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Krawall im Netz: Wie streiten wir online?

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Juli Katz

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Lenni Baier

Simon Strick ist Kultur- und Medienwissenschaftler und Autor des Performancekollektivs Panzerkreuzer Rotkäppchen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gender- und Rassismustheorien, populäre Kulturen, Affect Studies sowie Medien- und Kulturanalyse. Für seine Forschung und sein Buch Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus wurde Strick mit dem Hans Bausch Mediapreis 2021 ausgezeichnet. Strick lebt und arbeitet in Berlin.

Warum sich rechte Botschaften online so gut verbreiten

Rechte Positionen kommen nicht vom Mars, sondern mitten aus der Gesellschaft, sagt der Medienwissenschaftler Simon Strick. In seiner Forschung untersucht er rechte Positionen in den sozialen Medien – und wieso sie so anschlussfähig sind.

»Der junge Dorfnazi in der westdeutschen Provinz, wo ich 1974 geboren wurde, hatte sein Zimmer unterm Dach. Wollte man das Dachzimmer über eine steile Treppe betreten, musste man durch eine Deutschlandfahne kriechen. Vom Band ertönte dann der Spruch: ›Sie betreten jetzt deutsches Territorium‹. Ein selbstgebasteltes, nationalistisches Phantasialand wartete hinter der Fahne.« So beschreibt der Medienwissenschaftler Simon Strick in seinem Buch Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus wo Faschismus früher stattfand: im Verborgenen. Heute hingegen, so Strick, findet man Faschismus mitten in der Öffentlichkeit.

Herr Strick, wie unterscheidet sich der nicht-digitale vom digitalen Faschismus?

Gar nicht so sehr. Die Menschen, die offline demonstrieren, wählen gehen und in der Kneipe ihre Proto- oder Neofaschismen planen, machen dort ähnliche Sachen wie im Internet auch. Der digitale Faschismus findet mittlerweile allerdings nicht mehr im Hinterzimmer, sondern auf allen möglichen Plattformen und somit in der Öffentlichkeit statt. Unterstützend wirken Algorithmen und eine Politik, wie sie Twitter/X beispielsweise betreibt. Auch die Botschaften, die rechte und neurechte Akteure sich überlegt haben, sind handhabbarer geworden.

Sie sagen, die Alternative Rechte ziele dabei vor allem auf Emotionen, Affekte, Gefühle ab. Um ein Beispiel zu nennen: Es gibt das Meme der Großmutter mit zwölf Kindern und der Frau mit Schwangerschaftsabbruch und Hund. Welche Gefühle löst es aus?

Ein Meme zu erklären ist schwierig, weil der Kontext wichtig ist. Die rechte Erzählung dieses Memes handelt vom Zerfall des Westens. Sie besagt, linke Politik habe dazu geführt, dass der Westen keine Abwehrkräfte mehr habe. Aus Sicht der Rechten ist der Feminismus ein Element dieser Schwächung und kommuniziere Frauen, keine Kinder zu bekommen, um sich selbst zu verwirklichen – in diesem Fall durch Schwangerschaftsabbruch und Hund. Das widerspricht der völkischen Idee, eigenen Nachwuchs zu produzieren, denn ohne Kinder keine Nation. Hat man auf der anderen Seite eine Oma mit zwölf Kindern, löst so eine Gegenüberstellung aus, dass Frauen ohne Kinder als lächerlich empfunden und beschuldigt werden können, zum Verfall der Nation beizutragen. Das ist der Witz am Faschismus. Er behauptet, Deutsche müssten sich weniger von allen anderen unterdrücken lassen. Dabei ist es anders herum: Rechte Politik ist in Bezug auf persönliche Freiheiten hochgradig invasiv.

Dennoch plädieren Sie dafür, rechte Positionen zu verstehen.

Definitiv. Es heißt häufig, die Rechten kommen vom Mars und greifen von außen die Demokratie an. Meine Lesart ist anders.

Nämlich?

