Der Planetenentdecker
Viele Stunden seines Lebens hat Erwin Schwab damit verbracht, den Morgenhimmel zu beobachten. Dabei hat der Hobbyastronom 114 Kleinplaneten entdeckt – und einen Beitrag zur Wissenschaft geleistet. Ein Porträt.
November ist einer der denkbar schlechtesten Monate für kosmische Beobachtungen. Schneeflocken wirbeln durch die Luft, die Sicht auf den Himmel ist trüb. Eigentlich wollte Erwin Schwab heute Abend mit seinem Teleskop beobachten, wie Titan, der größte Mond des Saturns, seinen Schatten auf den Planeten wirft. Ein seltenes Ereignis, bei dem sich ein kleiner schwarzer Punkt auf der Oberfläche des Saturns von der Erde aus betrachten lässt. Aber die Sicht ist schlecht. »Das wird wahrscheinlich nichts«, sagt der 60-jährige Hobbyastronom, der in Egelsbach bei Darmstadt wohnt. Er nimmt es mit Gelassenheit. Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt er sich mit Astronomie. Von den Tücken des Wetters lässt er sich schon lange nicht mehr unterkriegen.
Schwab ist aber nicht nur reiner Beobachter des Nachthimmels. Er ist ein Entdecker: Zusammen mit Freund:innen von der Sternwarte im Taunus und in Heppenheim jagt er Kleinplaneten. Mittlerweile hat Schwab 114 solcher Himmelskörper aufgespürt und zählt damit zu den Top-Ten der erfolgreichsten deutschen Kleinplaneten-Entdecker:innen. »Hätte mir das früher jemand gesagt, ich hätte ihn für verrückt gehalten«, sagt Schwab. Als er anfängt, von den Himmelskörpern zu erzählen, ist er kaum zu bremsen.
Schwab arbeitet im GSI Helmholzinstitut für Schwerionenforschung in Darmstadt mit Maschinen, die Atomkerne zusammenquetschen, und hat eine Familie mit zwei Söhnen. Er lebt zwei Leben gleichzeitig: Tagsüber ist er Vater und Ingenieur für physikalische Technik, nachts wird er zum Himmelsforscher. Denn wer etwas Neues entdecken will, muss den frühen Morgenhimmel beobachten. Weltweit gibt es schätzungsweise gerade einmal 1.000 Kleinplanetenjäger, sagt Schwab.
Kleinplaneten, sogenannte Asteroiden oder Planetoiden, sind Gesteinsbrocken. Vermutlich stammen sie aus planetarischen Staub, sagen Astronom:innen. Sie sind also zusammen mit unserem Sonnensystem aus einer Wolke aus Gas und Staub entstanden, aber sie haben nie genügend Masse angesammelt, um sich zu einem vollständigen Planeten zu entwickeln. Im Gegensatz zu unseren acht großen Planeten gibt es von den Kleinplaneten richtig viele und sie sind meist – wie der Name schon sagt – sehr klein. Manche von ihnen sehen aus wie eine runzlige Kartoffel, andere wie Kieselsteine. Sie können aber auch einen Durchmesser von bis zu mehreren tausend Kilometern haben. Auch sie befinden sich in der Umlaufbahn der Sonne, die meisten zwischen Mars und Jupiter – im sogenannten Asteroidengürtel. Wegen ihrer geringen Schwerkraft sind sie oft nicht rund wie die großen Planeten.
(33863) Elfriederwin = 2000 JH7
Discovered 2000 May 5 at the Starkenburg Observatory, Heppenheim.
Seine Faszination für Himmelsgestirne entdeckte Erwin Schwab früh: Als 12-Jähriger bekam er von seinen Eltern, Elfriede und Erwin, sein erstes Fernglas geschenkt. Statt mit dem Feldstecher Tiere zu beobachten, richtete der Junge ihn gen Himmel. Die Milchstraße, dieses milchige Band, zog ihn in den Bann. Das alles sollten nichts anderes als Sterne sein?
Mit 15 Jahren wurde er Mitglied in der Starkenburg-Sternwarte Heppenheim. Von da an räumte er regelmäßig Jugend-Astronomie-Preise ab. Unter anderem im Jahr 1984 als »aktivster Beobachter der letzten halben Dekade«. Während andere Jugendliche in seinem Alter ausgingen oder sich mit Freund:innen trafen, verbrachte Schwab jede klare Nacht in der Sternwarte. »Eigentlich war ich da ständig. Das war meine zweite Heimat«, erzählt er. Einmal hat er als 15-Jähriger die Nacht dort verbracht, weil der Himmel unerwartet doch noch aufzog. Gegen 2 Uhr klingelte das Telefon des Observatoriums. Der Junge hatte vergessen, seinen Eltern Bescheid zu sagen. Viele Jahre später benannte er den Kleinplaneten Elfriederwin nach ihnen. Es ist eine von vielen Entdeckungen, die alle auf seiner Homepage aufgelistet sind.
