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Besser als Bio?

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Bernd Eberhart

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Ilkay Karakurt
 

 

 

 

 

 

Ökolandbau bringt zu wenig Erträge, um die ganze Welt satt zu kriegen. Landwirt Julian Lutz bewirtschaftet seine Flächen trotzdem biologisch. Er glaubt, eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. 

Jeden Tag sei der Opa rausgefahren, erzählt Julian Lutz. Hat sich in sein Auto gesetzt und ist über die Feldwege geschlichen, um die Äcker zu inspizieren. Ob alles sauber ist, ob alles seine Ordnung hat. Früher hätte er das nie gemacht. Aber als der Enkel den Betrieb auf Bio umstellte, da hat der Opa genau hingeschaut. Dass die Äcker aussehen wie die Sau, war seine Befürchtung, dass die Leute rauskommen und sagen: »Wie sieht’s denn hier aus?«

Drei Generationen Lutz arbeiten auf dem Hof: Julian, sein Opa Paul, Jannick, Nicolas und ihr Vater Martin (v.l.n.r.)

Am Rande des Naturpark Schönbuch, rund 30 Kilometer südwestlich von Stuttgart, liegt das Städtchen Gärtringen. Am Rande von Gärtringen liegen die Waldhöfe: Waldhöfe 1, ein großer, konventioneller Betrieb. Waldhöfe 2 und 3, kleine landwirtschaftliche Betriebe mit Reiterhof und Pensionspferden. Und die Waldhöfe 4: eine landwirtschaftliche GbR, eingetragen auf Julian Lutz und seinen Vater, seit 2023 komplett Bio-zertifiziert inklusive Premium-Siegel des Anbauverbandes Bioland. Bio, das heißt also: keine chemischen Dünger mehr, keine synthetischen Spritzmittel, für gewöhnlich weniger Belastung für Umwelt und Boden. Und, das heißt Bio leider meist auch: weniger Ertrag. Noch immer klafft im Schnitt eine Ertragslücke von gut 25 Prozent zur konventionellen Landwirtschaft. Ein Viertel weniger Ernte also auf der gleichen Fläche.

Global gesehen ist das ein Problem. Regional dagegen kokettieren Bio-Fans teils mit diesem Image des »weniger ist mehr«, mit einer entschleunigten, extensiven Landwirtschaft, mit einer Art antikapitalistischem Gegengewicht zum Vollgas-Landbau. Dass die Felder überwachsen sind von Disteln und Ampfer, von »Beikräutern« also, wird von manch entschleunigten Biobäuer:innen als Beitrag zur Biodiversität gesehen. Dass die Äcker aussehen wie die Sau also, wie Opa Lutz sagen würde.

Natürlich, hier stecken wir schon mittendrin in den ideologischen Grabenkämpfen der Landwirtschaft: Bio und konventionell, die beiden Lager beäugen sich seit Jahrzehnten kritisch, wenn nicht gar feindselig. Die Rübenstreichler gegen die Chemie-Farmer, so die Klischees, die Natur- und Bodenfreunde gegen die Profit- und Ertragsmaximierer. Genau wie Opa Lutz waren viele alte Bauern skeptisch gegenüber den alternativ Wirtschaftenden. Man bezichtigte sich gerne gegenseitig, dem anderen die Felder zu versauen: mit Distelsamen oder eben mit Chemie.

Ballenpresse (links), Traktor und Teleskoplader – der Familienbetrieb Lutz betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft
Ballenpresse (links), Traktor und Teleskoplader – der Familienbetrieb Lutz betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft

In der jüngsten Generation allerdings scheinen die Grabenkämpfe abzunehmen. So wie Julian Lutz gibt es von beiden Seiten kommend immer mehr Bäuer:innen, die keine Lust mehr haben auf Ideologie – sondern einfach auf eine in jeder Hinsicht nachhaltige Landwirtschaft. »Diese brutale Extensivierung in Bio, ob auf dem Acker oder in der Viehhaltung, das ist nicht das, was wir machen wollten.« Er sage trotz Bio immer noch »Unkraut« und nicht »Beikraut«, lacht Julian Lutz. »Meine Äcker müssen sauber sein.«