Rechtsextremismus kommt nicht von außen, sondern direkt aus der Gesellschaft. Er greift nicht zuerst die Demokratie an, sondern Menschen, die rassistisch oder sexistisch diskriminiert oder verletzt werden. Die Alternative Rechte hat nur neue Codes gefunden, um bestehende Ressentiments zu befeuern. Sie drückt aus, was viele Menschen sowieso gut finden, bisher aber nicht sagen wollten oder konnten. Seit den 80er-Jahren geben etwa 40 Prozent der Deutschen an, dass sie Deutschland für überfremdet halten. Diese Zahl hält sich konstant. Das heißt, das Gefühl der »Umvolkung« ist mehrheitsfähig. Das nutzt die Alternative Rechte. Sie erfindet keine Geheimpläne, sondern neue Methoden, um eine latente Mehrheitsmeinung auszudrücken.

Trotzdem unterscheiden sich die Bilder, die wir medial präsentiert bekommen, sehr. Auf Demofotos sehen wir brüllende junge Männer. Auf der anderen Seite inszenieren sich Vertreter der Alternativen Rechten als »Mutmacher, Stolzmacher, Aktivmacher, Positionsbestimmer, Gegenaufklärer, Orientierungsgeber, Sommerfestmanager«, wie Sie schreiben.

In den vergangenen Jahren fand eine Veränderung statt, angetrieben zum Beispiel von der Identitären Bewegung (IB). Martin Sellner, der Stratege der IB, formulierte, die Neue Rechte müsse raus aus der Subkultur der 70er- und 80er-Jahre, hin zur Gegenkultur. Dazu gehört, sich bei aktuellen Debatten provokativ einzubringen und Probleme zu besetzen, über die alle anderen auch reden. Strategische Provokation nannte er das. Die Strategie setzt mehr auf Performance, Lifestyle und Aufmerksamkeit und wollte sehr jugendaffin sein. Diese Veränderung ist aber mittlerweile 15 Jahre alt. Ein Effekt davon ist, und das interessiert mich, dass verschiedene rechte Botschaften und Kommunikationen, die sich vielleicht gar nicht selbst als rechts verstehen, relativ normal am öffentlichen Diskurs teilnehmen.

Heißt?

Man geht ins Internet und bespricht in den sozialen Medien, was in der Zeitung zu lesen oder auf Netflix zu sehen war. Dort gibt es eine Grauzone, in der sich zwischen Lügenpresserufen und normaler Medienkritik viele kulturelle Phänomene abspielen. Schnell ist man deswegen bei Aussagen wie »Die Tagesschau lügt« oder »Bei Netflix wird uns nur noch Diversitykram serviert«. Die Kommunikationen durchmischen sich. Es gibt also große rechte Gravitationsfelder um alle möglichen Themen, an denen sich viele Menschen beteiligen. Einige sind strategische Setzungen der Neuen Rechten, andere entstehen quasi organisch. Was ich in den vergangenen fünf Jahren meiner Arbeit beschrieben habe, ist die Durchmischung dieser Kommunikationen, in denen rechte Kulturkämpfer eigentlich alle Themen besetzt haben.

Haben Sie ein Beispiel?

Das Wort Zuwanderung ist mittlerweile negativ besetzt. Das war vor 20 Jahren anders. Für Rechte ist das ein metapolitischer Erfolg. Denn sie wollen zu bestimmten Sachverhalten eine Deutungshoheit herstellen – und zwar schon bevor gewählt oder sich politisch engagiert wird. Wenn ein Wort wie »Diversity« negativ besetzt ist, reagieren viele Menschen im Internet darauf. Und von dieser Reaktanz leben soziale Medien. Rechte haben aus meiner Sicht Reaktionskulturen geschaffen, die offen für alle sind, sie sind partizipativ. So entsteht eine Art Mitmachspiel und eine Sharing Community, die die Algorithmen bedient. Provozierende und irritierende rechte Botschaften werden durch diese Aufmerksamkeitsökonomie mehr Leuten angezeigt und generieren eine größere Reichweite.

Dabei wird ein eigenes aktivistisches Potenzial angeregt: Ich kann selbst teilnehmen – und dafür muss ich nicht mal auf die Straße gehen.

Ja, letztlich funktionieren die sozialen Medien als Aktivierung. Dort kannst du deine Meinung sagen und posten, was du willst. Die Leute fühlen sich dadurch partizipativer und nehmen mehr teil, obwohl sie sich eigentlich nur auf einer technischen Plattform bewegen – und sich danach wundern, wieso niemand ihre Forderungen politisch umsetzt. Eine schöne Unzufriedenheitsschleife.

