Wettkampf der Cyborgs
Beim Cybathlon in der Schweiz treten Menschen mit Beeinträchtigung in einem Wettkampf der Alltäglichkeiten an: Sie müssen Zähne putzen, Treppen steigen und S-Bahn fahren. Mithilfe von Technik überwinden sie die Grenzen ihrer Körper. Was heißt das für unsere Zukunft?
Vor dem Rennen der Assistenzroboter tritt der Ordner an den Fotografen heran: »Sie müssen ihren Blitz ausstellen«, sagt er. »Sonst sind die Roboter irritiert und reagieren darauf extrem.« Ein Satz wie aus der Zukunft.
Ein robotischer Vierbeiner mit der Aufschrift »Donkey« und dreigliedrigem Greifarm auf dem Rücken betritt die Arena der Eissporthalle nahe Zürich. Dort findet im Oktober 2024 der Cybathlon statt, eine Art Olympiade für Hightech-Prothesen. Auf Donkey folgt ein Mann im elektrischen Rollstuhl, der die Steuerung für den Vierbeiner mit dem Mund bedient: Ungelenk nähert sich Donkey einem Briefkasten, mit der Zangenhand öffnet er die Klappe und entnimmt ein Paket. Weiter. Donkey legt das Paket auf einen Tisch. Weiter. Donkey nimmt eine Zahnbürste aus einem Becher und führt sie zum Mund seines Piloten. Donkey hängt Wäsche auf. Donkey räumt einen Teller aus einer Spülmaschine. Am Ende bekommt Donkeys Team – der Pilot Samuel Kunz und die schweizerischen Entwickler:innen – 80 von 100 möglichen Punkten. Platz 3.
Der Cybathlon ist ein Non-Profit-Projekt der ETH Zürich. Entwickler:innen-Teams aus der ganzen Welt messen sich hier alle vier Jahre mit ihren Assistenztechnologien für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen – dazu gehören ferngesteuerte Roboterarme und Vierbeiner wie Donkey, Hightech-Prothesen für Arme und Beine, am Körper tragbare Roboter, die gelähmte Gliedmaßen bewegen, sowie verschiedene Sehhilfen. Die zu bewältigenden Aufgaben sind jeweils an Alltagstätigkeiten angelehnt – denn die Technologien sollen Menschen, die einen Teil ihres Körpers nicht nutzen können oder verloren haben, mehr Selbstständigkeit ermöglichen. Die Pilot:innen, die diese Technologien steuern, treten in acht Disziplinen gegeneinander an – vom Rollstuhlrennen mit Treppensteigen über den Handprothesen-Parcours mit Schuhebinden bis zur Gedankensteuerung virtueller Objekte.
Nebenbei wirft der Cybathlon die ganz großen Fragen auf: Wie viel Gutes können die Maschinen für den Menschen tun? Machen sie uns eines Tages vielleicht nutzlos – oder helfen sie uns, über uns hinaus zu wachsen? Und, Moment mal, Gedankensteuerung? Echt jetzt?
Der Vater des Cybathlon
Robert Riener hat den Cybathlon 2016 gegründet. Er ist Professor für Sensomotorische Systeme am Departement Gesundheitswissenschaften und Technologie an der ETH Zürich. »Die Assistenzgeräte, die es gab, fanden keine Beachtung oder funktionierten nicht richtig«, sagt er. Vor allem an der Alltagstauglichkeit habe es gemangelt. Zu viele Erfindungen von damals seien in der Versenkung verschwunden. »Ich wollte die Öffentlichkeit erreichen und Akzeptanz schaffen«, sagt Riener. Seit dem ersten Cybathlon ist viel passiert: Inzwischen kommen auch die englische BBC und das japanische Fernsehen zu den Wettkämpfen. Bei den Events vernetzen sich Firmen, Universitäten und NGOs. Und in der Forschungsgemeinschaft ist das Event zu einer Institution geworden: Laut Riener gibt es mittlerweile rund 2.000 wissenschaftliche Publikationen, in denen der Cybathlon erwähnt wird.
