Der Saltonsee liegt wie das Verdunstungsexperiment eines irren Professors in der Wüste Kaliforniens. In einer gigantischen flachen Pfanne, fast doppelt so groß wie der Bodensee, wird demonstriert, was passiert, wenn man Salzwasser erhitzt. Man füge nach Belieben verschiedene Lebensformen hinzu: Algen, Krebse, Würmer und containerweise Fische. Dazu große Mengen Dünger, Pestizide, Herbizide, menschliche und tierische Fäkalien und industrielle Abwässer. Das Ganze lasse man hundert Jahre in der Sonne gären. Dann schränke man den Wasserzufluss ein.

 

Text und Bild
Uwe H. Martin
Frauke Huber

Kaliforniens größter See trocknet aus. Die sich abzeichnende Umweltkatastrophe bedroht die Gesundheit von Millionen Menschen in Südkalifornien und im Norden Mexikos, denn im trockenfallenden Seeboden konzentrieren sich die Rückstände von über hundert Jahren industrieller Landwirtschaft. Wenn sich der Saltonsee endgültig in eine stinkende Kloake toter Fische verwandelt und giftige Staubstürme die Region überziehen, droht die Existenz einer der produktivsten Agrarregionen der Erde und ein wichtiger Stopp für Vögel auf der Pazifikroute zusammenzubrechen.

Der Salton Sea trocknet immer schneller aus. Bis 2030 wird sein Volumen um 60 Prozent abnehmen und eine FlŠäche so groß wie MüŸnchen wird trockenfallen.

Seine Entstehung verdankt der Saltonsee dem unermüdlichen Fortschrittsglauben der weißen Siedler, die in der flachen Salton Sink die Chance erahnten, die Wüste urbar zu machen. Über Jahrtausende hatte der Colorado River immer wieder die unterhalb des Meeresspiegels liegende Senke geflutet. Seen entstanden und trockneten wieder aus, wenn der Colorado seinen Lauf änderte. Seine Sedimente ließ der Fluss jedes Mal zurück, und mit ihnen hunderttausende Hektar fruchtbaren Bodens. 1896 begann die private California Development Company, Wasser aus dem Colorado durch die Sonora-Wüste in das nun euphemistisch als Imperial Valley bezeichnete Gebiet zu leiten. 1904 bewirtschafteten schon 2.000 Farmer 40.000 Hektar bewässerten Wüstenboden. Doch die Sedimente des Colorado verstopften zusehends die Bewässerungskanäle. Um ein Austrocknen der Felder zu verhindern, wurde 1905 eine ungesicherte Bresche in die Uferbank des Colorado geschlagen. Die Dürregefahr war gebannt. Doch wenige Monate später schwoll der Colorado nach einer Reihe von El-Niño-Stürmen stark an, riss die Schneise am Ufer immer weiter auf und suchte sich so ein neues Bett. Fast zwei Jahre lang ergoss sich der Fluss in die Salton Sink: Der Saltonsee war geboren.

Eigentlich hätte der See in der Wüste schnell wieder austrocknen müssen. Aber weil die Farmer südlich des Sees mit die ältesten Wasserrechte am Colorado besitzen, haben sie reichlich Wasser zur Verfügung, das über den All American Canal 130 Kilometer weit durch die Wüste geleitet wird. Keine andere Gegend verbraucht mehr Wasser aus dem Colorado als Kaliforniens Imperial Valley. Hier wird im Winter ein Großteil des Gemüses und Salats der USA angebaut. Das Restwasser der Landwirtschaft fließt durch Drainagekanäle in die Zuflüsse des Saltonsee. Lange Zeit hielt es dessen Wasserspiegel stabil.

Als Reiseziel hat der Saltonsee ausgedient: Aus Verzweiflung hat ein Mann im einstigen Ferienort Bombay Beach sein Domizil in Brand gesteckt, der Schein dringt durch das verfallende Nachbarhaus.
Der Gemüseanbau im Imperial Valley dagegen floriert. Keine andere Gegend verbraucht mehr Wasser aus dem Colorado.

In den 1950er- und 60er-Jahren gaben sich Frank Sinatra, die Beach Boys, Sonny Bono, all die Reichen und die Schönen an der „Salton Riviera“ die Klinke in die Hand.  Immobilienentwickler entwarfen ganze Städte am Reißbrett: Auf 80 Quadratkilometern wurden 25.000 Grundstücke ausgewiesen, der größte Jachthafen des Bundesstaats, Golfplätze und Luxushotels. Kaliforniens größter See zog mehr Besucher an als der Yosemite-Nationalpark.