Lutz steht auf seinem Hof in Gärtringen, blauer Augusthimmel über grünen Weiden, braune Kühe mit geschwungenen Hörnern, goldgelbe Strohballen auf dem Trecker, den Julians jüngerer Bruder Jannick durch die Gegend lenkt. Julian Lutz hat an der Hochschule Nürtingen-Geislingen Agrarwirtschaft studiert, danach, im Jahr 2021, ist er in die GbR des Vaters eingestiegen. Der Vater hatte den Betrieb die letzten 20 Jahre als hauptberuflicher Feuerwehrmann im Nebenerwerb gelenkt, hauptsächlich mit Ackerbau und Mutterkühen für die Kälberzucht. In all den Jahren sei der Betrieb ordentlich gelaufen, aber so richtig Geld rausgekommen sei nie. Der Sohn, Julian Lutz, frisch von der Hochschule, wollte er das anders machen: »mit Zukunft,« wie er sagt. Zusammen mit seinem Bruder Jannick, ganz oder gar nicht. Ohne Reinreden.

Zwei Rinder auf dem Bio-Bauernhof – Lohnunternehmen Lutz, ein Familienbetrieb betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft. Aufgenommen am 27. September 2023 in Ehningen
Zum Hof gehören auch Rinder.

Nachhaltigkeit ist Julian und Jannick Lutz wichtig: die Böden und die Natur zu bewahren, so wenig Input wie nötig auf den Feldern, so CO2-arm wie möglich. Bio lag also nahe, die Mutterkuhhaltung habe ohnehin schon die strengen Standards erfüllt, berichten die Brüder.

Trotzdem wollten sie es »ordentlich« machen, ganz im Sinne des Opas. Und mit gutem Ertrag. Das ist in der Bio-Welt deutlich schwieriger als im konventionellen Landbau. Ohne Technik, das war den beiden klar, wird es nicht gehen: Wo im konventionellen Landbau Unkräuter weggespritzt werden, muss der Biobauer etwa mit dem Striegel über den Acker fahren – einem Gerät, das an den Traktor gehängt wird und die unerwünschten Pflanzen ausreist. Also, neuer Traktor, neue Sämaschine, neue Hackmaschine, neuer Striegel: »Wir hatten über eine Viertelmillion Euro in Technik investiert, noch bevor der erste Acker auf Bio umgestellt war«, erklärt Julian Lutz.

<span style="color: #ffffff;">Jannick konfiguriert den Traktor. Über ein GPS-System kann dieser auf 25cm genau das Feld autonom abfahren. Nur die Wende am Endes des Feldes übernimmt Jannick. – Lohnunternehmen Lutz, ein Familienbetrieb betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft. Aufgenommen am 27. September 2023 in Ehningen.</span>
Jannick Lutz konfiguriert den Traktor. Über ein GPS-System kann dieser auf 25 cm genau das Feld autonom abfahren. Nur die Wende am Endes des Feldes übernimmt Jannick.

Es gibt noch einen dritten Bruder, Nicolas. Er macht nächstes Jahr Abitur, wahrscheinlich will er dann auch Agrarwirtschaft studieren und später in den Betrieb einsteigen. Auch Jannick Lutz studiert noch, er macht einen Abschluss als Wirtschaftsingenieur. Das trifft sich gut – er ist der Fachmann für die Technik auf dem Hof. Er präsentiert den neusten Zugang im Gärtringer Fuhrpark: den FarmDroid FD20. Fast fabrikneu steht der Feldroboter in der Scheune, kaum ein Ackerstäubchen klebt an seinen drei Stollenreifen. Über gut drei Meter spannen sich die Photovoltaik-Paneele wie ein Dach über den Roboter. Für Raps und Rüben haben die Brüder den künstlichen Kollegen angeschafft, zwei Kulturen, die vor allem im Biolandbau sehr arbeitsintensiv sind. Zuckerrüben sind zwar lukrativ. Aber das Unkraut zwischen den einzelnen Pflanzen muss, weil man es nicht einfach wegspritzen darf, bisher händisch entfernt werden. »120 bis 150 Stunden braucht das pro Hektar, alles mit der Handhacke«, erklärt Julian Lutz – nicht nur knüppelharte Arbeit, sondern auch fürchterlich viel Zeit. Der FarmDroid dagegen surrt autonom über den Acker, tagsüber und auch nachts, wenn die Sonne seine Akkus voll geladen hat. Im Schnitt schafft er 700 Meter in der Stunde, zwei GPS-Antennen halten ihn auf Kurs. Und weil der Droid eine Simkarte an Bord hat, ruft er Jannick Lutz an, falls ein Problem auftritt. Wenn er nicht hackt, dann sät der Roboter. Speichert für jedes Korn, das er in den Boden bringt, die genauen Koordinaten ab – und weiß dann wiederum, wo er später keine Hacke ansetzen darf.

