Florian Solzbacher, würden Sie sich einen Chip ins Gehirn pflanzen?
Der Elektroingenieur Florian Solzbacher arbeitet an einem Chip, der Menschen eine Direktverbindung von Gehirn zu PC erlaubt. Die Technik sitzt bereits in menschlichen Köpfen. Eine Schwierigkeit dabei: Der Körper soll den Chip nicht abstoßen.
Wie ich diesen Text schreibe, ist eigentlich umständlich. Ich formuliere einen Satz in meinem Gehirn, ein elektrisches Signal von dort wandert entlang meiner Nervenbahnen in meine Unterarme. Meine Finger drücken Tasten herunter und die mechanische Bewegung der Tasten wird wieder verwandelt in ein elektrisches Signal. Wäre doch praktisch, wenn es da eine direktere Verbindung gäbe.
Elon Musks Firma Neuralink hat vergangenes Jahr einem ersten querschnittsgelähmten Patienten einen Chip eingesetzt. Es ist eine Gehirn-Computer-Schnittstelle, auf Englisch: brain-computer interface. Damit liest man elektrische Signale des Gehirns einfach direkt aus.
Musk war aber nicht der Erste, der einen solchen Chip verpflanzen ließ. Ich spreche darum mit Florian Solzbacher. Der Elektroingenieur forscht an der Universität Utah an Materialien, die auch in herausfordernden Umgebungen funktionieren. Und er hat ein Unternehmen mitgegründet, das Chips für eine solche Umgebung baut: fürs Gehirn. Die Chips von Blackrock Neurotech sind – mit über 40 Patient:innen bisher – die am häufigsten implantierten Gehirn-Computer-Schnittstellen. Das Thema sei abendfüllend, warnt Solzbacher gleich am Anfang. Es ist nicht klar, welchen Abend er meint. Bei mir ist es schon neun Uhr, bei ihm in Utah noch Mittag.
Herr Solzbacher, warum arbeiten Sie daran, menschliche Gehirne mit Computern zu verbinden?
Als Teenager, in den Neunzigern, habe ich mit Kindern mit Behinderung gearbeitet. Damals war ich ziemlich frustriert, weil ich dachte: Da wäre technisch noch viel möglich. Ich habe mich dann während meines Studiums in Deutschland auf Mikrosystemtechnik und biomedizinische Technik spezialisiert. Seit ich an der Universität Utah bin und in den USA ein Unternehmen gegründet habe, arbeite ich an implantierbaren Elektroden. Sie sollen Menschen mit neurologischen Erkrankungen oder mit Querschnittslähmung helfen.
Wie helfen?
Wenn Sie vom Halswirbel abwärts gelähmt sind, wie haben Sie dann noch Kontrolle? Da geht es um Eigenständigkeit, um Unabhängigkeit. Sprachsteuerung ist furchtbar ineffizient. Haben Sie mal versucht, einen Text zu überarbeiten, nur mit Sprachsteuerung? Da werden Sie verrückt. In diesem Fall eine Schnittstelle im Gehirn zu haben, mit der man einen Mauszeiger direkt steuern kann, ist unheimlich wertvoll.
Mit Elektroenzephalografie (EEG) – den Elektroden, die man sich auf den Kopf klebt – kann man auch Hirnaktivität messen. Welchen Vorteil hat es, unter die Schädeldecke zu gehen?
Mit einem EEG misst man in jeder Elektrode das Signal von zig Millionen Neuronen. Sie können sich das vorstellen wie in einem großen Fußballstadion: Sie stehen neben dem Stadion und hören die ganze Jubelwelle, wenn irgendwas Aufregendes passiert. Unsere Elektroden aber werden anderthalb Millimeter tief ins Gehirn gestochen. So können wir die Aktionspotenziale einzelner Neuronen messen. Im Stadion wäre das so, als würden Sie zu einzelnen Zuschauer:innen gehen und ihnen das Mikrofon hinhalten.