»I’ve often wandered her farthest reaches /
Her deserts and her snows and, yes, her beaches /
A land that paradise could well be jealous of /
That’s California«
Ein gerngesehener Gast am Saltonsee: Frank Sinatra – California

Wie eingefroren liegt der See oft in der Wüste. Doch unter der Oberfläche schlägt das Leben Purzelbäume, verschlingen Algen Dünger, Würmer Algen, Fische Würmer, Fische Fische, Vögel Fische, ihr Kot wird Dünger, treibt das Wachstum, treibt die Algen, deren Verrotten dem Wasser Sauerstoff entzieht, Fische ersticken, sinken nieder als Kompost für noch mehr Leben. Ständig produziert der See sich und sein Ökosystem neu und bringt so unweigerlich auch den Tod mit sich: 1992 verenden 150.000 Schwarzhalstaucher unter mysteriösen Umständen, 1996 fallen mehr als 1.100 der bedrohten Braunen Pelikane und 8.500 Weiße Pelikane einer bakteriell verursachten Vergiftung zum Opfer, 1999 werden an einem einzigen Tag 7,6 Millionen tote Fische angeschwemmt. Mit der Zeit entsteht der Mythos des sterbenden, postapokalyptischen Sees in der Wüste.

Während stetig Wasser aus dem See ohne Abfluss verdunstet, konzentrieren sich all die Stoffe immer mehr, die im Laufe der Zeit in die Salton Sink gespült wurden: Pestizide, Herbizide und Dünger, Rückstände industrieller und städtischer Abwässer aus der südlich der Landesgrenze liegenden Stadt Mexicali, aber auch Selenium, Cadmium, Arsen und vor allem Salze, die durch Bewässerung im Einzugsgebiet des Colorado aus dem Boden gewaschen werden.

Bis in die frühen 1990er-Jahre gehörte der Saltonsee zu den produktivsten Fischrevieren der Welt. Doch im Laufe der Jahre wurde er zu salzig für die ab 1950 aus dem Golf von Kalifornien eingeführten Fische wie Meeräsche, Seebarsch und Adlerfisch. Nur einige Buntbarsch-Arten konnten sich an die steigende Salzkonzentration anpassen. Seit zwei Jahren finde sein Team allerdings fast nur noch ausgewachsene Fische, erzählt Chris Schoneman, der Leiter des am Südende des Sees gelegenen Sonny Bono National Wildlife Refuge. Das sei ein klares Zeichen dafür, dass die Salzkonzentration mittlerweile die Fortpflanzung beeinträchtigt, die Population sich deshalb im freien Fall befindet. Damit haben auch die großen Vögel kaum noch Nahrung. Zählten sie vor drei Jahren noch bis zu 10.000 Braune und etwa 20.000 Weiße Pelikane, wurden dieses Jahr nur wenige hundert gesichtet.

See ohne Abfluss: Jährlich verdunsten 1,6 Millionen Kubikmeter Wasser. Zurück bleiben vier Millionen Tonnen Salz.

Jahrzehntelang stieg zwar der Salzgehalt des Sees kontinuierlich an, aber der Wasserspiegel blieb mehr oder weniger stabil. Das änderte sich, als der Westen der USA im Jahr 2000 von einer Dürre heimgesucht wurde, die bis heute in unterschiedlicher Intensität anhält. Die Kalifornier hatten jahrzehntelang mehr Wasser aus dem Colorado verbraucht, als ihnen laut dem Colorado River Compact von 1922 zusteht, einem Vertrag, der die Wasserechte zwischen den sieben Bundesstaaten im Einzugsgebiet des Colorado und Mexiko regelt. Mit der Dürre und den kontinuierlich wachsenden Wüsten- und Küstenstädten wie Phoenix und San Diego gerieten die Wasserrechte der wenigen Farmer im Imperial Valley in den Fokus, die jährlich mehr als ein Fünftel des zur Verfügung stehenden Colorado-Wassers verbrauchten.

