Weißbekittelte Physiker, die über Teilchenbeschleuniger rappen oder ohrwurmartige Photosynthese-Erklärsongs – die Kombination von Wissenschaft und Popmusik ist nicht jedermanns Sache. Gregory Berns allerdings dreht den Spieß um: Der Hirnforscher kombiniert Pop mit Wissenschaft, entdeckt die Chartstürmer der Zukunft und liefert möglicherweise das Handwerkszeug für noch eingängigere, noch perfektere Hits.
Der Neurowissenschaftler zeigte bereits, wie der Mensch wirklich zufrieden ist (Buchtitel: „Satisfaction“) oder wie sich kooperatives Verhalten in der Hirnaktivität widerspiegelt. Er durchleuchtete die Genialität von Walt Disney und Picasso („A neuroscientist reveals how to think differently“). Er hat sogar Hunde in den Hirnscanner gesteckt und herausgefunden, was sie denken und wie sie lieben („How Dogs Love Us“). Gregory Berns ist Professor für Neuroökonomie an der Emory University in Atlanta. Er kennt sich aus mit funktioneller Kernspintomografie und mit Verkaufserfolgen; er ist Experte in der bunten Welt des Neuromarketing. Gregory Berns weiß, was man will, noch bevor man es selbst weiß.
2010 knöpfte sich Berns die Popmusik vor. Wie lässt sich die Beliebtheit eines Lieds, der perfekte Chart-Hit vorhersagen? Für seine Studie schob Berns 27 US-amerikanische Teenager in den Hirnscanner. Er spielte ihnen bis dato wenig bekannte Popsongs vor, maß ihre Hirnaktivität und mittelte diese über alle Teilnehmer. Später ließ er sie Fragebögen ausfüllen, nach dem Prinzip: „Wie gut hat dir welches Lied gefallen?“
Tatsächlich konnte Berns anhand der Scans einige zukünftige Hits identifizieren. Die gemessene Aktivität in den Belohnungszentren der jugendlichen Gehirne korrelierte positiv mit dem Erfolg, den die Songs später auf dem echten Markt hatten. Die Fragebögen dagegen: keinerlei Relevanz. Möglicherweise polieren die großen Produzenten ihre Stücke in Zukunft wirklich mit Daten aus dem Hirnscanner auf. Der perfekte Song, kommt er aus der Röhre?
Für seine Neuromarketing-Studie brauchte Berns ein Produkt, das sowohl einfach im Tomografen zu konsumieren als auch emotional gehaltvoll ist – Musik. Allerdings gab es eine weitere Bedingung für die Aussagekraft der Studie: Berns konnte davon ausgehen, dass der Musikgeschmack amerikanischer Teenager recht gut generalisierbar ist. Mit den Tsimane etwa, einem bolivianischen Eingeborenenvolk, hätten die Ergebnisse wohl anders ausgesehen: Der Kognitionswissenschaftler Josh McDermott – Autor eines Nature-Artikels von 2016 – war mit dem Kanu und ein paar Lautsprechern tief ins Amazonasgebiet gepaddelt. Das für unsere Ohren allgemeingültige System von Dissonanzen und Konsonanzen, anstrengenden und angenehmen Klängen also, existiert für die Tsiname nicht, fand er dort heraus. Für die Dschungelbewohner klingen beide Arten von Akkorden gleich gut. Sprich: Die hitprophezeienden Gehirne aus Gregory Berns‘ Studie waren von vornherein geeicht – auf seichten amerikanischen Dudelpop. Bleibt also irgendwie doch alles beim Alten in der Welt der Populärmusik.
Erschienen am 18. März 2018