
D. B. Cooper: Können Hobbyforschende einen der größten Fälle des FBI lösen?
Auf einer Konferenz in Seattle ist ein ganzes Rudel Amateur-Detektiv:innen dem mysteriösen Flugzeugentführer D. B. Cooper auf der Spur – 50 Jahre nach der Tat. Können sie den Fall lösen?
»Ich sah Tina, die auf der anderen Seite des Gangs saß. Und neben ihr auf dem Mittelsitz saß dieser Typ und er hat einen Aktenkoffer dabei.« Wenn Bill Mitchell vom 24. November 1971 erzählt, dann springt er plötzlich in die Gegenwartsform, als säße er wieder im Flugzeug, ganz hinten, Reihe 18, links, auf dem Heimweg von der Uni. Er sagt: »Ich bin ein 20-jähriger Student im zweiten Jahr an der University of Oregon und ich kann nicht nachvollziehen, warum diese blonde, junge Flugbegleiterin neben diesem Typen mit der schmalen Krawatte sitzt und ihm so viel Aufmerksamkeit schenkt. Ich denke: braune Schuhe, schwarze Socken – das passt nicht zusammen. Und sein Anzug war auch nicht besonders stylisch. Ich verstehe es nicht.«
Später, als das FBI ihn interviewte und Mitchell jede Menge Details lieferte, da sagte ein Ermittler: »Die meisten Leute wissen nicht so viel über jemanden, der neben ihnen sitzt.« Und er sagte, was er nun auf der Bühne im Museum of Flight gerne wiederholt: »In meinem Kopf habe ich auf diesem Typen rumgehackt, weil ich nicht glauben konnte, dass sie mit ihm sprach und nicht mit mir, einem 20-jährigen Studenten, der sehr viel attraktiver war.« Er hustet einen Lacher, der im Lachen seiner Zuhörer:innen fast untergeht.
Während des gesamten Fluges ahnten weder Mitchell noch die 35 anderen Passagiere, dass dieser Typ mit dem Aktenkoffer das Flugzeug entführte.
Es ist außergewöhnlich still in dem finsteren Raum im Museum of Flight in Seattle. Ich versuche, meinen Kugelschreiber so leise wie möglich über das Papier gleiten zu lassen. Und auch die 30 Leute neben mir geben kaum einen Laut von sich: Obwohl die Konferenz, auf der wir sind, eigentlich ein entspanntes Zusammentreffen ist mit viel Schulterklopfen und Umarmungen, spüre ich eine Anspannung. Ich weiß zwar, was vor fast genau 53 Jahren an Bord des Northwest-Airlines-Fluges 305 passiert ist. Aber als ich es von einem der wenigen Menschen höre, die dabei waren, wird es viel wirklicher – eines der größten Rätsel in der Geschichte des FBI, bis heute ungelöst.
Am 24. November 1971 kaufte ein Mann ein Flugticket von Portland, Oregon nach Seattle, Washington – ausgestellt auf den Namen Dan Cooper. Als er im Flugzeug saß, bestellte er Bourbon und 7 Up, rauchte eine Zigarette nach der anderen und reichte der Stewardess einen handbeschriebenen Zettel, auf dem stand: Miss, ich habe eine Bombe hier und möchte, dass Sie bei mir sitzen (den Zettel verlangte er später zurück, um keine Spuren zu hinterlassen). Cooper öffnete seinen Aktenkoffer einen Spalt weit und zeigte ihr ein Gewirr aus Kabeln, die mit acht zylindrischen Objekten und einer Batterie verbunden waren, und verlangte vier Fallschirme und 200.000 Dollar in 20er-Scheinen (das entspricht heute einem Wert von mehr als einer Million Dollar). In Seattle angekommen, erhielt er Geld und Fallschirme und ließ dafür die Passagiere frei. Danach befahl er der Crew, ihn weiterzufliegen. Zuerst wollte er nach Mexiko City. Schlussendlich hob das Flugzeug ab mit dem Ziel Reno, Nevada. Doch Cooper kam nie dort an. Mitsamt Fallschirm und Geld sprang er von den Treppen am Heck des Flugzeugs. Und wurde nie gefunden.