Man kann also elektrische Signale im Gehirn präziser messen. Was bringt das konkret?
Für die Patient:innen bringt das eine deutlich bessere Leistung. Unsere Nutzer:innen können teilweise sogar schneller reagieren als Menschen ohne Beeinträchtigung, wenn sie etwa ein Fahrzeug steuern. In den USA hat man den Vorteil der Implantate viel früher verstanden und gesagt: Wir können das machen. In Europa gab es lange die Angst, dass man Schaden verursacht im Gehirn. Das Human Brain Project der EU hat sich beispielsweise nur auf Berechnung und Modellierung des Gehirns konzentriert.
Sie haben 2008 zusammen mit ihrem Schulfreund Marcus Gerhardt eine Medizintechnikfirma gegründet. Heute heißt sie Blackrock Neurotech – hat aber nichts mit der Investmentgesellschaft BlackRock zu tun. Wie war damals der Stand bei den implantierbaren Gehirn-Computer-Schnittstellen?
Das Thema brain-computer interface wurde damals auch in den USA sehr skeptisch betrachtet. Uns war aber klar: Die Forschung an Querschnittslähmung, Epilepsie, Parkinson braucht Werkzeuge, zum Beispiel Elektroden, die man in Tiergehirne setzen kann. Darauf haben wir uns dann erstmal konzentriert.
Hat sich diese Skepsis gelegt?
Erst hieß es: Es wird nie funktionieren, das in einen Menschen einzusetzen. Als gezeigt wurde, doch, das geht, da hieß es: Naja, es wird wahrscheinlich trotzdem keinen Sinn machen, weil es nicht lange hält. So sind wir Stück für Stück weitergekommen. Als Elon Musk 2016 mit Neuralink gestartet ist, sind die Finanzmärkte auf das Thema aufmerksam geworden. Diese Märkte haben deutlich mehr Kapital als die öffentliche Hand. Auf einmal war viel Geld da, um die Forschung voranzutreiben.
Ihr bekanntestes Produkt ist das Utah Array. Das ist mittlerweile bei mehr als 40 Menschen als Gehirn-Computer-Schnittstelle implantiert. Was ist das Utah Array?
Das Utah Array hat Richard Normann, ein Kollege an der Universität Utah, in den 1990ern erfunden. Ursprünglich war das Implantat für die Sehrinde des Gehirns gedacht, für Sehprothesen. Inzwischen wird es oft in den Motorcortex eingesetzt oder in anderen Hirnarealen. Damit können Patient:innen dann beispielsweise Handprothesen steuern. Das Array ist ein kleiner Silizium-basierter Chip, etwa vier mal vier Millimeter groß, mit hundert kleinen Stacheln, wie bei einer Bürste. Die gehen ins Gehirn rein. Heute werden bei einer Operation am geöffneten Schädel routinemäßig vier bis sechs Arrays in ein Gehirn eingesetzt.
Das Utah Array sieht hart, starr und stachlig aus. Wie verträgt sich das mit dem weichen, empfindlichen Gehirn?
In der Praxis gut, sonst würde ein Array nicht für zehn Jahre funktionieren. Aber ja, ein Bauteil aus Silizium und Glas ist viel steifer als das Gewebe und damit nicht ideal. Das Gehirn ist relativ beweglich im Schädel, es pulsiert mit dem Herzschlag. Eine Elektrode kann Zugkräfte am Gewebe verursachen. Die sind aber eher ein Thema bei größeren, noch steiferen Elektroden, zum Beispiel bei den bleistiftlangen Drähten, die man bei Parkinsonpatient:innen für tiefe Hirnstimulation einsetzt.
Und was ist mit der Immunreaktion?
