Text
Andrew Müller

Bild MPI

 

 

 

 

 

 

Er trägt eine Totenkopf-Zeichnung auf dem Rücken, stiehlt Bienen den Honig und kann quieken wie eine Maus. Acherontia atropos ist ein ungewöhnlicher Schmetterling. Früher glaubte man, er kündige Tod und Unheil an, seine Flügelschuppen machen blind und er verbreite das Klagen schmerzerfüllter Kinder. Berühmt wurde der Totenkopfschwärmer dann durch den Film Das Schweigen der Lämmer.

Doch auch die Wissenschaft interessiert sich für das Tier. Der Biologe Myles Menz vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie suchte im Sommer 2018 und 2019 die Kartoffelfelder bei Bern nach Raupen des Falters ab, sammelte einige ein und zog sie auf. Das tat er im Rahmen einer Studie über das Flugverhalten nachtaktiver Insekten. Denn manche Arten wandern tausende Kilometer, wie Zugvögel. Dass sie sich dabei eher passiv vom Wind treiben ließen, war eine verbreitete These, die Menz prüfen wollte. 

Warum ausgerechnet der Totenkopfschwärmer zum Studienobjekt wurde, lag an seiner Größe: Er ist der Jumbojet unter den europäischen Insekten. Mit bis zu 13 Zentimetern Flügelspanne und einem massiven Körperbau kann er locker einen kleinen Funksender tragen. »Außerdem hat der Falter eine entspannte Persönlichkeit«, sagt Menz. »Er ist ruhiger als seine Verwandten und fliegt nicht so schnell weg.« Das habe das Anbringen erleichtert. 

Insgesamt 26 Falter bekamen einen Sender aufgeklebt und im Herbst ging die Reise los. Denn Totenkopfschwärmer mögen es warm: Im Frühling fliegen sie aus Südeuropa oder Afrika zu uns, wo sie sich vermehren und sterben. Im Herbst wandert dann ihr Nachwuchs zurück in den Süden; dabei wollte Menz sie begleiten. Dafür brachte er ein bis drei Falter pro Abend in Plastikboxen zum Flughafen Konstanz und ließ sie in die Dämmerung abheben. Dann setzte er sich zusammen mit Martin Wikelski in eine Cessna 172. Wikelski ist Leiter des Max-Planck-Instituts und Pilot; er steuerte das kleine Flugzeug. Sie kreisten über den Tieren, manchmal stundenlang, bis wenigstens eines davon seine Wanderung begann. Dann folgten sie dem piependen Radiosignal. 

Die Falter flogen im Schnitt 33,8 Stundenkilometer – deutlich langsamer als ein Flugzeug. Trotzdem war die Verfolgung mit dem Auto keine Alternative: Ein Totenkopfschwärmer interessiert sich nicht für Straßen, fliegt auch mal über entlegene Pässe. Bei 14 Schwärmern glückte der Versuch und es zeigte sich: Zwar nutzten sie teils auch Winde, aber nie ausschließlich. Damit war die These, sie ließen sich passiv treiben, widerlegt. In ihrer 2022 im Journal Science erschienenen Studie schreiben Menz und seine Kolleg:innen: Selbst bei Gegenwind aus wechselnden Richtungen flogen die Falter immer in einer schnurgeraden Linie. »Das ist sehr selten bei Tieren, die über große Strecken wandern«, sagt Menz. »Man hatte es bisher nur bei Walen und Wasserschildkröten nachgewiesen.« Vermutlich nutzen die Falter zur Orientierung optische Signale wie den Mond, aber auch das Magnetfeld der Erde. 

Sie dokumentierten die Route eines der 14 Totenkopfschwärmer über fast 90 Kilometer, so weit wie kein einzelnes Insekt je zuvor, bis die Schließung der Flughäfen sie zum Umkehren zwang. Doch Wikelski setzte sich frühmorgens ins Auto und fuhr Richtung Italien. Tatsächlich: Er lokalisierte die Sender zweier Falter, die versteckt in der Vegetation ruhten. Sie waren weiter geradeaus geflogen – und hatten die Alpen in nur einer Nacht komplett überquert. 

Erschienen am 30. März 2023

Text
Andrew Müller

Bild MPI