Dadurch, dass alle posten können, was sie wollen, verbreiten sich auch falsche Informationen. Ist es hilfreich, etwas dagegen zu stellen? Also beispielsweise Faktenchecks oder Links zu validen Quellen darunter zu posten, die die Inhalte widerlegen?  

Klar, aber viel hilft es nicht. Man unterstützt so eher die Themen und den Algorithmus. Deswegen hat es sich etabliert, Inhalte zu screenshotten, um den ursprünglichen Accounts keine Reichweite zu schenken, aber trotzdem etwas richtigstellen zu können.

Was hat sich durch die sozialen Medien sonst noch verändert?          

Die sozialen Medien sind mittlerweile selbst Motor für andere Öffentlichkeiten geworden. Sie produzieren selbst Ereignisse. Der Journalismus bekommt Meldungen mittlerweile von Twitter. Das zeigt sich bei jedem Anschlag und Gewaltverbrechen aufs Neue, aber genauso bei Shitstorms und Falschinformationen. Auf den Plattformen wird ausgehandelt, was hinter einem Anschlag oder einem Bildchen steckt, und darüber wird dann entsprechend berichtet. Durch Journalismus, Fernsehen, Talkshows oder Politik werden solche Medienereignisse und Reaktionen dann zu realen Ereignissen.

Es gibt auch andere Stimmen im Internet, die Affekte und Gefühle zu bedienen wissen. El Hotzo beispielsweise als mainstreamfähiger Linker.

Auf jeden Fall. Der Unterschied ist, dass El Hotzo ein Individuum ist – und keine Bewegung, bei der ich Teil werden kann. Teilweise schafft er zwar Inhalte, die Affekte bedienen und auf die man positiv reagieren kann. Das allein ist aber noch kein Projekt, bei dem sich Leute anschließen können. Die Bedrohungs- und Empowerment-Affekte, die Rechte produzieren, wirken anders.

Nämlich?

Der AfD-Politiker Maximilian Krah hat in einem Video vor allem Türken aufgefordert, die AfD zu wählen, weil auch ihre Arbeitsplätze von Flüchtlingen bedroht würden. Die Kommunikation ist also: Du bist Teil des bedrohten Volkes und solange du bereit bist, Leute auszuschließen, nehmen wir dich temporär ins Kollektiv mit auf. Das ist ein Affektangebot, das bisher keine andere Partei macht, und auch letztlich ein Wahlaufruf.

Momentan inszenieren sich vor allem Frauen in den sozialen Medien als Vorbilder, die sogenannten Tradwives. Sie eifern einem traditionellen Lebensmodell nach und verzichten beispielsweise auf Karriere, um sich zu Hause als perfekte Haus- und Ehefrau zu inszenieren.

Wir haben uns unter Rechtsterrorismus oder Neofaschismus vorgestellt, dass Leute Fahnen, Reihen von Soldaten und einen Führer wiederhaben wollen. Im Internet aber geht es um völlig banale Alltagshandlungen, die nichts mit diesem Totalitarismus zu tun haben. Im Moment gibt es einen großen Markt neuer Influencerinnen, bei denen sich viel um Lebenshilfe dreht. Dort zeigen Frauen, wie sie Gurken fermentieren oder ihren Gemüsegarten anlegen.

Inwiefern kommen dort rechte Narrative zum Tragen?

Ein reaktionäres Geschlechterbild wird als etwas Neues verkauft, als Lifestyle zur Verbesserung der Lebensqualität. Es heißt eben nicht mehr nur »Ausländer raus«, sondern »Tu was für dich selbst«, als Deutsche. Die Inhalte drehen sich auch nicht nur darum, wie man Gurken fermentiert, sondern auch wie man ordentlich seinem Mann dient, was daran »deutsche Tradition« sein soll, oder dass die Nahrungsmittelindustrie lügt und uns vergiftet und so weiter. So wird es anschlussfähig an rechte Narrative, eine andere Botschaft wird mitkommuniziert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Erschienen am 22. November 2024

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Simon Strick ist Kultur- und Medienwissenschaftler und Autor des Performancekollektivs Panzerkreuzer Rotkäppchen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gender- und Rassismustheorien, populäre Kulturen, Affect Studies sowie Medien- und Kulturanalyse. Für seine Forschung und sein Buch Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus wurde Strick mit dem Hans Bausch Mediapreis 2021 ausgezeichnet. Strick lebt und arbeitet in Berlin.