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Torben Dietrich

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Naja Bertolt Jensen

 

 

 

 

 

 

Müll zum Mittag

Evolution der Plastikfresser

Es gibt eine Insel im Pazifik, die ist rund viermal so groß wie Deutschland – und doch auf keiner Weltkarte verzeichnet. Es ist der pazifische Plastikstrudel, ein Müllteppich aus Millionen Tonnen von Plastik, der teilweise zehn Meter in die Tiefe reicht.

Ein großer Teil des Mülls in den Meeren kommt allerdings nicht mehr in greifbaren Fetzen und Stücken daher, sondern wird zerrieben in Teile, die mit bloßem Auge kaum zu erkennen sind und hunderte von Jahren überdauern. Diese aus dem Wasser zu bekommen, bevor sie von Fischen und damit teilweise auch von uns Menschen aufgenommen werden, scheint ein aussichtsloses Unterfangen zu sein.

Wären da nicht die Bakterien. Ausgerechnet die Mikroorganismen, die oft einen so unguten Ruf haben, könnten beitragen zur Lösung des Problems. Basak Öztürk von der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) in Braunschweig arbeitet mit ihrer Forschungsgruppe an marinen Bakterien, die bestimmte Kunststoffe im Meer abbauen können. Welche Bakterien das genau sind, darf die Biochemikerin zwar noch nicht sagen, da ihre Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind. Bereits bekannt ist aber, dass das Bakterium Ideonella sakaiensis den Kunststoff Polyethylenterephtalat (PET) zwar langsam, dafür aber komplett abbauen kann. Allerdings an Land. Öztürks Team an der DSMZ entdeckte nun die ersten marinen mikrobiellen Gemeinschaften, die diese Art von Plastik auch im Meer komplett mineralisieren. Der Abbau geschieht vor allem über Enzyme, die denen in Ideonella sakaiensis stark ähneln und in marinen Organismen nur sehr selten vorkommen. »Wir fragen uns immer, wo die Enzyme herkommen, die solche neuen künstlichen Stoffe abbauen können«, sagt Öztürk. »Ich denke, dass es Enzyme sind, die sich im Meer angepasst und auf PET spezialisiert haben.« Im Labor in Braunschweig identifizierte Öztürks Forschungsgruppe verschiedene marine Kulturen aus der Nord- und Ostsee sowie dem Mittelmeer, die gängige Polyestersorten wie PLA, PCL und PBS sehr zügig abbauen können. Vor allem, wenn die Bakterien das Plastik als einzige Kohlenstoffquelle zur Verfügung hatten. »Jetzt müssen wir schauen, welche Auswirkungen ein unterschiedlicher Salzgehalt, Temperaturen, die Sauerstoffmenge und andere Faktoren auf die Abbauprozesse haben«, sagt Öztürk.

So vielversprechend die Neuentdeckung der Mikroorganismen klingt, ergibt sich daraus allerdings ein anderes Problem: Die »Mineralisierung« der Kunststoffe ist nichts anderes als die Umwandlung der Plastikbestandteile in Wasser, Biomasse – und CO2. Davon haben wir nun schon reichlich in der Atmosphäre. Öztürks Forschung eröffnet allerdings noch eine andere Möglichkeit: »Eine sehr wichtige Rolle könnten die Bakterien bei der Entwicklung ganz neuer Recyclingverfahren für Plastik spielen.« Indem man einzelne der bakteriellen Enzyme isoliert, könnte man Stoffe wie PET in seine Bausteine zerlegen – und wiederverwendbar machen.

Erschienen am 28. Mai 2020 

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