<span style="color: #ffffff;">Der solarbetriebene Aussaat- und Hackroboter Farmdroid, liebevoll Inge genannt. Er kann Unkraut entfernen und aussäen. Mit seinen zwei GPS-Antennen kann er die Spur auf bis zu 3mm genau halten. – Lohnunternehmen Lutz, ein Familienbetrieb betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft. Aufgenommen am 27. September 2023 in Ehningen.</span>
Der solarbetriebene Aussaat- und Hackroboter Farmdroid, liebevoll Inge genannt. Er kann aussäen und Unkraut entfernen. Mit seinen zwei GPS-Antennen kann er die Spur auf bis zu 3 mm genau halten.

»In der Landwirtschaft geht es technisch unglaublich schnell voran«, sagt Jannick Lutz. Gerade für die Biolandwirtschaft sei Technik der entscheidende Schlüssel. »Wir werden gar nicht drum rum kommen. Denn Arbeitskräfte gibt es natürlich auch in der Landwirtschaft zu wenig.« Gut 90.000 Euro haben die beiden für ihren Feldroboter gezahlt. Rechnet man die Arbeitszeit auf, wird er sich schon in kurzer Zeit amortisiert haben. Nächste Woche hat der Droid seine erste echte Premiere, freut sich Jannick Lutz: Raps-Aussaat.

Streift man mit den beiden Brüdern über ihren Hof, bekommt man fast den Eindruck, da haben sich zwei große Jungs einen verdammt feinen Spielplatz eingerichtet. Und klar, die beiden haben Spaß an ihrer Technik, sind stolz auf ihre Arbeit, genießen es, ihr Ding zu machen. Aber nur der Spaß erklärt nicht die Siebentagewochen, die man sich mit einem Hof auflädt: An vier Tagen arbeitet Julian Lutz bei einer landwirtschaftlichen Beratungsfirma, nach Feierabend und an den restlichen drei Tagen auf dem Hof. »Es gibt auch Tage, da schafft man von 8 Uhr morgens bis 12 Uhr nachts«, erzählt Jannick Lutz. »Da braucht es schon Leidenschaft für den Beruf.« Julian nickt. »Bauer ohne Leidenschaft? Vergiss es.«

Jannick Lutz kontrolliert den vom Farmdroid bearbeiteten Boden. Im Hintergrund: Der solarbetriebene Aussaat- und Hackroboter Farmdroid. Er kann Unkraut entfernen und aussäen. – Lohnunternehmen Lutz, ein Familienbetrieb betreibt mit modernder Technik Biolandwirdschaft. Aufgenommen am 27. September 2023 in Ehningen.</span>
Jannick Lutz kontrolliert den vom Farmdroid bearbeiteten Boden.