Alles, was mechanisch und chemisch anders ist als das Gewebe, wird vom Immunsystem irgendwann entdeckt. Beim Utah Array bildet sich Narbengewebe an dem oberen Teil, an der Platte. Dort messen wir aber gar nicht. Gemessen wird an den Spitzen der Nadeln, und die haben nur ein, zwei Mikrometer Radius. Wie man aus der Grundlagenforschung weiß, werden sehr kleine Fremdkörper schwieriger entdeckt. Man kann die Immunantwort weiter verzögern, zum Beispiel mit einer Gelschicht um die Elektroden. Das Gel absorbiert einen Teil der Biomarker aus den umliegenden Zellen, was die Immunantwort reduziert. Und so liegt dann die Elektrodenspitze in Gewebe, das nicht beeinträchtigt ist.
In einer Studie aus dem Jahr 2021 haben Forscher:innen Utah Arrays untersucht, die wieder aus menschlichen Gehirnen herausgenommen wurden. Die Signalstärke hatte bei einem über Jahre implantierten Array deutlich abgenommen. Inwiefern schränkt das die Funktion ein?
Die Signalstärke nimmt in der Tat ab, und das Verhältnis von Signal zu Rauschen wird schlechter. Aber einzelne Signalausfälle bedeuten nicht unbedingt, dass die Funktion für die Nutzer:innen damit auch ausfällt. Die Daten von über 40 Anwendungen in menschlichen Gehirnen deuten derzeit darauf hin, dass eine Nutzungsdauer von zehn Jahren ein realistisches Versprechen ist, eingeschränkt eben durch die Immunantwort und den Materialverfall. Wir arbeiten daran, diese Nutzungszeit zu erhöhen.
Es gibt ein Video aus dem Jahr 2016, da gibt ein junger Mann namens Nathan Copeland dem damaligen Präsidenten Barack Obama einen Fistbump. Nur nutzte Copeland nicht seine biologische Hand dafür, er ist gelähmt und sitzt im Rollstuhl. Copeland nutzt einen Roboterarm und spürt sogar den Fistbump. Wie kann das sein?
Auch die sensorische Verarbeitung ist im Gehirn verschlüsselt, zum Beispiel in einem Bereich für den Tastsinn. Wenn man da Signale über die Elektrode sendet, spüren das die Patient:innen.
Das heißt, Copeland hat mehrere implantierte Utah Arrays, auch im Gehirnbereich für den Tastsinn?
Genau. Die Chips müssen an den richtigen Stellen im Gehirn sitzen. Das ist ein bisschen wie mit dem Fingerabdruck: Der ist bei allen Menschen ähnlich, aber trotzdem individuell. Man weiß schon vorher, wo in etwa der Bereich für die linke Hand ist im Gehirn. Nach der Operation muss man das kalibrieren. Man sagt dem Patienten beispielsweise: Denk darüber nach, den Finger zu bewegen. Und dann schaut man, an welchen Elektroden Signale ankommen. Das wird dann Stück für Stück optimiert. Und genauso in die andere Richtung: Wie fühlt sich das an? Ah, dieses Signal muss die Berührung am Zeigefinger sein.
Im Science-Fiction-Film Matrix gibt es auch Hirn-Computer-Schnittstellen. Über die kann man sich einfach Fähigkeiten ins Gehirn hochladen – zum Beispiel, einen Helikopter zu fliegen. Wie viel davon ist denn jetzt schon machbar?
Es gibt erste Versuche mit Ratten. Eine Gruppe von Ratten wurde trainiert, von zwei Hebeln den richtigen auszuwählen und herunterzudrücken. Dabei wurde über je eine Schnittstelle in den Rattengehirnen Gehirnaktivität ausgelesen. Diese ausgelesenen Signale wurden als Impulse in die Gehirne einer zweiten Gruppe Ratten übertragen – die dann öfter den richtigen Hebel runterdrückten, ohne das selbst gelernt zu haben. Das ist im Grunde so wie in dem Film Matrix. Aber da ist noch viel zu machen. Bei komplexeren Gehirnfunktionen sind wir noch am Anfang.
Warum erst am Anfang?