Riener entwickelt mit seinem Team an der ETH Zürich auch selbst Roboter – zur Assistenz von Menschen mit dauerhaften Beeinträchtigungen, aber auch zur Therapie von Patient:innen mit neurologischen Problemen. Er arbeitet dafür mit Therapeut:innen, Ärzt:innen und Pfleger:innen zusammen. »Erst seit etwa 30 Jahren verstehen wir, wie plastisch unser Nervensystem ist – und dass man Bewegungen etwa nach einem Schlaganfall wieder neu lernen kann.« Dazu sei aber ausdauernde Betätigung nötig: Während ein Baby etwa 26.000 Strampelbewegungen am Tag mache und ein Kleinkind täglich 14.000 Schritte gehe, um laufen zu lernen, verbrächten Patient:innen im Schnitt nur 10 Prozent ihrer verfügbaren Zeit in Therapieeinheiten. Robotische Prothesen und Exoskelette, die Bewegungen automatisch unterstützen oder ausführen, können in der übrigen Zeit Abhilfe schaffen.
Muskeln und Motoren
Die meisten Prothesen beim Cybathlon werden durch sogenannte Myoelektrik in Bewegung gesetzt, eine durch Muskelzellen erzeugte elektrische Spannung im Mikrovoltbereich. Durch die Kontraktion von Muskeln in intakten Körperbereichen können so bestimmte Bewegungsbefehle auf eine batteriebetriebene Prothese übertragen werden – bei einer Armprothese zum Beispiel von der menschlichen Schulter in die prothetische Hand.
Sechs Monate lang hat sich der von der Brust abwärts gelähmte Seunghwan Kim auf diesen Tag im Oktober 2024 vorbereitet, jede Aufgabe im Vorfeld trainiert. Er wollte schon beim Wettkampf 2020 dabei sein, doch hatte er sich wundgelegen und konnte das Exoskelett – einen am Körper tragbaren Roboter, der Bewegungen ermöglicht – damals nicht mehr anlegen. Kim hat sich zurückgekämpft. Jetzt steht er in dem klobigen Roboter am Startpunkt und stützt sich auf Gehhilfen mit integrierter Steuerung. Auf Knopfdruck wird er die Maschine in Bewegung setzen, die dann wiederum seinen Körper bewegt. Er tritt im Exoskelett-Rennen für das Team des Korea Advanced Institute of Science & Technology (KAIST) an. Dafür musste er nicht einmal verreisen: Er kann den Parcours samt Schiedsrichter in seinem Heimatland durchlaufen. Sein Durchgang wird live über die Videowürfel in der Schweizer Arena ausgestrahlt, wo sich seine Konkurrent:innen unter dem Applaus des Publikums bereit machen.
Das KAIST-Team nahm bereits zwei Mal mit anderen Piloten am Cybathlon teil. 2016 reichte es für Bronze, 2020 gewann es die Goldmedaille. Dann verwarfen die Forschenden ihr Modell und begannen ganz von vorn. Das neue Exoskelett sollte alltagstauglicher sein: Es sitzt nun vorne am Körper, so dass der Pilot es auch in einem Rollstuhl tragen und in der Bäckerei oder am Supermarktregal aufstehen könnte. Sensoren im Fußbereich sorgen mit automatischen Stützen für Balance, so dass es auch ohne zusätzliche Gehhilfen nutzbar wäre. Eingebaute Kameras scannen die Entfernung zu Hindernissen wie Treppenstufen und die Maschine schlägt Höhe und Weite des nächsten Schrittes vor – die Entscheidung darüber verbleibt aber beim Piloten.
Auf die Gehhilfen gestützt bewegt sich Kim auf zwei gegenüberstehende Bänke zu, die einen Viererplatz in einer S-Bahn simulieren. Er bewegt sich seitwärts hinein, setzt sich, steht auf. Weiter: Seine Schritte sind mehr die eines Roboters als die eines Menschen. Beim Gehen wackelt sein Kopf, als fahre er in einem Jeep jenseits befestigter Straßen. Er packt ein Paket in eine Einkaufstasche, bringt es zu einem Tisch, legt es ab. Weiter: Er weicht beweglichen Hindernissen am Boden aus. Weiter: Er läuft ein Stück freihändig, ohne Gehstützen. Er öffnet eine Tür, bewegt sich seitwärts hindurch und schließt sie. Er nimmt ein Schaumstoffstück aus dem untersten Fach eines Regals, schneidet an einer Arbeitsfläche eine Scheibe davon ab und legt diese in einen Brotkorb. An der Ziellinie bricht sein Team in Jubel aus. Umarmungen, Tränen. Die volle Punktzahl: Platz eins.