»Whiskey is for drinking; water is for fighting over.«
Diese Weisheit des wilden Westens wird Mark Twain zugeschrieben

Im Jahr 2003 willigte die Wasserverwaltung des Imperial Valley in den größten Wasserdeal der amerikanischen Geschichte ein: Das Quantification Settlement Agreement verpflichtet das Imperial Valley, eine jährlich steigende Menge Wasser an San Diego und das reiche Coachella Valley abzugeben, in dem Orte wie Palm Springs und mehr als 120 Golfplätze liegen. Mindestens 370 Millionen Kubikmeter Wasser werden der Landwirtschaft und damit indirekt dem See jährlich durch das Abkommen entzogen. Dass er austrocknet, nahmen die Verhandelnden von Anfang an in Kauf.

Zwar warnte die Wasserverwaltung vor den ökologischen Auswirkungen auf die Region und zwang die kalifornische Regierung, die Verantwortung für die Restaurierung des Saltonsee zu übernehmen. Doch die schob das Problem nur auf: 15 Jahre lang sollten die Bauern im Imperial Valley einen Teil ihrer Felder brach liegen lassen, um den Wasserverlust für den See teilweise auszugleichen. 

Mitten in der Wüste wird Futter für Rinder angebaut – riesiges Business, gigantischer Wasserverbrauch.
Das Seeufer geht so weit zurück, dass die wenigen verbliebenen Touristen regelmäßig in Wasserlöchern stecken bleiben, die unter dem Sand verborgen sind.

Ernsthafte Pläne, den See zu retten, gab es in der Folge durchaus. Einige schlugen vor, Wasser aus dem Golf von Kalifornien zu importieren und zu entsalzen. Andere wollten einen Ringsee um ein hypersalines Zentrum bauen, dessen äußerer Ring auf dem Salzniveau der Ozeane gehalten werden könnte. Dann kam die Finanzkrise, und alle Ideen wurden als zu teuer verworfen.

Es verstrich ein Jahrzehnt, ohne dass sich politisch etwas bewegte. Der See trocknete zusehends aus, Hafenbecken fielen trocken und wurden schließlich geschlossen, Strände wurden breiter, Inseln zu Hügeln und Kojoten plünderten das bisher von Wasser geschützte einzige Inlands-Brutgebiet der Kormorane auf Mullet Island.

Noch gibt es diese Momente magischer Stille, in denen der Saltonsee ein Sehnsuchtsort ist. Unbeweglich liegt er in der Weite der kalifornischen Wüste. Kein Windhauch kräuselt seine spiegelglatte Oberfläche, die in der Ferne in den stahlblauen Himmel übergeht. Es ist so still, dass das Gleiten eines großen weißen Vogels den Besucher aufschrecken lässt. Zu beiden Seiten breitet sich der weite, weiße Strand aus, geht langsam über in das Beige der Wüste, dann in das Rotbraun der Chocolate Mountains, die im Osten des Sees fein ziseliert den Horizont begrenzen.

Am Strand von Bombay Beach gab es früher fünf Bars, die am Wochenende so voll waren, dass man kaum einen Platz bekam. Heute sind nur noch die Fundamente übrig, die einst in den See gebaut waren, heute aber auf dem Trockenen liegen.

Und doch ist dieser Saltonsee ein Schreckensort, ein Sinnbild des menschlichen Scheiterns im Anthropozän, dieser neuen, noch schemenhaften geologischen Erdepoche, in der wir Menschen zwar zum wichtigsten Faktor der Veränderung auf dem Planeten geworden sind, die komplexen Folgen unseres Handelns aber meist nicht vorhersehen können. 

Seit Anfang 2018 werden die zuvor brachliegenden Felder wieder bewässert. Jetzt trocknet der See noch schneller aus. Bis 2030 wird die Wassertiefe auf die Hälfte, das Volumen um circa 60 Prozent abnehmen; die Salzkonzentration wird sich verdreifachen und mehr als 300 Quadratkilometer Seeboden werden freigelegt, eine Fläche so groß wie München. Experten sagen Staubstürme voraus und ein weiteres Ansteigen der Asthmarate für die Region, die bereits heute zu den höchsten der USA gehört.

Wenn der Westwind weht, wirbelt er den Staub auf und die in ihm gebundenen Pestizide, Schwermetalle und Gifte, die über hundert Jahre vom nun schrumpfenden See bedeckt waren. Der Staub wird zur Gefahr für die Region. Er ist so fein, dass er ohne Barriere in die Lungen der Menschen dringt und so das Risiko von Atemwegserkrankungen, Herzinfarkt und Lungenkrebs erhöht. Schon jetzt trägt der freigelegte Seeboden ein Viertel des Feinstaubgehalts der Luft im Imperial Valley bei.