Wegen der Größenordnung. Beim Utah Array haben wir 100 Elektroden pro Chip, wenn man also sechs bis acht Chips implantiert, hat man 600 bis 800 Messpunkte. Der Chip von Neuralink hat 1.000 Elektroden. Wir testen jetzt in Vorstudien 10.000 bis 100.000. Aber das würde trotzdem nur einen winzigen Bruchteil der Vorgänge in unserem Kopf erfassen. Daran sind viele Milliarden Neuronen beteiligt.
Elon Musk hat erklärt, das langfristige Ziel seines Unternehmens Neuralink sei, die menschliche Intelligenz zu verbessern, damit sie mit künftiger Künstlicher Intelligenz mithalten kann. »Wenn ein Computer eine Million Mal schneller rechnen kann als du, dann ist das irgendwann so, als würde er mit einem Baum reden«, hat Musk gesagt. Auch Ihre Firma hat bekannte Investoren, Peter Thiel und Christian Angermayer. Spielen diese Science-Fiction-Ideen eine Rolle, wenn es darum geht, Investorengelder anzuziehen?
Ja. Ich finde zwar immer noch, Menschen zu helfen sollte die Priorität sein. Gleichzeitig muss man sich als Ingenieur:in der Tatsache bewusst sein, wenn man solche Sachen entwickelt, dann kann es eine Motivation geben für freiwillige Eingriffe. Also, dass Menschen die Implantate nicht brauchen, aber sie haben wollen, weil sie Vorteile bringen.
An welche Anwendungen denken Sie da?
Wenn man an Feuerwehrleute denkt, an Polizeikräfte oder auch an militärisches Personal. Die statten wir schon heute mit Hochtechnologie aus, damit sie höhere Überlebenswahrscheinlichkeit haben und besser ihren Job machen können. Da kann ich mir vorstellen, dass sowas als erstes kommt.
Man könnte solche Technik einsetzen, um Soldat:innen effizienter zu machen, sogar empathieloser. Machen Sie sich darüber Gedanken?
Man muss sich dessen bewusst sein, wie es genutzt werden könnte. Es gibt da eine bedenkliche Grenze: wenn der Einsatz nicht mehr nur zum Schutz beiträgt, sondern es um die offensive Seite geht. Aber das sehe ich derzeit nicht. Weil es heute einfacher wäre, für die Steuerung von Waffen Computersysteme zu nehmen, die auch ohne Schnittstelle zu einem Gehirn viel schneller und präziser sind als es der Mensch je sein könnte.
Unter welchen Umständen würden Sie sich denn selbst einen Array ins Gehirn setzen?
Wenn ich es aus medizinischen Gründen bräuchte, no hesitation. Ansonsten kann ich es mir in der jetzigen Situation nicht vorstellen. Natürlich, wenn diese Idee aus der Science-Fiction-Literatur wahr würde, und man könnte sein Bewusstsein übertragen und auf diese Weise schlimme Unfälle überstehen, dann wäre das vielleicht etwas anderes. Aber das werde ich nicht mehr erleben.
Erschienen am 13. Februar 2025
+++ MÖGLICHER ERKLÄRKASTEN oder Bildunterschrift: Das Utah Array
Das Utah Electrode Array ist eine kleine Metallplatte, etwa so groß wie der Kopf einer kleinen Schraube, wie sie in einem Laptopgehäuse steckt. Auf der einen Seite stehen hundert kleine Stacheln heraus, das Array sieht ein bisschen aus wie eine Bürste. Die Stacheln sind Elektroden, die ins Nervengewebe hineingestochen werden. Die Arrays können an verschiedenen Stellen implantiert werden, sowohl im Gehirn als auch an anderen Stellen, zum Beispiel in den Nervenbahnen im Arm. Der Biotechniker Richard Normann hat das Array in den 1990ern an der University of Utah erfunden. Ursprünglich war es für die Sehrinde gedacht, für Sehprothesen; inzwischen wurde es über 40 Patient:innen eingesetzt, meistens in den Motorcortex.
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