Ein Exoskelett für Mobilität – und Selbstbewusstsein
Seunghwan Kim ist seit einem Motorradunfall querschnittsgelähmt. Vom ersten Gang mit Exoskelett erinnert er vor allem ein kompliziertes Gefühl, das kaum in Worte zu fassen sei: »Das Exoskelett bedeutet für mich nicht nur Mobilität. Es ist der Weg, mein Selbstbewusstsein zurückzuerlangen – und mein volles Potenzial zu entdecken«, sagt er im Videocall. Heute ist die Arbeit mit dem KAIST-Labor sein Vollzeitjob. »Mein Sohn ist heute zwei Jahre alt«, sagt Kim. »Mein größter Traum ist es, eines Tages Hand in Hand mit ihm durch die Straßen zu laufen.«
Weltweit gibt es bis zu 500.000 Fälle von Querschnittslähmung pro Jahr – und nochmal ein Vielfaches von Menschen mit neurologischen Problemen, die mithilfe von Exoskeletten Bewegungen wiedererlernen könnten. Aus der Forschung bei KAIST ist das Unternehmen Angel Robotics entstanden, das in Korea bereits kommerzielle Exoskelette für Therapie und Assistenz, aber auch zur Unterstützung von Industriearbeiter:innen anbietet, um etwa Ermüdung in anspruchsvollen Arbeitspositionen vorzubeugen. »Unser neues Cybathlon-Modell ist etwa zu zwanzig Prozent ausgereift«, sagt KAIST-Entwickler Jeongsu Park. Bei hundert Prozent werde es filigraner und schneller sein sowie flüssigere Bewegungen ermöglichen.
Die wirklichen Herausforderungen warten aber nicht beim Cybathlon – sondern draußen in der echten Welt. »Im Labor und beim Cybathlon geschieht nichts Unvorhergesehenes«, sagt Park. »Sobald der Pilot draußen unterwegs ist, muss der Roboter sehr schnell auf viele verschiedene Reize reagieren.« Für die breite Anwendung solcher Geräte sei allerdings mehr als technologische Entwicklung nötig. Auch die soziale Infrastruktur muss Fortschritte machen, damit Exoskelette und Hightech-Prothesen als sicher anerkannt, von Krankenkassen akzeptiert und möglichst vielen Patient:innen zugänglich werden. Sollte das gelingen, wäre das ein großer Schritt in Richtung Inklusion und Chancengleichheit.
Die Grenzen zwischen Mensch und Maschine
Aber wie weit kann die Verschmelzung von Mensch und Maschine in Zukunft gehen? Und welche Auswirkungen wird das auf die Gesellschaft haben?
In ihrem Cyborg Manifesto von 1985 untersuchte die feministische Autorin Donna Haraway das Potenzial von Technologie für die Überwindung gesellschaftlicher Ungleichheiten. Sie stellte klassische Dualismen wie »Mann und Frau« oder »Mensch und Maschine« in Frage – da diese ihr zufolge das Denken einschränkten und Machtverhältnisse reproduzierten. Die Figur des Cyborgs, einem Zwischenwesen aus Organismus und Maschine, war für sie eine Metapher für die Möglichkeit, Trennungen aufzuheben und Machtverhältnisse zu überwinden.
Für den Cybathlon-Gründer Robert Riener ist »Cyborg« ein dehnbarer Begriff: Vielleicht sei die Grenze schon da überschritten, wo Menschen den ganzen Tag eins mit ihrem Smartphone seien. Umso mehr stehen die Cybathlons wohl für die egalitäre Verschmelzung von Mensch und Maschine, von der auch die Autorin Haraway träumte. Die Zukunft, in der körperliche Ungleichheiten technologisch vollkommen ausgeglichen werden, ist jedoch fern – ebenso wie die Erfindung des perfekten Haushaltsroboters. »Im Moment kämpfen wir noch damit, Menschen mit einer Lähmung etwas Bewegungsfunktion zurückzugeben«, sagt Riener.
Beim Cybathlon ist stets beides präsent: das Gefühl für den Fortschritt und die enormen Potenziale der Technologie – aber auch das Bewusstsein, dabei noch ziemlich am Anfang zu stehen. Etwa wenn der französische Pilot Christophe Huchet, einer der wenigen Teilnehmenden des Handprothesen-Rennens mit vollständig fehlendem Unterarm, seine Aufgaben dank Roboterarmprothese und seines ehrgeizigen Trainings mit erstaunlicher Präzision meistert – und ihm dann, beim Versuch, eine Pfanne zu heben, die Hand abfällt, den Griff der Pfanne noch fest umschlossen. So heißt es eben: Aufheben, dranschrauben, weiter geht’s.