Fast zehn Jahre später grub ein Junge am Ufer des Columbia River im Sand, um eine Feuerstelle freizuschaufeln, der Strand heißt Tena Bar. Dabei fand er drei Bündel mit Geldscheinen – 6.000 Dollar. Die Seriennummern der 20-Dollar-Scheine stimmen mit denen des Lösegelds im Cooper-Fall überein.
36 Jahre lang hielt das FBI Informationen zurück, die den Fall betreffen. Erst 2007 ließ die Behörde landesweit Artikel dazu veröffentlichen – in der Hoffnung, dass es Hinweise gebe aus der Bevölkerung. Damals erfuhr die Öffentlichkeit erstmals, dass eine schmale schwarze Krawatte auf dem Sitz von Cooper gefunden wurde. 2016 schloss das FBI den Fall. Und seit 2017 scannt und veröffentlicht ein Praktikant des FBI jeden Monat 500 Seiten der Cooper-Akten. Mehr als je zuvor lädt der Fall um Dan Cooper – oder auch D. B. Cooper, wie er wegen eines Fehlers in einem Zeitungsartikel heißt – seitdem ein ganzes Rudel an Hobbykriminalist:innen zum Nachforschen und Diskutieren ein, zum Miträtseln, zum Detektivspielen.
Familientreffen
Was viele von ihnen antreibt: ein Rätsel zu lösen, das noch niemand vor ihnen gelöst hat. Darum kommen einige der Hobbykriminalist:innen seit 2018 jeden November zusammen, um sich über neue Erkenntnisse auszutauschen und Wissenschaftler:innen und anderen Hobbyforscher:innen zuzuhören. Dieses Jahr verbringen sie den Großteil ihres Wochenendes in einem fensterlosen Raum, der sie vor der Kälte und dem Regen Seattles schützt. Und verlassen ihn nur, wenn gerade kein Autor, Historiker, Fallschirmexperte oder keine Forscherin einen Vortrag hält. Da ist Josefine, die – so wie ich – extra aus Deutschland angereist ist, und Greg aus Florida, der mich herumführt, als gehöre er zum Inventar, obwohl auch er zum ersten Mal hier ist. Da ist eine Frau aus Kanada, die uns davon überzeugen will, dass ihr verstorbener Stiefvater Dan Cooper war.
Die DB Cooper Conference fühlt sich an wie ein jährliches Familientreffen, das die Familienmitglieder liebevoll CooperCon nennen und bei dem sie darüber munkeln, wer Cooper gewesen sein könnte: Könnte der Special-Forces-Befehlshaber Ted Braden dahinterstecken? Oder doch Barbara Dayton, die als Robert Dayton geboren wurde und stets das Gefühl hatte, nicht dazuzugehören – weder als Mann noch als Frau – und deswegen wütend war auf die Welt und den perfekten Überfall plante? Nannte er sich wegen eines französischen Comics Dan Cooper? War er in der Armee, oder vielleicht Pilot? Hatte er Erfahrung im Fallschirmspringen?
Dass er den Sprung aus dem Flugzeug überlebt hat, darin scheinen sich die Cooper-Forscher:innen einig. Stattdessen diskutieren sie die Frage, wo er wohl gelandet ist. Wie das Geld nach Tena Bar kam. Und darüber, was wohl passierte, nachdem Cooper gelandet war. Oder was Tina jetzt macht – Tina Mucklow also, eine der Flugbegleiterinnen, denen Cooper den Inhalt seiner Aktentasche zeigte.

