6. April 2020.
Während die Weltgemeinschaft mit ganz irdischen Problemen (Covid-19) kämpft, kümmert sich der damalige US-Präsident Donald Trump um das Sonnensystem.
Per Dekret legt er fest, dass es den USA fortan gestattet sei, Rohstoffe auf dem Mond abzubauen – einem de facto staatsfreien Raum. Damit bestärkt er nicht nur ein Gesetz seines Vorgängers Barack Obama – der Space Act vom November 2015 erlaubt es US-Firmen und Bürger:innen, Ressourcen vom Mond oder von Asteroiden zu nutzen. Er befeuert auch eine internationale Debatte, die seit 54 Jahren schwelt. Und in der eine Einigung Lichtjahre entfernt scheint. Denn es sind nicht nur Fernweh und Entdeckergeist, die Menschen vom Weltraum-Bergbau träumen lassen – sondern auch die Aussicht auf die gigantischen Profite, die eine solche Space Economy langfristig bringen kann.
In diesem Space Race 2.0 bringt sich neben den beiden Weltmächten USA und China auch Luxemburg in Position. Obwohl Regierungen und Privatunternehmen längst Unsummen investieren und komplexe Forschungsprojekte betreiben, bleibt die grundlegendste Frage weiter ungeklärt: Sind Abbau und Nutzung von Weltraumressourcen überhaupt legal?
Fünf internationale Verträge und nicht-verbindliche Resolutionen der UN-Generalversammlung regeln, was der Mensch in unserem Sonnensystem darf und was nicht. Zwei dieser Papiere befassen sich explizit mit der Ressourcennutzung im Weltall: der Weltraumvertrag der Vereinten Nationen von 1967 sowie der Mondvertrag von 1979.
Bis heute haben 111 Nationen den Weltraumvertrag ratifiziert, darunter auch Deutschland, China und die USA. Das Problem: Der Vertrag ist in Teilen sehr vage. So heißt es einerseits, kein Staat darf sich Gebiete auf irgendeinem Himmelskörper aneignen – sie gehören also der gesamten Menschheit; andererseits steht der Weltraum allen Staaten zur Erforschung und Nutzung frei.
Explizit erlaubt ist die lunare Rohstoffgewinnung und -nutzung durch den Weltraumvertrag also nicht. Explizit verboten aber auch nicht.
Darf man das?
Lösen sollte dieses rechtliche Vakuum der Mondvertrag von 1979. Die Konvention hält fest, ein eigens gegründetes internationales Regime solle klare Regeln für die Ressourcennutzung festlegen. Nur: Dieses Regime gibt es bis heute nicht. Auch 2018 scheiterte ein Einigungsversuch der Weltgemeinschaft auf einem Treffen des UN-Ausschusses für die friedliche Nutzung des Weltraums. Bis heute wurde der Vertrag nur von 19 Staaten ratifiziert, darunter keine Weltraummacht. So gilt auch der Mondvertrag als gescheitert und wirkungslos.
»Wer den Weltraum beherrscht, der beherrscht die Welt.«
Stephan Hobe
Nicht für Stephan Hobe. Der Jurist leitet das Institut für Luftrecht, Weltraumrecht und Cyberrecht der Universität Köln und zählt zu den schärfsten Kritikern der momentanen Rechtslage. Er sagt: »Wer den Weltraum beherrscht, der beherrscht die Welt.« Dabei gehe es nicht nur um Rohstoffe, sondern auch um eine Vormachstellung bei der Telekommunikation sowie in militärischen Aspekten. Hobe fordert ein Moratorium für den Abbau von Rohstoffen, bis eine klare, für alle Nationen verbindliche Regelung existiert. »Außerdem muss zunächst bewiesen werden, dass der Abbau von Rohstoffen ohne Schäden an der Mondumwelt möglich ist. Wir dürfen nicht die Fehler wiederholen, die wir auf der Erde gemacht haben«, sagt der Jurist.
Dass etliche Länder die juristische Lücke durch nationalstaatliche Gesetze füllen wollen, sieht er kritisch: »Der Weltraum gehört niemandem, deswegen laufen diese Landesgesetze juristisch gesehen ins Leere.« Dennoch folgte auf den US-Space Act im Jahr 2015 zwei Jahre später Luxemburg mit einem nationalen Weltraumgesetz.
»Viele Experten, darunter auch jene der Vereinten Nationen, sehen es als völlig legal an, Rohstoffe auf dem Mond abzubauen.« Mathias Link
Hier, im zweitkleinsten Land der Europäischen Union, entsteht derzeit eine Art interdisziplinäres Space-Silicon-Valley. Das European Space Resources Innovation Centre (ESRIC) ist als Leuchtturmprojekt für alle technischen Entwicklungen rund um den Weltraum geplant. Auch Mathias Link, Interim-Direktor des ESRIC, sieht Handlungsbedarf bei der Rechtsfrage um den Umgang mit lunaren Rohstoffen. Doch anders als Hobe schlussfolgert er aus der fehlenden Erlaubnis kein Verbot: »Herr Hobe steht mit seiner Meinung ziemlich allein da. Viele Experten, darunter auch jene der Vereinten Nationen, sehen es als völlig legal an, Rohstoffe auf dem Mond abzubauen.« Link ist überzeugt, dass eine dahingehende Entwicklung auf jeden Fall kommen wird. »Wir haben es hier mit einem globalen Trend zu tun.« Die notwendige Forschung hinauszuzögern, bis ein internationaler Regelkonsens erreicht wurde, ist für Link daher der falsche Weg.