Unerreichte Vielseitigkeit
Für sich genommen übertreffen die Einzelkomponenten heutiger Roboter ihre menschlichen Äquivalente längst. Kameras sind die besseren Augen, Mikrofone die besseren Ohren, Computer die besseren Hirne – zumindest, wenn es um die nötige Rechenleistung für Bewegungsaufgaben geht. Die Titanstruktur eines Roboters ist robuster und leichter als Knochen und die Entwicklung der Sensorik sowie energieeffizienter Elektromotoren verläuft rasant. Immer wieder beeindrucken Tech-Firmen deshalb mit Videos ihrer humanoiden Superroboter. Doch kein Roboter ist annähernd so vielseitig wie der Mensch.
In einer Studie hat Robert Riener 27 besonders leistungsfähige Roboter mit Menschen verglichen. »Wir haben uns angeschaut, wie sie in menschgemäßer Umgebung klarkommen – denn dort sollen sie uns im Alltag helfen.« Die untersuchten Roboter müssen also in etwa so groß wie Menschen sein, Treppen steigen, durch eine Tür passen und bestenfalls Finger haben. Rieners Ergebnis: In seiner Welt bleibt der Mensch unerreicht. Einzelne Aufgaben können heutige Roboter durchaus effizienter erledigen. Doch sie bleiben Spezialisten, können entweder schnell laufen wie der »Cheeta«, Saltos machen wie der »Atlas« oder Pralinen verpacken – über ihren spezifischen Zweck hinaus sind sie jedoch nur begrenzt zu gebrauchen.
Einige menschliche Funktionen und Körperteile sind technologisch bisher nicht nachzuahmen: »Elastische Federn zum Beispiel, wie die menschlichen Sehnen“, sagt Riener. »Und wir scheitern noch daran, Motoren, Augen, Knochen und alles andere so zusammenzubauen, dass es einigermaßen kompakt ist und miteinander funktioniert.« Dafür fehle Wissen darüber, wie der Mensch Bewegungen lernt und dann optimal durchführt. Ganz abgesehen davon, dass unsere Körper wachsen können, bei Verletzungen heilen und wir außerordentlich anpassungsfähig sind. So wird es – leider und zum Glück – bis auf Weiteres den Menschen als Arbeitskraft brauchen. Und auch Prothesen sind weiterhin eher dürftiger Ersatz für menschliche Gliedmaßen als eine Steigerung in Richtung Supermensch.
Die Gladiatoren der Gedankenkraft
Als sich der Cybathlon-Tag dem Ende neigt, fahren die Gladiatoren der Gedankenkraft mit ihren Rollstühlen in die Arena. Vor ihnen werden Bildschirme installiert, auf denen sie virtuelle Objekte um die Wette bewegen sollen. Das funktioniert über ein so genanntes Brain-Computer-Interface (BCI) – eine Technologie, die eine direkte Kommunikation zwischen Gehirn und einem Computer ermöglicht. Die Piloten in der Arena tragen Hauben mit Elektroden, die über die Kopfhaut Signale ihres Hirns messen. Durch diese so genannte Elektroenzephalografie (EEG) können die Daten interpretiert und in Befehle übersetzt werden, die wiederum elektronische Geräte steuern – ganz ohne Muskeln oder Nervenbahnen zu nutzen. BCIs gelten deshalb als Schlüsseltechnologie, die das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine von Grund auf verändern kann.
Die Piloten durchlaufen vier virtuelle Aufgaben in jeweils mehreren Durchgängen mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden. Sie müssen einen Schlüssel in ein Schlüsselloch bewegen und umdrehen, einen Rollstuhl durch einen Raum mit verschiedenen Hindernissen navigieren und einen Becher unter einer Eiswürfelmaschine möglichst ruhig halten, indem sie ihre Hirnaktivität runterfahren. Einer der Piloten legt perfekte Durchgänge hin, fliegt förmlich durch die Aufgaben und schlägt seine Konkurrenten um Längen: Phill McKenzie, der aus Pittsburgh, USA, zugeschaltet ist. McKenzie ist vom Hals abwärts gelähmt. Er nimmt von einem Krankenbett aus am Cybathlon teil und trägt als einziger keine Haube auf dem Kopf. Stattdessen ragen zwei kleine Stecker mit Kabeln aus seiner Schädeldecke, die über ein sogenanntes Utah-Array-Implantat direkt mit seinem Hirn verbunden sind. Phill McKenzie ist ein Cyborg im engeren Sinne.
