Überall dort, wo wir leben, arbeiten und uns fortbewegen, hinterlassen wir Spuren in der Nacht: Lichter, die aus dem Weltall sichtbar werden. Sie verraten mehr, als manchen lieb ist.

 

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Astrid Probst und Valentin Lindlacher

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Image and data processing by NOAA‘s National Geophysical Data Center. DMSP data collected by US Air Force Weather Agency

NASA Worldview

 

 

 

 

Das Flutlicht für den Bolzplatz. Die Straßenlaternen. Das Licht zur Garageneinfahrt. Jeden Abend, wenn die Sonne untergeht, gehen künstliche Lichtquellen an. All das beobachtet F18. Aus etwa 850 Kilometern Höhe sieht der Satellit das Schimmern der Lampen und Leuchtreklamen. F18 erkennt Milliarden sogenannter Nachtlichter, die zu einzelnen Pixeln auf der Karte werden, sich mit anderen Lichtern vereinen und schließlich ein Netz um die gesamte Welt spannen.

F18 ist einer von vielen Satelliten, mehr als 5.000 schwirren um die Erde. F18 braucht für eine Umrundung 101 Minuten. Eigentlich hatte er eine andere Aufgabe als Nachtlichtdaten zu erstellen: Für das Defense Meteorological Satellite Program sollte er Wolken erkennen, bestimmen, wie sie sich bewegen und dadurch vorhersagen, wo es regnen oder stürmen wird. Mit Teleskopen und Sensoren suchte er deshalb schon immer nach Licht, denn Wolken erkannte er daran, dass sie Sonnen- und Mondlicht reflektieren.

Doch neben den Bewegungen der Wolken zeichnete er auch andere Lichtdaten auf. Und so erkannten bereits Ende der 1970er-Jahre Forscher:innen sein großes Potenzial: Die Menschen besser verstehen. Und zwar bequem aus der Vogelperspektive, anstatt mit Forscher:innen im Feld.

Der Satellit F18 sieht in der Nacht, was sich sonst in Statistiken verbirgt: Wohlstand und Bevölkerungsdichte. So wie in dieser Aufnahme von 2013.

Ort: Weltweit
Beobachtung: Die Lichter gehen an

Wo Menschen sind, vertreiben sie die Dunkelheit mit künstlichen Lichtquellen. Gebäude entstehen, Straßen mit ihren Laternen ziehen sich durch Städte und Lichter zeugen davon, dass immer mehr Menschen die Erde bevölkern. Wo Licht angemacht wird, passiert etwas. Da wird gelebt, gefeiert, gearbeitet, produziert und Geld erwirtschaftet. Denn Licht bedeutet vor allem Wohlstand. Als Erster stellte Thomas Croft, ein Wissenschaftler an der Stanford Universität, diesen Zusammenhang im Jahr 1978 her.

Ausgehend von Crofts Ergebnis analysierten im Jahr 2012 drei amerikanische Wissenschaftler 22 Milliarden Lichtdaten aus fast 200 Ländern. In ihrer Arbeit in der Fachzeitschrift American Economic Review zeigten sie, dass Wirtschaftswachstum mit heller werdenden Nächten zusammenhängt. Dafür fassten sie alle Lichtdaten eines Landes zusammen und verglichen die Summe mit dem Bruttoinlandprodukt. Indem sie diese Methode nutzten, konnten sie auch Regionen über Ländergrenzen hinweg untersuchen. Spätestens seit dieser Studie gilt in der Wissenschaft der Grundsatz, dass helleres nächtliches Licht auf Wachstum hinweist.

Auf der Südhalbkugel lässt sich der Bezug zwischen Nachtlichtern und Wohlstand ablesen: Die Aufnahme (2022) lässt in Süd- und Mittelamerika vor allem Hafenstädte strahlen.

Ort: Tansania
Beobachtung: Neue Lichter tauchen auf

Daressalam, die Küstenstadt Tansanias, mit mehr als sieben Millionen Einwohner:innen, ist wie viele andere afrikanische Großstädte eine Stadt im Wachstum. Doch nicht alle wachsen gleich schnell. Ein Faktor hat einen Einfluss: der Ölpreis.