Neulinge brauchen ein wenig Vorwissen, etwa um zu verstehen, dass die 302er, von denen alle sprechen, die Formulare des FBI sind. Und sie brauchen einen guten Guide. Jemanden wie Ryan Burns, der sich durch diese 302er liest, von denen das FBI bisher ungefähr die Hälfte der 85.000 Seiten veröffentlicht hat. Burns ist Rechtsanwalt mit einem Business, das von selbst läuft, wie er sagt. Das gibt ihm Zeit, viel Zeit, um sich mit dem Cooper-Fall zu beschäftigen: »Sechs bis sieben Stunden am Tag, wenn ich mich danach fühle.«
Immer, wenn Fragen in der Dunkelheit des Raums stehen, die sonst niemand zu beantworten weiß, entschuldigt sich Ryan Burns dafür, dass er unterbricht, und teilt sein Wissen. Manche seiner Sätze beendet er nicht, weil er schon den nächsten Gedanken formuliert. 2007, als das FBI Fakten rund um den Fall veröffentlichte, studierte er gerade Jura und begann, in Internetforen nach Hinweisen über Cooper zu suchen. Heute ist er einer der Organisatoren der CooperCon und lädt fast jede Woche ein Video mit neuen Erkenntnissen zu dem Fall auf seinen YouTube-Kanal hoch.
Burns ordnet gerade Gegenstände auf den Tischen vor der Bühne – alte Zeitungsartikel, einen Fallschirm, einen Dan-Cooper-Comic in deutscher Übersetzung, das Originalflugticket des Augenzeugen Bill Mitchell, einen Sack, der gleich schwer ist wie der Geldsack, den Cooper gefordert hatte, einen der halb verrotteten 20-Dollar-Scheine von Coopers Lösegeld. Dann erklärt er mir: »Was das eigentlich ist: ein cleverer Banküberfall. Normalerweise brauchst du einen Fluchtwagen, um wegzufahren vom Tatort. Aber hier ist es so: Du überfällst eine Bank und dann fliegt die Bank weg.« Der Tatort verlässt den Täter. Und auch der Täter verschwindet.

D. B. Cooper, sagt Burns, existierte ungefähr fünf Stunden. In den letzten Minuten war er allein im hinteren Teil des Flugzeugs, die Crew hatte er ins Cockpit geschickt. Niemand sollte nach hinten kommen. Gegen 20.05 Uhr sprach er über das Bordtelefon die letzten Worte: ob alles ok sei, fragte die Crew, und er antwortete, alles sei ok. So steht es in der Zeugenaussage von Tina Mucklow und in den Kommunikationstranskripten der Northwest Airlines. Was danach geschah, ist so unklar und wolkig, wie die Nacht, in die er sprang.
Rechnen und raten
Je länger ich auf der Konferenz bin, desto mehr verstärkt sich mein Verdacht, dass es in der CooperCon-Familie zwei Lager gibt: Die einen wollen herausfinden, wer sich hinter Cooper verbirgt – sie versuchen, dem Mann einen Namen zu geben, eine Geschichte und ein Gesicht, das mehr ist als ein Phantombild. Und die anderen stecken ihre Gedanken und ihr Wissen in die Lösung der vielen anderen Rätsel, die diesen Fall umgeben. Wann genau sprang Cooper von der Treppe am Heck des Flugzeugs? Wann öffnete er den Fallschirm? Wo landete er?
Karen Humes unterrichtet an der Fakultät für Erd- und Raumwissenschaften der Universität von Idaho und interessiert sich vor allem für diese technischen Details. Wenn sie spricht, dann mit einem Lächeln – das zu einem Lachen wird, wenn sie erzählt, dass sie in den 80ern mal mit jemandem zusammengearbeitet hat, der Dan Cooper hieß. Sie sagt: »Ich hatte immer das Gefühl, die Landschaft ist eine eigene Figur in diesem Rätsel.«
Als das FBI nach Cooper suchte, gingen die Ermittler:innen davon aus, Cooper sei gegen 20.11 Uhr aus dem Flugzeug gesprungen – das würde bedeuten, er wäre in der Wildnis in der Nähe des Lake Merwin gelandet. Doch die Kommunikationstranskripte des Fluges 305 sprechen dafür, dass Cooper später gesprungen ist, um 20.13 Uhr oder 20.15 Uhr. Das bedeutet, er wäre näher an der Zivilisation gelandet, vielleicht im Flachland vor Vancouver, Washington. Die Landezone von Cooper lässt sich zumindest eingrenzen – auf ein Gebiet von 14 bis 19 Kilometern.
