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Bernd Eberhart

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TU Dresden, Henrik Bringmann

 

 

 

 

 

 

Wenn ihn die Forscher:innen mit feinen Glasnadeln ritzen, schläft er ein. Der Wurm flüchtet sich in den Schlaf, um seine Haut und sein Würmerleben zu retten.

Der Wurm ist ein kleiner Fadenwurm, Caenorhabditis elegans. Die Forscher:innen sind Henrik Bringmann und seine Kolleg:innen am Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden. »Warum schlafen wir?« – diese Frage wollen sie hier bearbeiten. Und weil das im Falle des »wir«, beim Menschen also mit seinen Milliarden von Nervenzellen, eine sehr, sehr große Frage ist, wollen sie die Sache ein wenig vereinfachen. Und fragen: Warum schläft der Wurm?

C. elegans hat eine sehr praktische Eigenschaft: die Eutelie. Alle Wurm-Individuen eines Geschlechtes sind aus exakt gleich vielen Zellen aufgebaut. Wurm-Männchen besitzen genau 1.031 Körperzellen. Beim Hermaphroditen, beim Wurm-Zwitter also, sind es 959 Zellen; 302 davon sind Nervenzellen.

Schläft der Wurm ein, dann dämmert er nicht zufällig weg, Schlafen ist ein aktiver Prozess: 301 von seinen 302 Nervenzellen sind dann weitgehend ausgeschaltet. Eine einzige Nervenzelle aber ist hellwach: das RIS-Neuron. Henrik Bringmann hat es mit einem fluoreszierenden Protein markiert. Und kann nun unter dem Fluoreszenzmikroskop anhand eines grünen Leuchtens erkennen, wenn RIS aktiv ist.

RIS ist ein »schlafaktives Neuron« – es dimmt andere Nervenzellen und schickt sie in den Ruhezustand. Um seine Funktion zu erforschen, rütteln Bringmann und Kolleg:innen immer wieder an den Kammern, in denen ihre Würmer liegen, und halten sie vom Schlafen ab. Damit unterdrücken sie zunächst die Aktivität des RIS-Neurons. Doch dann können sie beobachten, wie RIS immer aktiver und schließlich überaktiv wird, so lange, bis der betroffene Wurm endlich doch einschläft. Auch was danach in den Wurm-Zellen passiert konnte Bringmann verfolgen, wie er im Sommer 2022 in einem Forschungsartikel beschreibt: Die Aktivität von RIS stößt eine Kaskade an zellulären Prozessen an. Unter anderem konnten die Wissenschaftler:innen messen, wie sogenannte Hitzeschockproteine vermehrt produziert werden. Diese helfen dabei, Zellen zu stabilisieren und schädliche Umwelteinflüsse abzuwehren.

Normalerweise kann der Wurm gut mit den leichten Hautverletzungen umgehen, die ihm die Forscher:innen mit ihren Glasnadeln zufügen – im Schlaf angestoßene Reparaturprozesse stellen die Haut wieder her. Fehlt der Schlaf aber komplett, wird es kritisch für C. elegans. Bei einigen Individuen haben die Forscher:innen das RIS-Neuron dauerhaft ausgeschaltet. Und stellten fest: Ein Wurm, der nicht schläft, stirbt deutlich wahrscheinlicher an den Verletzungen als ein ausgeschlafener Wurm.

»Eine Verletzung ist ein Signal für den Wurm: Ich muss schlafen«, erklärt Bringmann. »Umgekehrt wird das Tier sensitiver gegenüber Verletzungen, wenn es nicht schlafen kann.«

Beim Menschen gibt es nicht nur eines, sondern tausende schlafaktive Neurone, die andere Nervenzellen herunterregeln und das Gehirn in einen Schlafzustand versetzen. Doch Henrik Bringmann kann sich gut vorstellen, dass Schlafneuronen bei Säugetieren in ähnlicher Weise daran beteiligt sind, die Produktion von schützenden Proteinen anzustoßen. Vielleicht sollte sich auch der Mensch öfter mal in den Schlaf flüchten.

Erschienen am 30. März 2023

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TU Dresden, Henrik Bringmann

 

 

 

 

 

 

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