Die erste Bohrung auf dem Mond führte der US-Astronaut David Scott durch – knapp 50 Jahre vor Trumps Dekret: Am 1. August 1971, kurz vor Ende des zweiten Mondspaziergangs der Apollo-15-Mission, springt Scott leichtfüßig über den Mondstaub hin zu einem batteriebetriebenen Spezialbohrer. Drei Meter weit soll er den Apollo Lunar Surface Drill in den Untergrund treiben. Die ersten 40 Zentimeter sind kein Problem. Doch dann stockt und hakt es immer mehr. Und nach 1,6 Metern ist Schluss. Der Bohrer steckt fest, geht weder vor noch zurück. Erst beim nächsten Weltraumspaziergang gelingt es Scott und seinem Kollegen Irwin, den Bohrer aus dem Mondgestein zu lösen. Über 25 Minuten lang ziehen sie, so stark sie können, stemmen sich mit ihren Schultern unter die beiden Griffe, bis der Bohrer bricht und Irwin durch den Ruck einige Zentimeter in den Kosmos hinaufschwebt. Dann, endlich, ist es geschafft. »Es geht doch nichts über ein wenig Frühsport«, sagt Scott zu seinem Kollegen. So bringt er mit seinem Team doch noch wertvolle Gesteinsproben zur Erde.
»Die Artemis Accords tragen nichts zur Lösung des Problems bei, denn sie berufen sich weiterhin auf die rechtsirrige amerikanische Haltung« Stephan Hobe
Mit der Artemis-Mission wollen die USA im Jahr 2025 nun die ersten Astronaut:innen seit 1972 auf den Mond schicken. Auch sie werden vor Ort Proben sammeln und für Analysen zurück zur Erde bringen. Die Zeit drängt also, um das juristische Vakuum zu klären. Im Oktober 2020 wurde daher das von der NASA initiierte Artemis-Abkommen verabschiedet. 13 Staaten haben bislang unterzeichnet, darunter auch die USA und Luxemburg. Doch es ist in keiner Weise an irgendwelche internationalen Institutionen gekoppelt. Die USA nutzen schlichtweg ihre Verhandlungsmacht in Sachen Weltraum – und beanspruchen gleichzeitig die Rolle als Gatekeeper für die Nutzung lunarer Rohstoffe. In Bezug auf die Gewinnung und Nutzung von Weltraumressourcen kommt das Papier wie eine Wiederholung des vage formulierten Weltraumvertrags von 1967 daher. »Die Artemis Accords tragen nichts zur Lösung des Problems bei, denn sie berufen sich weiterhin auf die rechtsirrige amerikanische Haltung«, sagt Stephan Hobe.
Was wollen wir vom Mond?
Doch warum ist der Mond überhaupt für den Rohstoffabbau interessant? Welche Stoffe wecken derartige Begehrlichkeiten, dass die Welt – wohl aus Angst vor verlorenen Profiten – seit 54 Jahren streitet?
Bis kurz nach der Jahrtausendwende ging es vor allem um Helium-3. Ein farb- und geruchloses Gas, mit dem sich nicht-radioaktiv Kernenergie erzeugen lässt. Zumindest theoretisch. Denn das Isotop kommt auf der Erde fast nirgends vor. Auf dem Mond ist es zwar auch selten, wird aber immerhin etwa 1.000 Mal häufiger vermutet, gebunden in der oberen Schicht des sogenannten Regoliths – einer Mischung aus Mondstaub und Schutt. Der Hype um Helium-3 war jahrelang gigantisch: Auf der Erde würde es die Stromprobleme der Menschheit lösen; der Geologe Harrison Schmitt, 1972 selbst als Astronaut auf dem Mond, visioniert in einem Artikel von 2004, dass Helium-3 bald mit Robotern abgebaut und via Spaceshuttle oder riesigen Kanonen zur Erde geschickt werde. Mehrere Untersuchungen haben mittlerweile berechnet, dass dieses Vorhaben in etlichen Jahrzehnten zwar technisch möglich sein könnte – aber völlig unwirtschaftlich wäre.