Dieses Gebiet hat Humes gemeinsam mit ihren Student:innen in einer interaktiven Karte sichtbar gemacht, während eines Uni-Kurses. Ihre Studentin Bailee Zinzer sagt: »Manchmal schafft man es erst, Verbindungen herzustellen, wenn man etwas visualisiert.« Zinzer studiert eigentlich Vulkanologie und interessiert sich dafür, wie man vulkanische Gefahren überwachen kann. Dafür nutzt sie GIS. GIS steht für Geoinformationssysteme und umfasst verschiedene Methoden, mit denen sich räumliche Daten erfassen, bearbeiten, analysieren und visualisieren lassen.
Richie Thaxton, der ebenfalls an der Karte mitgearbeitet hat, sagt: »Mit GIS könnten wir einige der vielen Fragen in dem Fall beantworten.« Thaxton studiert eigentlich Dendrochronologie, er beschäftigt sich also mit Jahresringen von Bäumen.

Noch nie zuvor war ich an einem Ort, an dem Menschen mit so unterschiedlichen Hintergründen an einer Sache arbeiten und mithilfe ihres Fachwissens immer wieder neue Wege einschlagen in diesem Labyrinth, die eine Person allein niemals gefunden hätte. Während der Vorträge melden sich immer wieder Leute aus dem Publikum. Mal sagt jemand, dass die Verbindung von Quecksilber und Silber, die auf Coopers Krawatte gefunden wurde, auch in der Zahntechnik vorkommt. Oder dass forensische Linguistik dabei helfen könnte, die Sätze zu untersuchen, die von Cooper überliefert sind.
Auch in die interaktive Karte ist Wissen aus verschiedenen Disziplinen geflossen, erzählt Karen Humes und dankt einer ganzen Reihe von Leuten. Mit deren Hilfe konnten ihre Student:innen eine schwarze Linie auf einer alten gelben Luftbildkarte der Air Force in die Gegenwart übertragen.
Ich zoome in die interaktive Karte hinein und hinaus und sehe:
- rote X, die die Position des Flugzeugs zu bestimmten Zeiten darstellen
- Flusseinzugsgebiete und Flüsse
- Eisenbahnlinien
- Orte mit angezeigten Straftaten, die nicht unbedingt etwas mit dem Fall zu tun haben müssen, aber vielleicht könnten
- Sichtungen von Menschen, die D. B. Cooper sein könnten
- andere interessante Punkten wie etwa Tena Bar
- und die geschätzte Landezone von D. B. Cooper in drei Szenarien:
- wenn er den Fallschirm nicht geöffnet hat und nach ungefähr einer Minute im freien Fall am Boden aufkam
- wenn er den Fallschirm in 600 Metern Höhe geöffnet hat
- und wenn er den Fallschirm schon auf den Treppen des Flugzeugs in 3.000 Metern geöffnet hat und nach ungefähr sieben Minuten landete. In diesem Szenario hat er sich am weitesten von der Flugroute des Flugzeugs entfernt.
Was ich auf der Karte auch deutlich sehe, ist schon das nächste Rätsel: Tena Bar, der Strand, an dem das Geld gefunden wurde, liegt nicht auf der Flugroute, sondern sehr viel weiter westlich.
Wer war D. B. Cooper?