Wer im Weltall etwas entdecken möchte, braucht Ausdauer und Geduld. Vor allem, wenn es etwas sein soll, das vorher noch niemand beschrieben hat. Außerdem braucht es: Wissen. Erfahrung. Zeit. Und das gewisse Werkzeug.
Schwab tippt mit dem Finger auf ein altes Foto aus dem Jahr 1993: Es zeigt ein schickes Fernrohr aus dunklem Holz, durch das der 29-jährige Schwab mit Vokuhila-ähnlichem Haarschnitt in den Himmel linst. »Durch bloßes Durchschauen hat schon seit über 100 Jahren keiner mehr Kleinplaneten entdeckt«, sagt er. »Was wichtig ist, ist auf jeden Fall eine gute Digitalkamera.« Kleinplaneten sind nicht besonders hell. Deshalb müssen die Digitalkameras vor allem sehr lichtempfindlich sein.
So richtig durchgestartet ist Schwab Ende der 1990er mit seinem Verein der Starkenburg-Sternwarte in Heppenheim: »Da sind Digitalkameras erschwinglich geworden und wir haben auch eine gekauft«, sagt Schwab. Damals für 10.000 D-Mark. »Zu dem Zeitpunkt haben Sie alle Fotograf:innen angeguckt wie der Ochs vorm Berg, wenn Sie in einem Fotoladen nach einer Digitalkamera gefragt haben. Viele kannten diese neue Technologie noch gar nicht. Aber die Amateurastronom:innen schon!« Schwab schmunzelt.
Um einen Kleinplaneten zu entdecken, sammelt Erwin Schwab mit der Digitalkamera Bildserien von ausgewählten Himmelsausschnitten. Dann legt er mit einer Software viele Bilder übereinander, sodass daraus kleine Filme entstehen. Beim Betrachten dieser Filme sucht er nach beweglichen Lichtpunkten. Im Vergleich zu Sternen, bei denen sich alle 1.000 bis 2.000 Jahre eine minimale Koordinatenveränderung feststellen lässt, bewegen sich Kleinplaneten stark. Der Grund dafür ist: Sie sind der Erde sehr nah. Sterne sind Lichtjahre entfernt, Billionen von Kilometern, Kleinplaneten hingegen nur Millionen von Kilometern. »Wenn sich auf den Bildern etwas bewegt, dann haben Sie einen Kleinplaneten entdeckt!«, erklärt Schwab und lächelt. In dem kleinen Film sieht es dann aus, als würden sich die Lichtpunkte zu einem schmalen Strich verbinden.
Vor einigen Jahren, als die Technik noch nicht so ausgereift war, hat Schwab Stunden damit zugebracht, mit wachsamem Auge vom oberen linken Bildrahmen bis unten rechts alles detailgenau nach Veränderungen abzusuchen.
(12057) Alfredsturm = 1998 DK1
Discovered 1998 Feb. 18 at the Starkenburg Observatory, Heppenheim
1998, mit 34 Jahren, entdeckte der Hobbyastronom zusammen mit drei Kollegen seinen ersten Kleinplaneten. Sie benannten ihn nach einem der Gründer der Sternwarte in Heppenheim: Alfred Sturm. »Anfangs war mir gar nicht klar, dass man als Amateur:in überhaupt etwas entdecken kann«, erinnert sich Schwab. Er konnte es damals kaum glauben: »Ich hätte zu dem Zeitpunkt jedem in die Arme fallen können.« Ab da war er angefixt, dann ging es richtig los: Innerhalb von sieben Jahren haben Schwab und andere Mitglieder des Vereins 50 Kleinplaneten mit der Digitalkamera entdeckt.
Es war die Zeit der schlaflosen Nächte. Entweder war Erwin Schwab nachts mit anderen zusammen in einer Sternwarte und hat mit einer Digitalkamera, die am Teleskop befestigt war, Fotos vom Sternenhimmel gemacht. Oder er hat diese zu Hause am Computer ausgewertet. So hat Schwab mit einem Freund 2007 auch »Skywalker« entdeckt. Nun ist »Skywalker« nicht mehr nur ein Held der Star-Wars-Saga, sondern schwirrt auch als Asteroid mit einem Durchmesser von etwa zweieinhalb Kilometern um die Sonne.
(274020) Skywalker = 2007 RW15
Discovered 2007 Sept. 12 by S. Karge and E. Schwab at Taunus
Die Astronomie zählt zur beobachtenden Wissenschaft, in der sich Forscher:innen wie Detektiv:innen auf Spurensuche begeben, um unseren Kosmos besser zu verstehen. »Das Spannende daran ist, dass wir, wenn wir ins All schauen, immer in die Vergangenheit gucken«, sagt Schwab. Die nächste Galaxie ist 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt. »Die sieht man sogar mit bloßem Auge. Da blicken wir also zwei Millionen Jahre in die Vergangenheit. Das ist doch verrückt.« So lassen sich durch die Astronomie Schlüsse über frühere Ereignisse ziehen. Astronom:innen und Archäolog:innen haben zum Beispiel gemeinsam eine plausible Theorie erarbeitet, wie die Dinosaurier ausgestorben sind. Fossilienfunde zeigen, dass der Grund dafür der Einschlag eines Asteroiden gewesen sein könnte.
