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Thomas Susanka

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NASA

Die Geschichte einer unfreiwilligen Reise.

 

 

Erst als er aus dem All zurückkehrte, bekam der Affe einen Namen. Aus Nummer 65 wurde »Ham«. Schinken, komischer Name – eine Abkürzung für das Holloman Air Force Base Medical Center in New Mexico, in dem er für seinen großen Flug vorbereitet wurde.

Geboren wurde der Affe 1957 im zentralafrikanischen Urwald. Im Alter von wenigen Monaten geriet er in Gefangenschaft, an Bambusstreifen gefesselt wurde er auf einem Markt verkauft. Zunächst an die Rare Bird Farm in Miami, Florida. Dort entdeckte ihn 1959 die US Air Force. Sie kaufte ihn für 457 Dollar und brachte ihn nach New Mexico. Mit 40 anderen Schimpansen sollte Tier Nummer 65 auf eine historische Mission vorbereitet werden: das Mercury-Programm. Es hatte zum Ziel, einen Menschen in den Erd-Orbit zu bringen. Vorbereiten sollte die Erkundung des Weltraums jedoch ein anderer Hominide. Ein Affe.

Vor Nummer 65 waren bereits andere Tiere im Weltall. Berühmt wurde die russische Hündin Laika: 1957 reiste sie im Satelliten Sputnik 2 durch den Orbit. Nach fünf bis sieben Stunden starb sie dort oben, vermutlich an Überhitzung und Stress. Als allererste reisten Fruchtfliegen ins All: Die Amerikaner schossen sie Anfang 1947 mit einer deutschen V2-Rakete 109 Kilometer hoch in den Himmel über New Mexiko und konnten sie lebend bergen. Auch das erste Säugetier wurde 1949 auf einer V2 ins All gefeuert, 134 Kilometer hoch. Der Rhesusaffe Albert II bekam davon nichts mit, er war betäubt. Der Fallschirm an seiner Kapsel öffnete sich nicht, er starb beim Aufprall auf die Erde. Es sollten weitere Tiere folgen: Affen, Mäuse, Hunde, Kaninchen.

In den anfänglichen Tests ging es darum, die Auswirkungen von Schwerelosigkeit, kosmischer Strahlung und den immens hohen Kräften, die beim Raumflug auf den Organismus wirken, zu verstehen. Schimpansen waren dafür wegen ihres menschenähnlichen Körperbaus interessant, und wegen ihrer hohen Intelligenz: An ihnen ließ sich untersuchen, ob Menschen im Weltall wohl Aufgaben erledigen und auf Stimuli reagieren könnten. Für diesen Zweck mussten die Schimpansen trainiert und konditioniert werden. Wissenschaftler und Tierpfleger trainierten die Affen zunächst, auf Metallstühlen still zu sitzen. Sie wurden in Nylonanzüge verpackt an Stühlen festgebunden. So saßen sie nebeneinander, konnten jedoch nicht miteinander spielen – für die sozialen Tiere besonders schwer. Kaum fünf Minuten hielten die Affen aus. Die Trainer fütterten Früchte als Belohnung, um die unnatürliche Lage positiv zu besetzen. Nach und nach lernten die Tiere, ganze Tage so zu verweilen. Später wurden die Affen konditioniert, auf Lichtsignale zu reagieren und entsprechend Hebel zu betätigen: Richtige Reaktionen wurden mit Nahrung belohnt. Auf falsche folgten Elektroschocks. In der Dekompressionskammer schließlich waren die Affen bis zu acht Stunden lang auf ihre Liegen geschnallt, bevor extreme Druckunterschiede den rasanten Anstieg der Rakete simulierten. Die Tiere sollten lernen, unter extremen Bedingungen weiterhin Hebel zu betätigen. Weiterhin Daten für das Experiment zu liefern.

Nach rund eineinhalb Jahren Training wurden schließlich sechs Affen als Kandidaten für einen Weltraumflug ausgewählt. Affe 65 stach wegen seiner guten Ergebnisse und seines umgänglichen Charakters hervor. »He was wonderful«, erzählte sein Tierpfleger Edward Dittmer später dem Historiker Colin Burgess.

Am 2. Januar 1961 erreichten die Schimpansen den Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida. Am 31. Januar wurde Nummer 65 gegen 1 Uhr nachts geweckt und untersucht. Es wurden Elektroden unter seiner Haut angebracht und ein Thermometer acht Zentimeter weit in seinem Rectum fixiert. Um 2:03 Uhr wurde er auf eine Liege geschnallt, an den Füßen Metallplatten für die Elektroschocks. Um 3:02 Uhr bekam er etwas ballaststoffarme Nahrung. Drei Stunden später wurde er in die Spitze der Mercury-Redstone-2-Rakete geladen. Um 11:55 Uhr morgens startete die Rakete. Der Flug verlief nicht planmäßig. Wegen eines fehlerhaften Ventils war die Beschleunigung zu groß. Mehr als die 17-fache Erdanziehungskraft wirkten auf Affe 65. Trotzdem reagierte er auf seine Lichtsignale, betätigte die richtigen Hebel. Vermied den elektrischen Schock an den Fußsohlen. Die Rakete flog 253 Kilometer hoch und 679 Kilometer weit. Während seines 16,5 Minuten langen Raumflugs erlebte Nummer 65 genau 6,6 Minuten Schwerelosigkeit. Bei der Landung im atlantischen Ozean schlug seine Raumkapsel leck, Wasser drang ein. Als die Besatzung der USS Donner mit der Bergung der Raumkapsel begann, war Nummer 65 bereits über 10 Stunden festgeschnallt. Ein Helikopter hob die Kapsel nach zweieinhalb Stunden aus dem Meer.

Abgesehen von einer blutigen Nase schien Ham unverletzt.

Über Hams inneren Zustand gehen die Berichte auseinander. Ein Matrose rief, es gehe ihm gut, »He’s smiling at me!« Doch wenn Affen zu lächeln scheinen, ist das ein Ausdruck für Angst. Jane Goodall, die berühmte Primatenforscherin, deutete ein Foto seiner Gesichtszüge nach dem Flug daher anders: »I have never seen such terror on a chimp’s face.« Bei den folgenden Presseterminen reagierte Ham aggressiv auf Fotografen. Und er weigerte sich, auch nur in die Nähe seiner Raumkapsel zu gehen.

Hams Flug ebnete den Weg für Alan Shepard – nach dem Kosmonauten Juri Gagarin war er am 5. Mai 1961 der zweite Mensch im Weltall – und für den ersten bemannten Flug zum Mond.

Für weitere Experimente war Ham wohl nicht mehr zu gebrauchen. Zeitgenössischen Berichte sprechen von seinem »Ruhestand«, den das noch junge Tier im National Zoo in Washington in einer Einzelzelle verbrachte. Aufnahmen zeigen einen Affen in einem Käfig aus Beton und Stahl – und regen Besucherzuspruch. Zwanzig Jahre später wurde er in den North Carolina Zoo in Asheboro gebracht, wo er noch zwei Jahre mit anderen Schimpansen zusammenlebte.

Am 18. Januar 1983 starb der Affe mit dem Namen Ham.

Erschienen am 14. März 2024

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