Als ich Ryan Burns frage, wer Cooper wohl war, höre ich ihn zum ersten Mal zögern: »Es ist lustig, denn ich glaube, ich bin einer der weltweit führenden Experten in dieser Sache, aber ich weiß nicht mal, wer er sein könnte. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, er war ein 45-jähriger ehemaliger Soldat, der in das Verbrechen abdriftete. Das war nicht sein erstes Verbrechen. Du wachst nicht eines Tages auf und entführst ein Flugzeug.«
Millionen von Menschen könnten Cooper sein, sagt Burns. Er erzählt von einem Nachahmungstäter, der einige Monate nach Cooper eine ähnliche Flugzeugentführung beging und mit 500.000 Dollar Lösegeld absprang. Er war ein ehemaliger Tankwart, der noch nie in seinem Leben einen Fallschirm aufgespannt hatte. Hätte sein Komplize nicht Angst bekommen und ihn verraten, wäre auch diese Entführung vielleicht noch ungelöst, sagt Burns: »Er war ein ganz normaler Typ, der nie zuvor aus einem Flugzeug gesprungen ist. Wir hätten ihn nie gefunden. Genauso könnte Cooper ein völlig zufälliger Typ ohne besonderen Hintergrund gewesen sein.«
Anders als ein Nachahmer muss Cooper gewusst haben, dass sein Plan aufgehen kann, mehrere Augenzeugen beschrieben ihn als cool und gelassen, selbstsicher. Vielleicht hatte er Pilotentraining und Fallschirmtraining. Burns sagt: »Er muss gewusst haben, dass die Treppen des Flugzeugs während des Fluges heruntergelassen werden können und dass man von dort abspringen kann. Sonst wäre er gefangen gewesen in einer Aluminium-Gefängniszelle.«
Es gibt auch ein Beweisstück, das darauf hinweist, wer Cooper war: eine Krawatte. Sie wurde auf seinem Sitz gefunden, mit hoher Wahrscheinlichkeit gehörte sie ihm. Ein Glücksfall für Ermittler:innen, denn: Eine Krawatte ist ein Kleidungsstück, das so gut wie nie gewaschen wird und jede Menge Dreck und Schmutz ansammelt – und Hinweise. Das weiß niemand so gut wie Tom Kaye.
Kaye ist wohl der bekannteste aller D. B. Cooper-Forscher:innen. Dabei, so sagt er, ist das sein kleinstes Projekt, aber eines, an dem er gern arbeitet, weil hier – anders als so oft in der Wissenschaft – die Leute dankbar dafür sind, was er macht. Eigentlich ist Kaye Paläontologe in Rente. Doch Ruhestand bedeutet für ihn, nach Dinosaurierfossilien in Wyoming zu graben oder an einem Teleskop zu bauen, um extrasolare Planeten zu entdecken.
Das FBI ist dem Fall D. B. Cooper lange nachgegangen – ohne Erfolg. 2011 veröffentlichte die Organisation ein Video auf YouTube, in dem ein Agent erklärt, warum das FBI nun mit Hobbyforschenden zusammenarbeitet. »Es ist Zeit, jemandem anderen die Chance zu geben«, sagt der FBI-Agent im Video.
2008 kam er zum ersten Mal mit dem Cooper-Fall in Berührung: Für das FBI analysierte er das gefundene Lösegeld und fand darauf Kieselalgen – und zwar von Arten, die im Sommer blühen. In dem Paper, das er dazu veröffentlichte, schloss er: Das Geld muss einige Monate nach der Entführung eine Zeit lang im Wasser gelegen haben, bevor es vergraben wurde.