»Die Raumfahrt muss nachhaltiger werden, gerade wenn es darum geht, längerfristige bemannte Aktivitäten im Weltraum zu ermöglichen« Bernhard Hufenbach
Heute geht es längst nicht mehr darum, Stoffe zurück auf die Erde zu transportieren. Sondern, sie nach ihrer Gewinnung direkt auf dem Mond zu verwenden – für die Herstellung von Energie und Treibstoff, die Wasser- und Sauerstoffversorgung von Astronaut:innen sowie die Produktion von Werkzeugen und Baumaterialien. »Die Raumfahrt muss nachhaltiger werden, gerade wenn es darum geht, längerfristige bemannte Aktivitäten im Weltraum zu ermöglichen«, erklärt Bernhard Hufenbach. Der deutsche Ingenieur arbeitet seit 30 Jahren bei der europäischen Weltraumorganisation ESA und leitet die Abteilung Kommerzialisierung und Innovationsma-nagement für bemannte und robotische Exploration. Er sagt: »Wir können nicht ständig hin- und herfliegen.« Nicht nur aus Umweltgründen – auch die Transportkosten spielen eine Rolle: Es kostet derzeit etwa 1,2 Millionen Euro, um ein Kilo Material auf die Mondoberfläche zu transportieren.
Auch geht es nicht mehr um Helium-3. Heute stehen gefrorenes Wasser und Regolith im Fokus: Fast auf seiner gesamten Fläche ist der Mond von dieser vier bis fünf, teilweise sogar 15 Meter dicken Schicht bedeckt, die sich über Millionen Jahre durch den Einschlag von Meteoriten bildete. Regolith besteht zu etwa 40 Prozent aus Sauerstoff, der in diversen Mineralien und Gläsern gebunden ist: Silizium, Aluminium, Eisen, Kalzium, Natrium, Kalium, Wasserstoff, Magnesium und Titan.
»Derzeit wissen wir zwar ziemlich genau, welche Stoffe es auf der Mondoberfläche gibt, aber kaum, wie sie im Untergrund verteilt sind, in welcher Menge sie vorkommen und wie sie konkret beschaffen sind«, sagt Carolyn van der Bogert, Planetengeologin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schließen soll diese Wissenslücke unter anderem eine NASA-Sonde, die seit 2009 um den Mond kreist, um die gesamte Oberfläche zu kartieren. Doch selbst deren hochauflösende Messungen müssten durch Vor-Ort-Proben und Analysen verifiziert und ergänzt werden, sagt van der Bogert.
Wie baut man Ressourcen ab im All?
Bevor aber Astronaut:innen diesen Job übernehmen, werden autonome Miniroboter über den Mondstaub rollen. Die NASA entwickelt und testet dafür die Roboter Athlete und Viper, die ESA will ab 2025 mit Prospect ins Rennen gehen. Die autonomen Rover sind mit verschiedenen Werkzeugen ausgestattet, sie graben, bohren, sammeln – unter anderem sollen sie am lunaren Südpol nach gefrorenem Wasser suchen. Doch die Pläne der Europäer gehen noch viel weiter: Bis 2030 will die ESA Mondstaub und -plasma auch direkt vor Ort analysieren und Proben von mindestens zwei bislang unerforschten Stellen zurück zur Erde bringen. Und bis Mitte des nächsten Jahrzehnts, so der Plan, will die Organisation eine Versuchsanlage auf dem Mond platzieren, in der Ressourcen direkt vor Ort verarbeitet werden.
Getestet werden Anlagen wie diese auf der Erde; wie aber können sie auf dem Mond funktionieren, wo ganz andere Bedingungen herrschen? Enrico Stoll ist Fachgebietsleiter Raumfahrttechnik der TU Berlin und konfrontiert mit Fragen wie: Wie lässt sich Regolith abbauen? Welche Werkzeuge braucht es dafür? Welche Herausforderungen hält der Mond bereit?
Rund 380 Kilogramm Regolith gibt es auf der Erde, amerikanische Astronaut:innen haben sie von ihren Apollo-Missionen mitgebracht. Die NASA hütet das harte, scharfkantige Material wie einen Schatz und rückt es für wissenschaftliche Untersuchungen so gut wie nie heraus. »Allerdings wissen wir, woraus der Regolith besteht und können uns diesen Materialmix selbst zusammenstellen lassen«, sagt Stoll.
Die nächsten Herausforderungen: Weil der Mond keine Atmosphäre hat, müssen alle Abbauprozesse im Hochvakuum getestet werden. Und um die geringe Schwerkraft auf dem Mond zu simulieren – dort wirkt nur etwa ein Sechstel der Erdgravitation – lassen die Ingenieur:innen ihre Geräte im Einstein Elevator in Hannover in die Tiefe sausen. So entstehen in diesem Fallturm unterschiedliche Gravitationsbedingungen und machen es zum Beispiel möglich, 3D-Druckverfahren unter Mondbedingungen zu testen. An den Techniken zum lunaren Rohstoffabbau, soviel ist klar, wird eifrig geforscht – die großen Player im Weltraumgeschäft scheinen sich in Stellung zu bringen. Eine Frage aber, die bleibt weiter offen: Darf man? Oder darf man nicht?