Ein Chip im Gehirn
»Das Implantat hat einen funktionalen Vorteil gegenüber dem EEG der anderen Teams«, sagt seine Teammanagerin Cecile Verbaarschot von den Rehab Neural Engineering Labs (RNEL) der Universität Pittsburgh. »Es sitzt sozusagen an der Quelle und liefert präzise Signale aus dem zuständigen Hirnareal. Die können direkt in Bewegung übersetzt werden.« McKenzie wurden Chips mit Nadelelektroden ins Hirn verpflanzt, direkt zu den Nerven, die dann feuern, wenn bestimmte Bewegungswünsche gedacht werden. Diese können dort ohne Störung gemessen werden, was die Übersetzung in einen Befehl extrem beschleunigt. Und während die anderen Piloten vor jedem neuen Befehl eine gedankliche Pause einlegen müssen – etwa: geradeaus, Pause, rechts –, kann McKenzie dies in einer fließenden gedanklichen Bewegung vollziehen. Der Nachteil: Der chirurgische Weg zum Brain-Computer-Interface ist mit erheblichen Risiken verbunden. Patient:innen können nach dem Eingriff schlimmstenfalls eine Hirnhautentzündung bekommen und daran sterben. Nur Menschen mit schwersten Behinderungen dürfen überhaupt als Proband:innen an derartigen Studien teilnehmen.
Das Labor der Universität Pittsburgh dringt mit seiner Forschung in unbekannte Sphären vor: Der Cybathlon-Pilot Phill McKenzie hat nicht nur das Implantat im Motorcortex des Gehirns. Er hat auch ein Implantat im somatosensorischen Cortex, der für das Fühlen zuständig ist – etwa für Feedback, wenn wir etwas berühren. Die Forschung ist also schon ein paar Schritte weiter als das, was beim Cybathlon präsentiert wird: »Wir arbeiten an einem Roboterarm, den Phill mit seinen Gedanken steuern kann – und der sich in etwa so anfühlt wie sein eigener Arm«, erklärt Cecile Verbaarschot. Das heißt: So wie seine Gedanken in eine Bewegung des künstlichen Arms übersetzt werden, als würde er seinen eigenen Arm bewegen, werden auch durch Sensoren gesammelten Daten des Roboterarms in Hirnsignale übersetzt, die McKenzie fühlen lassen. Forscherin Verbaarschot spricht dabei von einem »geschlossenen Loop«. Ihr Labor war das erste, das diese Technologie bei einem Menschen angewandt hat. Weltweit gibt es bisher nur neun Cyborgs dieser Art.
Mensch und Roboter: eine freundliche Symbiose
Die Zusammenführung von Hightech-Prothesen und Brain-Computer-Interfaces ist der nächste logische Schritt auf dem Weg hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Nach dem bisher gängigen Prinzip der Myoelektrik spannt beispielsweise ein Pilot mit Handprothese seinen Schultermuskel als Vermittler an und befiehlt der Roboterhand somit zuzugreifen. Eines Tages jedoch könnten Armprothesen, Beinprothesen und Exoskelette so selbstverständlich bewegt werden, wie wir unsere Körperteile bewegen und damit flexibler und vielseitiger einsetzbar sein. Die Roboterhand würde also zugreifen, weil der Pilot sie über seine Gedanken direkt ansteuert – als würde er seine eigene Hand bewegen.
Die Forschung rund um den Cybathlon eröffnet den Ausblick auf eine freundliche Symbiose von Mensch und Roboter – entgegen aller durch Hollywood und Science-Fiction-Romane befeuerten Dystopien. Allerdings gäbe es selbst für Robert Riener ein Zuviel-des-Guten: »In hundert Jahren könnte die Technologie so fortgeschritten sein und uns so viele Aufgaben abnehmen, dass wir nicht mehr wissen, was wir mit unserer Zeit anfangen sollen«, sagt er. Ein ewiger Ruhestand wäre das, der menschliche Gesellschaften in eine kollektive Depression stürzen könne. »Ich habe Angst, dass wir uns eines Tages selbst zerstören, indem wir uns nutzlos machen – ohne Arbeit, ohne Erfolgserlebnisse, ohne menschliche Interaktion«, sagt Riener.
Neben der Entwicklung der Technologie wird es also unsere große Aufgabe sein, das Menschsein weiterzuentwickeln – und herauszufinden, was es in einer Welt zunehmender Technologisierung bedeuten kann.
Erschienen am 13. Februar 2025
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