Der Staub des freigelegten Seebodens ist so fein, dass er in die Lungen und sogar bis in die Zellen der Menschen dringt. Rund um den See steigt die Asthmarate – schon heute zählt sie zu den höchsten in den USA.

Anwohner klagen, der Saltonsee sei bis zum Erbrechen untersucht worden. Studie folgte auf Studie, Millionen seien dafür verschwendet worden. Nun sei es endlich Zeit zu handeln. Dabei sind viele Details wissenschaftlich umstritten, weil meist nur einzelne Faktoren, nie aber das gesamte Ökosystem untersucht wurden. Während zahlreiche Studien im Seeboden bedenkliche Konzentrationen von Polychlorbiphenylen (PCB) und Insektiziden, Arsen, Cadmium, Chrom, Blei und Selen nachweisen konnten, besteht Chris Schoneman darauf, dass das Wasser des Sees bis auf den hohen Salzgehalt und die aus Düngern stammenden Nitrate und Phosphate sehr sauber sei. Immer wieder habe sein Team Boden- und Wasserproben genommen, habe in Fischen und Vögeln und in ihren Eiern nach Rückständen von Pestiziden gesucht, nach Verschmutzungen und Umweltgiften. Aber nur geringe Mengen gefunden, die für Menschen bisher als unbedenklich gelten. Schoneman geht davon aus, dass Algen und Sonne schnell die Verunreinigungen aus dem Wasser filtern und zersetzen.

An einem Vormittag im Mai steht Schoneman auf dem ausgetrockneten Boden der Red Hill Bay und studiert einen Stapel Pläne, die er über den Arm geworfen hat. Hier soll auf 170 Hektar ein künstlich geschaffenes Flachwasser-Biotop für Küstenvögel entstehen. Dazu wird das Salzwasser des Saltonsee mit Abwasser der Landwirtschaft gemischt, um einen Salzgehalt ähnlich dem der Ozeane zu erreichen. Das hilft zwar den großen, fischfressenden Vögeln nicht, die einen tiefen See mit reichlich Nahrung brauchen. Aber den meisten der mehr als 400 Vogelarten – die zweithöchste Vielfalt in den USA – würde dieses künstliche Biotop weiterhin einen Lebensraum bieten.

Das Projekt an der Red Hill Bay ist Teil eines Zehnjahresplans, der die schlimmsten Auswirkungen des trockenfallenden Sees auf Mensch und Umwelt reduzieren soll. In manchen Bereichen der freiwerdenden Gebiets sollen Fisch- und Vogelbiotope entstehen, andere Teile sollen gepflügt, mit Strohballen bedeckt oder mit Chemikalien besprüht werden, um Staubstürme zu unterbinden. 

»Gentlemen, you are piling up a heritage of
conflict and litigation over water rights, for there is not sufficient water to supply the land.«
Der Forscher John Wesley Powell warnte bereits 1883
vor der Wasserknappheit im Westen der USA

Obwohl sein Büro mehr als 1.600 Kilometer vom Saltonsee entfernt liegt, ist Michael Cohens Leben eng mit dem Schicksal des Sees verbunden. Wie dieser ist auch seine Heimatstadt Boulder im Bundesstaat Colorado abhängig vom Wasserimport aus dem Einzugsgebiet des Colorado, auf der anderen Seite der Rocky Mountains. Als Geograf beim Pacific Institute, einem Thinktank für Wasserfragen, beschäftigt sich Cohen seit Mitte der 1990er-Jahre mit dem Saltonsee. 2014 hat er in einer Studie berechnet, dass Kosten von 29 bis 70 Milliarden Dollar für die Umwelt, das Gesundheitswesen und die Wirtschaft entstünden, wenn der See weiterhin seinem Schicksal überlassen und die Staubstürme nicht unterbunden würden.

Den Zehnjahresplan hält Cohen für Stückwerk und nicht das Papier wert, auf dem er gedruckt ist: Nur für die Hälfte des freiwerdenden Seebodens seien Ausgleichsprojekte vorgesehen, oftmals sei nicht festgelegt, welche Flächen genau für Biotope und Staubbindung ausgewiesen werden. Und selbst die Pilotprojekte hinken schon jetzt zwei Jahre hinter der ursprünglichen Zeitplanung her.