Als dieser Anfang der 2000er-Jahre plötzlich weltweit anstieg und die Preise in Tansania damit fast viermal so hoch waren, hätte man annehmen können, dass sich dadurch das Städtewachstum überall verlangsamen würde. Doch Adam Storeygard fand in den nächtlichen Satellitenaufnahmen von Tansania ein etwas differenzierteres Bild: In der Hafenstadt Daressalaam flackerten weiterhin mehr Lichter. Doch je weiter eine Stadt vom wichtigsten Hafen des Landes entfernt war, desto weniger dehnte sie sich aus. Der Ölpreis hatte offenbar vor allem einen Einfluss auf die Peripherie, auf das Hinterland.

Was Storeygard in Daressalam beobachtete, sah er in fast 300 Städten afrikanischer Küstenländer. Damit zeigte er, dass Energiekrisen und steigende Benzinkosten vor allem schlecht angebundenen Städten schaden, die über weite Strecken hinweg versorgt werden müssen. Denn wollten Händler:innen in Städten fernab der Häfen Getreide, Benzin oder Kleidung einkaufen, wurde das durch lange Fahrtwege teurer. Den Titel für seine Studie, die 2016 in The Review of Economic Studies erschien, wählte er dementsprechend: Farther on down the road.

Ort: Pakistan
Beobachtung: Die Lichter gehen aus und wieder an

Überschwemmungen in Pakistan im Sommer 2022, die Flut im Ahrtal ein Jahr zuvor. Fluten löschen Leben aus – und Lichter. Doch so erbarmungslos, wie Wasser Lichter verschluckte, so beharrlich kämpften sie sich zurück. Es wurde wieder hell, in Pakistan und im Ahrtal galt das ebenso wie auf der ganzen Welt.

Während es im ersten Jahr nach der Flut noch dunkler war, war es bereits ab dem zweiten Jahr wieder genauso hell wie zuvor.

Vier Londoner Wissenschaftler:innen zeigten das, indem sie weltweit Regionen analysierten, die in den letzten 35 Jahren überschwemmt und aus denen mehr als 650 Millionen Menschen vertrieben worden waren. Dafür untersuchten sie jährliche Satellitenbilder und verglichen die Veränderung in Jahresabständen zur Flut. Während es im ersten Jahr nach der Flut noch dunkler war, war es bereits ab dem zweiten Jahr wieder genauso hell wie zuvor. Die Menschen waren zurückgekommen.

Aus welchem Grund sie das taten, erläutern die Forscher:innen nicht. Es könnte die emotionale Verbundenheit zum Ort sein. Die wirtschaftliche Attraktivität der Region. Oder schlicht, weil Umsiedelungsprogramme fehlen, der Wiederaufbau am Ort die einzig (finanzierbare) Alternative bleibt.

Ort: Nordkorea
Beobachtung: Licht geht nicht aus, wo man es erwartet

Als Nordkorea Raketen und Atomwaffen testete, reagierten mehrere Länder mit Sanktionen. Die Wirtschaft Nordkoreas sollte geschwächt, die Lichter dunkler werden. Doch die Nachtlichter veränderten sich nicht wie erwartet.

Yong Suk Lee, ein Wissenschaftler aus Stanford, stellte 2020 fest, dass offenbar vor allem Bauern und die ländliche Bevölkerung in Nordkorea verhängte Sanktionen tragen mussten. In seiner Studie untersuchte Lee, wie sich Nachtlichter zwischen 1992 und 2013 durch Sanktionen verändern. Erschienen ist sie im Journal of Urban Economics.

Obwohl Sanktionen die gesamte Wirtschaft Nordkoreas ausbremsen sollten, beobachtete Lee, dass sie nur manche Regionen trafen. So wurden vor allem solche Städte geschwächt, in denen hauptsächlich Produktionsstätten sind. Ein Beispiel war die Grenzstadt Kaesong. Die Sonderwirtschaftszone arbeitete eng mit Südkorea zusammen und wurde durch die Sanktionen deutlich dunkler.

Ebenso leuchteten Städte nahe der chinesischen Grenze heller. Nordkorea verstärkte also den Handel mit China.