Heute sagt er: »Als ich gefragt wurde, ob ich das Geld analysiere, dachte ich, das wäre eine Sache von ein paar Wochen. Heute bin ich immer noch dabei. Aber ich wäre nicht hier, wenn wir nicht Fortschritte machen würden.« Die haben mit der Krawatte zu tun. Er sagt: »Die Krawatte ist das einzige Beweisstück, das wir haben, das zurückzeigt in die Zeit vor der Entführung. Wir hoffen, darauf Partikel zu finden, mit denen wir Cooper eingrenzen können auf ein bestimmtes Unternehmen oder einen bestimmten Ort.«
Zuerst suchte er auf der Krawatte nach Pollen. Er fand welche. Ein Experte sagte, sie kämen aus Gabun, Afrika. Ein Jahr lang folgten die Forscher:innen dieser Spur. Nur um am Ende herauszufinden, dass es keine Pollen waren, sondern Sporen eines weit verbreiteten Mooses. Kaye sagt dazu: »Wissenschaft ist wie eine Achterbahn. Du findest etwas und fängst an, eine Theorie zu entwickeln. Dann findest du mehr Informationen, die zur Theorie passen und es geht aufwärts, immer steiler. Und dann am Höhepunkt der Achterbahn machst du eine Entdeckung, die die ganze Theorie in Frage stellt. Dann geht es schnell bergab und du fängst wieder von vorne an.«
In seinem Vortrag auf der CooperCon erzählt er, wie es auf der Achterbahn wieder nach oben ging: Im Jahr 2011 analysierte Kaye die Krawatte mithilfe eines Elektronenmikroskops und fand 700 Partikel. Mithilfe des vollautomatischen Rasterelektronenmikroskops Mira3 im McCrone Lab in Chicago wurden inzwischen 180.000 Partikel gefunden, auf einer Probe, die so groß ist wie ein Knopf. 100.000 dieser Partikel sind kleiner als ein Mikrometer – mehr als 100-mal kleiner also als der Durchmesser eines menschlichen Haars.
Mit diesen neuen Partikeln kamen neue Fragen auf: Wie kommen radioaktives Uran und Thorium auf die Krawatte? Warum kommen Quecksilber und Silber zusammen vor? Welche Bedeutung hat die Mischung aus Gold und Palladium? Warum tauchen Aluminium und Silicium so oft in Verbindung mit anderen Elementen auf? Und woher kommt das pure Antimon, ein seltenes Halbmetall? Hier, sagt Kaye, fange der spaßige Teil seines Vortrages an: »Lasst uns spekulieren!«
Er sagt, die Kombination aus Elementen auf der Krawatte sei ziemlich speziell, vor allem wenn man bedenkt: »Typen mit Krawatte machen sich nicht die Hände schmutzig. Aber dieser hier ist anders.« Die Partikel erzählen die Geschichte von jemandem, der von Unternehmen zu Unternehmen sprang und jede Menge wusste. Das viele Silicium ließe sich erklären, wenn er im Erzabbau arbeitete, das Antimon könnte auf Arbeit in einer Gießerei hinweisen.
Und da ist noch etwas, das gut passen würde zu der Theorie mit der Gießerei: Für ihre Gussformen nutzen Gießereien Sand. Und was wurde in Tena Bar verkauft – in der Nähe des Strandes? Richtig, Sand.
Auf der Achterbahn der Wissenschaft geht es steil nach oben.

Wird der Fall gelöst werden?
1930 formulierte der französische Arzt und Jurist Edmond Locard das Grundprinzip der Forensik – dass jeder Kontakt zwischen zwei Objekten Spuren hinterlasse. Als ich darüber las, wurde eine Frage immer größer in meinem Kopf: Bei all den Menschen, die diesem Phantom hinterherjagen, bei all den neuen Methoden, die entwickelt wurden, um Verbrecher:innen zu überführen – wie kann es sein, dass der Fall Cooper noch nicht gelöst ist?