Die Abwärme von Geothermiekraftwerken wird genutzt, um aus dem Salzwasser des Saltonsees Süßwasser zu destillieren.
Der All American Canal bringt frisches Coloradowasser: vom Imperial Dam über 130 Kilometer weit ins kalifornische Imperial Valley.

Ohnehin könnte der gesamte Plan schnell Makulatur sein. Die Gipfel der nahen Rocky Mountains ragen schon fast schneelos in den Himmel. 2018 ist eines der trockensten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen. Diese dürren Jahre werden laut Prognosen durch den menschengemachten Klimawandel häufiger. Schon jetzt fallen die Wasserspiegel der vom Colorado gespeisten großen Speicherseen immer weiter. Lake Powell auf der Grenze zwischen Arizona und Utah ist nur noch zur Hälfte gefüllt, und der vom Hoover Dam im Süden Nevadas aufgestaute Lake Mead, der größte Speichersee der USA und gigantisches Symbol des amerikanischen Fortschritts, ist mit 46 Metern Wassertiefe nur noch etwa neun Meter von dem Niveau entfernt, bei dem die gewaltigen Pumpen kein Wasser mehr Richtung Las Vegas, Phoenix oder Kalifornien schicken können. Dann würden im Südwesten der USA die Wasser- und Stromversorgung und wichtige Teile der Wirtschaft zusammenbrechen. Um das zu verhindern, verhandeln die Staaten Kalifornien, Arizona und Nevada seit Jahren über einen Notfallplan. Laut aktuellem Verhandlungsstand sollen jährlich weitere 150 Millionen Kubikmeter Wasser als Reserve im Lake Mead belassen werden, statt diese zur Bewässerung der Felder im Imperial Valley einzusetzen. Die Misere am Saltonsee würde das unweigerlich beschleunigen.

Die einzige Möglichkeit, den Saltonsee zu retten und eine Umweltkatastrophe für die Region zu verhindern, sehen viele Anwohner im Import von Meerwasser aus dem Golf von Kalifornien. Da der See unterhalb des Meeresspiegels liegt, müsste dafür nur eine kleine Hügelkette an der Grenze zu Mexiko überwunden werden. Die Energiekosten wären zu vernachlässigen, weil hohe Gezeitenunterschiede im Golf von Kalifornien wie eine riesige Pumpe wirken könnten. Allerdings müsste das Wasser noch entsalzt werden, um den Salzgehalt langfristig auf Meeresniveau zu halten. Das Staubproblem wäre dann erledigt, ein wertvolles Ökosystem bliebe erhalten. Und vielleicht kämen gar die Touristen zurück.

Doch solche Pläne gab es schon öfter. Alle wurden irgendwann aufgegeben. Immer schienen die Kosten oder die politischen Hürden zu hoch. Vor allem aber ist der Saltonsee weit entfernt von den urbanen Zentren, den Wählern und einflussreichen Fürsprechern. Farmarbeiter, Tagelöhner und arme Hispanics haben keine Lobby.

»In low places consequences collect…«
Der Saltonsee dient ihm als Metapher: William deBuys — Salt Dreams

Außerdem bietet auch der trockenfallende See für viele Interessengruppen eine riesige Projektionsfläche für Zukunftsträume: Im Süden der Salton Sink liegen die größten geothermischen Ressourcen der westlichen Welt. In der heißen Sole, die zur Energiegewinnung aus der Erde gepumpt wird, sind Lithiumsalze gelöst, Rohstoff für Batterien oder Smartphones mit einem Potential von 4,5 Milliarden Dollar. Quadratkilometer große Solarkraftwerke könnten gebaut werden, die, anders als in vielen Wüsten der USA, nicht in ein empfindliches Ökosystem eingreifen würden. Eine Katastrophenzone würde genutzt, der schwindende See in Gewinn verwandelt. 

Damit würde die Salton Sink endgültig zu einer von Menschenhand gestalteten Landschaft. An die gewaltige Agrarfabrik Imperial Valley würden sich riesige Kraftwerke zur CO²-freien Stromerzeugung anschließen, bestenfalls unterbrochen von fein austarierten Biotopen für Küstenvögel und großen Gebieten bearbeiteten Seebodens, in der Mitte ein Zentrum aus hypersaliner Salzlösung.

Welcher Plan sich auch immer durchsetzt, eines ist sicher: Der Saltonsee wird auf absehbare Zeit ein Experiment bleiben.

Erschienen 04. September 2018 

Text und Bild
Uwe H. Martin
Frauke Huber