Sicher ist das auch eine Erklärung dafür, dass die beiden sich für die ökologische Landwirtschaft entschieden haben. Aber warum für Bio intensiv? Warum machen sich die beiden mit ihrem Nebenerwerbsbetrieb nicht ein gemütlicheres Leben? Ist es doch das Geld, das die Brüder antreibt? Da lachen sie beide. Klar soll ein bisschen was dabei rausspringen, »aber wenn man reich werden will, wird man kein Bauer.« Zwar hätten sie in den letzten vier Jahren ganz ordentliche Gewinne eingefahren. Das Meiste aber eh gleich wieder in den Betrieb investiert. »Es stimmt schon«, räumt Julian ein, »wir wollen das Maximum von den Äckern holen. Blümchenwiesen sind schon schön. Aber es ist doch einfach so: Die Menschen auf der Welt brauchen was zum Essen.« Sind die Erträge niedrig, braucht es immer noch mehr Ackerflächen. Und selbst wenn sich neben dem Weizen noch Disteln und Ampfer tummeln: Mit Wald oder Magerwiese kann die Biodiversität auf dem Acker niemals mithalten. »Wir in Deutschland haben doch im Vergleich zum Rest der Welt Geld ohne Ende«, sagt Julian Lutz. »Klar können wir Biolebensmittel essen, wenn wir wollen. Und zur Not können wir einfach Getreide zukaufen, wenn es nicht reicht.« Getreide, das dann anderswo fehlt. Hier in Deutschland aber hätten wir das Klima und die Böden für hohe Erträge, sagt Lutz. »Da sind wir es doch schuldig, viel rauszuholen und das Ganze trotzdem umweltverträglich zu gestalten!«

Die Ertragslücke zum Betrieb des Vaters, zum konventionellen Landbau also, sei gar nicht so groß. Fünf bis zehn Prozent, schätzt Lutz. Das liegt auch an einem besonderen Deal, den er mit dem Betreiber einer Biogasanlage in der Nachbarschaft hat: Lutz liefert Kleegras, das er auf seinen Feldern anbaut. Vermischt mit anderen Energiepflanzen kommt es in die Anlage. Im Austausch bekommt der Biobetrieb Gärsubstrat, das bei dem Prozess übrigbleibt – und das Lutz als effektiven Dünger auf seine Felder ausbringen kann. Der Anlagenbetreiber hat sich extra verpflichtet, strengere Vorgaben einzuhalten als viele seiner Kolleg:innen. So wird das Lutz’sche Bio-Siegel nicht gefährdet.

Nach fünf Jahren wollen die Brüder einen Strich machen, eine Bilanz ziehen aus ihrer Bio-Wirtschaft. Letztes Jahr waren die Erträge gut, berichten sie. Dieses Jahr aber war das Wetter schlecht – viel zu trocken im Frühjahr. »Hafer und Soja waren katastrophal – Totalausfall«, sagt Julian Lutz. »Aber unterm Strich stehen wir noch besser da als viele andere.«

Nicolas Lutz (links) hilft seinem Bruder Jannick beim Rangieren, um die Egge an den Traktor zu hängen.
Nicolas Lutz (links) hilft seinem Bruder Jannick beim Rangieren, um die Egge an den Traktor zu hängen.

Könnte man Bio denn noch besser machen?

Julian Lutz überlegt einen Moment. Ein Bürokratieabbau sei dringend nötig, findet er: »Das ist ein brutaler Papierkram mit Bio.« Und Stickstoff, der wichtigste Nährstoff für Pflanzen, der sei eben die größte Engstelle im Ökolandbau. Dass chemische Dünger tabu sind, findet Lutz richtig. »Aber für andere Lösungen muss sich der Biolandbau viel mehr öffnen.« Der Biogas-Deal sei ein Schritt in die richtige Richtung, sagt er. »Aber er ist bisher eben auch eine große Ausnahme.«

Dass sich bio- und konventionelle Landwirtschaft weiter annähern werden, zeichnet sich längst ab. Vermutlich werden beide Seiten Zugeständnisse machen müssen. Aber Umwelt und Klima werden davon profitieren – und damit wir alle. Inzwischen hat sogar Opa Lutz seinen Frieden gemacht mit Bio. Irgendwann nach dem ersten Jahr hat er gebruddelt: »Das hab‘ ich ja nicht gedacht, dass das so gut läuft«, erzählt Julian Lutz. Ein dickeres Lob, das weiß er genau, kann es gar nicht geben von so einem alten Schwaben.

Erschienen am 22. November 2023

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