Tom Kaye sagt: »Das ist kein einfacher Fall. Und es wäre eine große Sache, wenn Amateur:innen 50 Jahre später den Fall lösen würden – das gab es noch nie.«
Ich frage auch Ryan Burns, schließlich ist er Anwalt und hat Erfahrung in solchen Dingen. »Das FBI sagt: Ruf uns nicht an, außer du hast den Fallschirm, einen Körper oder das Geld. Das nennt man verwertbares Beweismaterial. Alles andere ist Spekulation«, erklärt Burns. »Aber dieser Kerl war peinlich genau darauf bedacht, so wenig wie möglich von sich selbst zurückzulassen. Er ließ sich alle seine Notizen zurückgeben und bat sogar darum, dass sein leeres Streichholzbriefchen aus dem Müll geholt wird. Es ist also unwahrscheinlich, dass er Dinge aus der Zeit des Verbrechens einfach als Souvenirs in seinem Haus aufbewahrt hat. Ich denke, dieser Fall wird ungelöst bleiben, allein schon wegen des Mangels an Beweisen.«
Doch es gibt eine Chance: Das FBI hat mehrere Beweisstücke gefunden an Bord der Boeing 727. Neben der Krawatte gab es auch Stummel von Zigaretten, die Cooper im Flugzeug geraucht hat, die Fallschirme, die Cooper angefasst, aber nicht benutzt hat, und: ein Haar, das auf Sitz 18E gefunden wurde. Niemand außer Cooper saß auf diesem Platz. An all diesen Stücken könnte DNA des Täters sein. Das sind die guten Nachrichten.
Die Leichtigkeit der Beweise
Die Grande Dame der forensischen genetischen Genealogie ist eine kleine Frau mit Humor: Als Colleen Fitzpatrick die Bühne der CooperCon betritt, sagt sie: »Ich werde darüber sprechen, ob DNA helfen könnte, das D. B. Cooper-Rätsel zu lösen. Gibt es jemanden hier im Raum, der sich dafür interessiert?«
Fitzpatrick hat bereits einige Cold Cases gelöst, indem sie mithilfe von DNA-Abgleichen und Ahnendatenbanken Unbekannte identifizierte. Könnte man also eine DNA-Probe bekommen aus Coopers Zigarettenstummeln, einem der Fallschirme, die er nicht benutzt hat (der andere wurde nie gefunden), der Krawatte oder dem Haar? Könnte man sie vergleichen mit Informationen aus einer Ahnendatenbank und so vielleicht Coopers Cousins finden oder seine Tanten?
Hier kommen die schlechten Nachrichten: Nach der Entführung untersuchte das FBI Coopers Zigarettenstummel nach Fingerabdrücken. Als die Polizisten keine fanden, zerstörten sie die Stummel im Büro in Las Vegas, so steht es in den 302ern – oder sie warfen sie einfach weg. Die Fallschirme wurden in der Zwischenzeit von einer ganzen Menge Menschen untersucht und angefasst – sie sind mit Sicherheit kontaminiert. Und die Krawatte? »Darauf wurde ein schönes männliches Profil gefunden«, sagt Fitzpatrick, »leider war es das von Tom Kaye.«
Bleibt nur eines: das Haar.
Auch hier gibt es wieder eine gute Nachricht: Die DNA kommt aus dem Inneren des Haars – Kontamination ist also kein Problem.
Aber auch hier fährt die Achterbahn gleich wieder abwärts, aus drei Gründen: Erstens, wie viel DNA aus einem Haar extrahiert werden kann, variiert sehr stark von Person zu Person. Zweitens ist gar nicht klar, ob es überhaupt Coopers Haar ist. Und drittens gibt es ein ganz grundlegendes Problem mit dem Haar: Es ist verschwunden.
