schwangerschaft war alles in Ordnung, das Baby wuchs, ein großer Junge. Ich weiß noch genau, wie ich das erste Mal vor dem Spiegel entdeckte, dass ich einen Babybauch habe. Es war unglaublich. Dieser Schritt von »Ich werde nie, niemals eine Mutter sein« zu »Ich bin schwanger« – ich konnte ihn gar nicht fassen.

Am 27. Juni 2015 bekam Lolita Carlerup per Kaiserschnitt einen gesunden Sohn: Cash.

Von den neun Frauen in der ersten Kohorte war Carlerup die vierte, die ein Kind gebar. Cash ist das vierte Kind auf der Welt, das in einem transplantierten Uterus herangewachsen ist. Acht der neun Frauen haben mittlerweile ein Kind geboren, einige sogar zwei. Auch Carlerup und ihr Mann überlegten lange, ob sie einen weiteren der eingefrorenen Embryos einsetzen lassen wollen. Doch ihre Blutwerte waren nicht gut. Ein transplantiertes Organ ist eine große Belastung für den Körper. Das Immunsystem muss mit Medikamenten unterdrückt werden, um eine Abstoßung zu vermeiden, Leber und Nieren werden belastet. Sobald der Uterus – ein nicht lebenswichtiges Organ – nicht mehr gebraucht wird, muss er entfernt werden.

Gebaermutter Transplantation Kinderwunsch
Cash Douglas Calerup: Das vierte Baby auf der Welt, das durch eine Gebärmutter-Transplantation auf die Welt kam.

Ein halbes Jahr nach Cashs Geburt entschied sich Lolita Carlerup, ihre Gebärmutter wieder entnehmen zu lassen.

Durch die große Fensterfront in Carlerups Wohnung scheint die Sonne, unten plätschert ein Bächlein. Mit ihrer Familie wohnt sie in einer Kleinstadt nördlich von Stockholm. Im Wohnzimmer stehen Kinderbücher und Spielsachen ordentlich im Regal, daneben Kindersessel »Poäng« von Ikea. Die Wand hängt voll mit selbstgemalten Dino-Bildern. Beim Lächeln bekommt Lolita lustige Grübchen in den Wangen, sie hat glatte blonde Haare, trägt ein lila T-Shirt. Sie sitzt am Esstisch und erzählt ihre Geschichte. Sie redet schnell und viel, oft lacht sie. Manchmal verkneift sie sich das Weinen.

Manchmal bereue ich, dass wir es nicht ein zweites Mal probiert haben. Ich bin mir sicher, es hätte geklappt. Aber mein Mann hat gesagt: Wir haben ein Kind und es braucht seine Mutter. Es braucht mich. Ich war traurig, als sie den Uterus wieder herausgenommen haben. Aber dieses Gefühl, nicht richtig, nicht vollständig zu sein, das kam nie wieder. Der Uterus und mein Sohn, sie haben gemacht, dass ich am Leben bin. Manchmal schaue ich Cash an und mir wird bewusst, was passiert ist. Ich kann es nur für ein paar kurze Sekunden lang verstehen. Dann ist der Gedanke auch schon wieder viel zu groß.

 

Weltweit 40 Kinder wurden bisher dank einer Uterus-Transplantation geboren

Mats Brännström forscht weiter an der Uterustransplantation. Mittlerweile sind allein in Göteborg zwölf Kinder zur Welt gekommen, weltweit sind es rund 40. Tschechien, Frankreich, Serbien, Libanon, Indien, China, USA – gut 100 Frauen wurde bisher eine Gebärmutter eingesetzt. Meist sind es MRKH-Patientinnen, andere haben ihren Uterus durch eine Krebsoperation verloren. Die meisten Organe stammen von den Müttern der Patientinnen, einige von den Schwestern, wenige von engen Freundinnen. Und eine Handvoll Frauen haben die Gebärmutter einer verstorbenen Spenderin erhalten. In vielen Fällen waren Brännström und seine Kolleginnen beteiligt – direkt, als Teil des OP-Teams, oder indirekt durch Weitergabe ihrer Erfahrungen.

In Deutschland ist die Uniklinik in Tübingen der einzige Ort, an dem Uterustransplantationen durchgeführt werden – und die einzige Klinik weltweit, bei der die Operation offiziell als klinische Behandlung zugelassen wurde. Der Eingriff wird damit von den Krankenkassen bezahlt. Auch das Team um die Gynäkologin Sara Brucker hat eng mit Göteborg zusammengearbeitet: Vier Gebärmütter haben die Ärztinnen in internationaler Kooperation eingesetzt. Vier gesunde Kinder wurden daraus geboren. Auch die deutschen Ärztinnen hatten jahrelang im Team geübt, an Schweinen, an Körperspenderinnen, bis sie bereit waren für die Operation.

Mats Brännström bekommt wöchentlich Anfragen von Kliniken rund um die Welt, die allermeisten lehnt er ab – er will nur mit seriösen, großen Kliniken zusammenarbeiten. Nun arbeiten er und seine Kolleginnen daran, die Technik weiter zu verfeinern. Die letzten Transplantationen hat Brännström nicht am offenen Bauch, sondern minimalinvasiv vorgenommen; zwei Operationen hat er bisher mit einem OP-Roboter durchgeführt. So soll die Belastung der Patientinnen reduziert werden – vor allem der Spenderinnen, die sich ja freiwillig bereit erklären müssen. »Natürlich hat das auch eine Schattenseite«, seufzt Brännström: »Organhandel. Je einfacher die Operation wird, desto reizvoller könnte es für Frauen sein, ein nicht lebensnotwendiges Organ zu verkaufen.« Man kann das mit der Leihmutterschaft vergleichen, bei der Frauen für viel Geld das Kind einer anderen Mutter austragen.

Brännström hält inne. Für einen Moment scheint er zu überlegen, was er da eigentlich in die Welt getragen hat. Dann holt er sein Handy aus der Tasche. Er zeigt seinen Chatverlauf mit Lolita Carlerup, dazwischen viele Fotos: Cash mit seinem Vater, Cash mit seiner Mutter, Cash beim Spielen. »Du är magisk«, steht unter einem Foto. »Du bist magisch.«

Gebaermutter Transplantation Kinderwunsch
Lolita Calerup bekam ihren Sohn Cash dank einer Gebärmutter-Transplantation

Zwei Tage später, in der schwedischen Kleinstadt: Nach dem Interview holt Lolita Carlerup ihren Sohn ab, er war bei einer Freundin. Ein kleiner, blonder Junge hüpft die Treppe herunter, versteckt sich hinter seiner Mutter. Neugierig schauen seine Knopfaugen hinter Carlerups Beinen hervor.

Was macht eine Frau zur Frau?

Das muss jede für sich selbst entscheiden. Das ist das Wichtigste, dass jede Frau das selbst für sich entscheiden kann. Ich war keine Frau – ich wusste nicht, was ich war. Ein paar Monate nach der Geburt war ich zu einem Treffen von MRKH-Patientinnen in Göteborg eingeladen. Ich hatte Cash auf dem Schoß, mein Baby. Da saß mir diese Frau gegenüber am Tisch. Ich habe in ihre Augen gesehen. Ich habe diesen Blick wiedererkannt – voller Schmerz, voller Neid: »Warum du? Warum nicht ich?« Ich hoffe so, dass viele andere Frauen die gleiche Chance bekommen wie ich. Es war eine lange, harte Reise. Ich würde es wieder machen. Sofort.

Erschienen am 01. September 2022

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