Die Ausbeutung von Bant
1780 ist alles vorbei: Die Insel Bant wird endgültig von den Fluten der Nordsee davongerissen. Nicht einmal die Baken, mit der die Stadt Emden die Reste der Insel markiert hatte, hielten dem Wasser stand – und schon ein Jahr später sollte ein Frachtsegler der fehlenden Baken wegen auf eine Sandbank auflaufen und sinken. Was bleibt, ist der Mythos der untergegangenen Insel.
Dieser beginnt im Dunkel der Geschichte: Bereits die antiken Geschichtsschreiber Strabon und Plinius erwähnten eine große Insel in der Nordsee, die von Borkum bis Norderney reichte, sie wurde Burchana genannt. Jahrhunderte später sollen mächtige Sturmfluten wie die Grote Mandrenke von 1362 die Insel zerrissen haben, erzählte man sich. War die Insel Bant ein Rest dieser großen »Bohneninsel«, bevor auch sie restlos verschwand?
Für Generationen sollte die versunkene Insel Bant fortan zum Sinnbild für die Stärke des Meeres werden. Dabei erzählt die Geschichte von Bant eigentlich mehr über die Kraft des Menschen als über die Kraft der Natur. Denn Bant verschwand durch Menschenhand. Über Jahrhunderte hatten die Inselbewohner:innen Salztorf abgebaut und Speisesalz in Salzsiederhütten gewonnen. Durch diese Ausbeutung war Bant zunehmender Erosion ausgesetzt. Die Menschen sahen dem Ende der Insel gleichsam zu: War sie im Jahr 1650 noch über 70 Hektar groß, so blieb 50 Jahre später nur noch ein Zehntel der Fläche übrig. Nach weiteren 80 Jahren hatten Mensch und Meer ihr Werk vollendet. Bant war Geschichte.
Erschienen am 28. Mai 2020
Zweifelhafte Existenzen
Das Entdecken und Erobern der Weltmeere war keine exakte Wissenschaft. Auf alten Navigationskarten finden sich etliche Riffe, Untiefen und selbst Inseln, deren Existenz nicht gesichert war – so auch die Aurora-Inseln.
Zuerst sichtete das spanische Schiff Aurora 1762 auf halbem Weg zwischen den Falkland-Inseln und Südgeorgien insgesamt drei Inseln. Ein weiteres Schiff kartierte ihre Lage auf die Minute genau, weitere Sichtungen folgten. 1794 machte sich eine Korvette auf den Weg, um die Auroras zu vermessen: Kapitän José de Bustamante beschrieb die zentrale und größte Insel als zeltförmige Spitze, die nördliche Insel als schneebedeckten Gipfel und die südliche als sattelförmigen Felsen. Da er zudem die Breiten- und Längengrade der Auroras bestätigte, schafften sie es endgültig auf die Karten.
Fortan jedoch verlief jede Suche nach den Inseln erfolglos. Und wie alles Verschwundene regten die Aurora-Inseln die Fantasie an: Unter Matrosen ging die Legende einer gesunkenen Schatz-Galeone um, die den Findern großen Reichtum brächte. Auch in der Literatur tauchen die Auroras häufig auf – besonders, seit sie Mitte des 19. Jahrhunderts nach und nach auch wieder von den Seekarten verschwanden.
Wie aber lassen sich all die Sichtungen erklären? Waren es drei gemeinsam auftauchende Eisberge? Sind die Inseln irgendwann im Ozean untergegangen? Oder handelte es sich um die Shag Rocks, eine Gruppe Felsen, allerdings deutlich kleiner und mehr als hundert Seemeilen östlich gelegen? Das Geheimnis der Aurora-Inseln wird wohl nie gelüftet werden. Gerade darum besteht ihr Mythos weiter.
Erschienen am 28. Mai 2020
Eine Reise nach Fantasyland
Er habe eine Insel gesehen mit langer, trostloser Küste und mit schneebedeckten Bergen, darauf 3.000 Seeelefanten, 150 Seeleoparden und allerlei Vögel. Die Küste liege im Weddellmeer, nordwestlich der Antarktis – so beschrieb der US-amerikanische Kapitän und Forscher Benjamin Morrell eine Insel, die seinen Namen trägt: Morrell’s Land. Er selbst nannte sie New South Greenland.
1823 war Morrell ins Südpolarmeer aufgebrochen, seine Forschungsberichte veröffentlichte er neun Jahre später in dem Buch A Narrative of Four Voyages. Ein knappes Jahrhundert später hätte dieser Bericht über New South Greenland ein deutsches Forschungsteam fast das Leben gekostet.
Am 6. Mai 1911 legte die Deutschland unter der Leitung des Geophysikers Wilhelm Filchner in Bremerhaven ab – mit der Frage: Ist die Antarktische Halbinsel Teil des Kontinents oder durch einen Meeresarm davon getrennt?
Fast ein Jahr später fror das Schiff in einer Eisscholle im Weddellmeer fest. Neun Monate lang trieb es nach Westen und Norden. Filchner berechnete, dass die Scholle zu Morrell’s Land treiben müsste – und machte sich mit zwei Forschern auf, die Insel zu suchen. Sie kämpften sich über das Meereis, doch es war kein Land in Sicht. Die Forscher starben fast bei ihrer Rückkehr zum Schiff.
Dabei hätten sie es besser wissen müssen: Morrell war ein berüchtigter Lügner. Er erfand Geschichten, um den Absatz seiner Berichte anzukurbeln und sich über seine Leser lustig zu machen. Morrell’s Land existierte nur in seiner Fantasie.
Erschienen am 28. Mai 2020