Der Anwalt Ryan Burns sagt: »Ich habe beim FBI angefragt: Wo ist das fehlende Haar? Und sie haben mir nie wieder geantwortet. Ich denke, sie haben es verloren. Das letzte Mal, als man von seinem Verbleib wusste, war 1984 im FBI-Büro in Las Vegas.«
Was er sah
Im Lauf des Wochenendes erklimmen Greg und ich die Treppen der Boeing 727 und lassen uns vom Geruch und den Polsterfarben im Inneren des Flugzeuges zurück in die 70er katapultieren. Wir sprechen mit James, einem Museumsangestellten, der uns erzählt, dass auch er genau am Tag der Flugzeugentführung am Flughafen in Seattle war. Und ich komme ins Schwitzen, als ich Fallschirm und Geldsack trage, die vorne auf der Bühne liegen. Irgendwann fragt mich Greg: »Wäre es nicht cool, wenn du den Fall lösen würdest?“ Und vielleicht haben mich die anderen Cooper-Forscher:innen angesteckt, denn ich klinge, als würde ich hineingesogen in den Cooper-Strudel: »Das wäre großartig.« Ich denke an Ryan Burns, der glaubt, dass der Fall ungelöst bleibt, und trotzdem weiterforscht. Und an Bill Mitchell, den Augenzeugen, der sagt: »Es wäre großartig, wenn der Fall gelöst würde. Vielleicht braucht es nur ein bisschen DNA oder ein Stück Metall und jemanden, der das alles zusammenführt. Ich glaube an Tom Kaye.«

Wenn Bill Mitchell von der Entführung erzählt, klingt er manchmal so, als mache er Stand-up-Comedy. Doch dann wird er ernst und sagt: »Ich hatte Probleme zu schlafen.« Und: »Die Leute machen Cooper zu einem Superhelden. Doch was er getan hat, war kein Verbrechen ohne Opfer: Tina litt unter der Entführung. Und er zog eine Reihe von Nachahmer:innen nach sich. Auch seinetwegen müssen wir heute zweieinhalb Stunden vor einem Flug am Flughafen sein.«
Zwei Tage nach der Entführung kam das FBI zum ersten Mal mit Bildern von Verdächtigen zu Bill Mitchell. Er sah sich zehn Gesichter an, ihm fiel nichts auf. In den darauffolgenden eineinhalb Jahren kamen die Ermittler:innen dreimal pro Woche. Nie kam ihm ein Gesicht bekannt vor. Er sagt: »Allein in den ersten Wochen habe ich schon hundert Bilder angesehen. Irgendwann fing ich an, die Bilder mehr mit dem Phantombild zu vergleichen als mit meiner Erinnerung.«
Am Abend, nachdem das Museum of Flight die Tore schließt, sitzen die Cooper-Forschenden noch zusammen im Hilton Doubletree Hotel – die Wissenschaftler:innen am Erwachsenentisch, und wir am Kindertisch, wie Greg, Richie und Bailee scherzen. Einige trinken Bourbon wie D. B. Cooper und ein Mann, er ist Hydrologe und eigentlich wegen seiner Frau auf der Konferenz, erklärt, dass das Geld nicht von allein unter Sand begraben worden sein kann in Tena Bar, da Wasser alles ordnet am Strand: große Steine an diesem Ort, kleine an einem anderen, Äste wieder an einem anderen. Er schüttelt den Kopf und diskutiert mit den anderen, Cooper lässt ihn nicht los.
Ein paar Tage nach der Konferenz – ich bin noch nicht ganz angekommen in meiner Zeitzone und meinem Alltag – schickt mir Greg einen Artikel, in dem es heißt: Ein Hobbyforscher habe Coopers Fallschirm entdeckt, es gebe einen Verdächtigen. Jemanden, den das FBI schon einmal im Visier gehabt hatte. Ich habe mich erst vor ein paar Monaten in den Fall eingelesen – ist es nun etwa schon vorbei? Die Nachricht wühlt mich so auf, dass ich nicht schlafen kann. Immer wieder denke ich an Bill Mitchell, der sagte: »Würde der Fall gelöst, dann würde ich euch vermissen.« Schon am nächsten Tag schickt mir Greg ein Video von Ryan Burns, dem Anwalt. Darin beweist er, dass es nicht Coopers Fallschirm sein kann. Und in weiteren Videos, dass auch der Verdächtige nicht D. B. Cooper sein kann. Seltsamerweise beruhigt mich das.
Erschienen am 21. März 2025
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