Hingegen sah Lee, dass die Hauptstadt Pjöngjang verschont blieb – die Stadt leuchtete sogar heller. »Wenn die Sanktionen verschärft werden, kann das Regime möglicherweise mehr Ressourcen für Produktionsstädte bereitstellen, die es direkt kontrollieren kann«, schreibt Lee. Mit Ressourcen meint Lee vor allem die Arbeitskraft der Menschen. So schimmerten beispielsweise Bergbauregionen mehr. Das spricht dafür, dass Menschen von dem diktatorischen Regime gezwungen wurden, in einer anderen Fabrik oder Region zu arbeiten. Ebenso leuchteten Städte nahe der chinesischen Grenze heller. Nordkorea verstärkte also den Handel mit China. Weil es für die Diktatur diese Reaktionsmöglichkeiten gab, ist unklar, wie stark die Sanktionen die Lichter beeinflussen. Allerdings liefert die Studie wichtige Ergebnisse, um die Auswirkungen von Sanktionen besser zu verstehen.

Lees Ansatz übernahmen zwei chinesische Forscher, die Auswirkungen der Sanktionen in Russland nach der Krimannexion untersucht haben. Es zeigte sich ein ähnliches Bild: Die politisch wichtigen Zentren Moskau und St. Petersburg und Städte nahe der chinesischen Grenze strahlten wie eh und je, wurden teilweise sogar heller. Hingegen wurden ländliche Regionen, in denen zum Beispiel Bergbauminen lagen, dunkler.

Ort: Bolivien
Beobachtung: Lichter tauchen auf, wo man sie nicht erwartet

Wie Detektive wühlten sich zwei weitere Forscher durch Nachtlichtdaten und entdeckten, dass sich manche Politiker:innen korrupt verhielten: in Bolivien, Sri Lanka und der ganzen Welt. Insgesamt haben Roland Hodler und Paul Raschky in 126 Ländern 38.427 Regionen erforscht. Sie sahen, dass ganz unerwartet kleine, scheinbar unbedeutende Orte heller wurden. Als sie untersuchen, woran das lag, erkannten sie, dass es Geburtsorte neuer Staatsoberhäupter waren. »Einige politische Führer entscheiden sich für eine Politik, die hauptsächlich ihren bevorzugten Regionen zugutekommt. Wir bezeichnen dieses Phänomen Regional Favoritism und betrachten es als eine Form […] der möglichen Korruption«, schreiben Hodler und Raschky. Ihre Arbeit nannten sie Regional Favoritism und veröffentlichten ihre Ergebnisse 2014 im The Quarterly Journal of Economics.

Wo eigentlich nur 11.000 Menschen lebten, hatte er ein Stadion für dreimal so viele Menschen und einen internationalen Flughafen errichten lassen.

Dieser Regional Favoritism zeigte sich etwa in Orinoca, der Heimatregion des damaligen Präsidenten Boliviens. In einer Stadt mit weniger als 2.000 Einwohner:innen und in die zuvor keine befestigte Straße führte, hatte Evo Morales ein Sportstadion für 5.000 Zuschauer:innen bauen lassen. Zudem ließ er die Straße asphaltieren und das größte Museum des Landes bauen.

Die Kleinstadt Orinoca (rechts oben im Bild) im Andenhochland Boliviens hatte nicht viel Schillerndes – bis Evo Morales Präsident wurde und seiner Geburtsstadt zu einem Stadion verhalf.

Auch in Sri Lanka begann die Heimatstadt von Mahinda Rajapaksa zu leuchten, sobald er Premierminister wurde. Wo eigentlich nur 11.000 Menschen lebten, hatte er ein Stadion für dreimal so viele Menschen und einen internationalen Flughafen errichten lassen.

Dafür blieb es in 29 afrikanischen Ländern dunkel, obwohl es durch finanzielle Entwicklungshilfe eigentlich heller werden sollte. China hatte Geld geschickt, das die ländliche Bevölkerung unterstützen sollte. Ann-Sofie Isaksson und Andreas Kotsadam verglichen Regionen, in denen chinesische Projekte gestartet wurden, mit solchen, in die noch kein Geld geflossen war. Doch bei den Nachtlichtern gab es keinen Unterschied zwischen den Gebieten. Um das zu erklären, nutzen sie eine Umfrage zum Korruptionsempfinden an den geförderten und noch nicht geförderten Orten. Die Forscher:innen schreiben: »Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass chinesische Hilfsprojekte die Korruption vor Ort fördern.«

Nachtlichter – wie Hinweise flirren sie in der Dunkelheit. Sie helfen, Menschen besser zu verstehen. Und manchmal sogar, Verbrechen aufzudecken.

Erschienen am 30. März 2023

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Astrid Probst und Valentin Lindlacher

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Image and data processing by NOAA‘s National Geophysical Data Center. DMSP data collected by US Air Force Weather Agency

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