Auch die Daten und Arbeiten der Amateur:innen helfen der Wissenschaft. So muss Erwin Schwab die Fotos heute gar nicht mehr selbst nach Veränderungen absuchen, das macht eine Software für ihn. Und einige der Softwares, die bei der Jagd nach Kleinplaneten helfen, sind von Amateurastronom:innen geschrieben worden, erzählt Schwab. »Viele davon benutzen auch die Profis.«
Schwab schätzt, dass sich etwa gleich viele Profis wie Hobbyastronom:innen mit dem Thema Kleinplaneten befassen. Ohne die Amateur:innen wären wahrscheinlich sehr viel weniger Kleinplaneten bekannt. Und außerdem lassen sich ihre Bahnen auch besser bestimmen, wenn mehr Menschen Kleinplaneten beobachten. Was sie über Kleinplaneten herausfinden, ist wichtig, gerade bei Fragen zur Entstehung des Planetensystems. So haben Forscher:innen beispielsweise herausgefunden, dass in der Frühzeit der Erdgeschichte viele Asteroiden und Kometen auf die Erde eingeschlagen sind, die Wasser enthielten. Das sei ein Grund, warum unser Planet so viel Wasser hat.
Warum Schwab sein Hobby nicht zum Beruf gemacht hat? »Dann hätte ich ja kein Hobby mehr!«, sagt er. Außerdem, so Schwab, hätte er als Profi wahrscheinlich gar nicht die Möglichkeit gehabt, so ausgiebig seiner Leidenschaft nachzugehen. Viele der Astronom:innen säßen nur vor Modellen und Berechnungen und hätten keine Zeit für das Praktische. »Ne, das ist schon gut so wie es ist.«
(204852) Frankfurt = 2007 RH133
Discovered 2007 Sept. 15 by E. Schwab and R. Kling at Taunus
Auch im Verein der Frankfurter Sternwarte ist Schwab bereits seit vielen Jahren Mitglied. »Wir sind die erfolgreichste Vereinssternwarte in Deutschland, wenn es um die Entdeckung von Kleinplaneten geht«, sagt er. 135 Kleinplaneten hat er dort zusammen mit drei anderen passionierten Amateurastronom:innen ausfindig gemacht. Er war nicht an allen Entdeckungen beteiligt, »aber an den meisten«.
Oft ist Schwab damals nicht vor 4 Uhr ins Bett gegangen. Besonders lang wurde es, wenn die Sicht längere Zeit klar war: »Das gab auch einige Schönwetterkatastrophen«, wie er es nennt – mit viel Zeit hinter dem Fernrohr und wenigen Stunden Schlaf. Schwab beobachtete damals gezielt Gebiete, die von Berufsastronom:innen nur wenig abgesucht wurden. Das erhöhte seine Chance, eine Entdeckung zu machen. Die mit der Digitalkamera gemachten Aufnahmen wertete er oft noch in derselben Nacht am Computer aus. »Manchmal können Minuten über das Entdeckerglück entscheiden, deshalb muss man seine Meldung so schnell wie möglich absenden«, erklärt er. Zusammen mit einem Freund habe er sich damals mehrere Nächte hintereinander um die Ohren geschlagen und ist morgens trotzdem aufgestanden, um zur Arbeit zu gehen. »Mein Freund hat oft zwischendurch ein Nickerchen gemacht. Ich habe meistens länger durchgehalten«, sagt Schwab. Zum Glück gebe es in Frankfurt nur rund 30 klare Nächte im Jahr.
Inzwischen hat sich die Arbeit verändert. Die Technik der Profis ist mittlerweile so gut geworden, dass es für Amateur:innen immer schwieriger wird, fündig zu werden. »Es wird alles abgegrast«, sagt Schwab. Innerhalb weniger Tage suchen Astronom:innen den kompletten Himmel mit großen Teleskopen vollständig ab. Seither macht Schwab die Suche nach Kleinplaneten weniger Spaß. Nur noch etwa einmal im Monat beobachtet er mittlerweile den Morgenhimmel.
Dafür hat er sich einer neuen Aufgabe verschrieben: Der Beobachtung von potenziell gefährlichen Asteroiden. »Die Dinger, die uns auf den Kopf fallen können«, sagt der Amateurastronom. Die meisten der Kleinplaneten befinden sich weit genug weg von der Erde, zwischen Mars und Jupiter. Doch manche von ihnen könnten auf Kollisionskurs mit der Erde gehen. Astronom:innen nennen sie »Near Earth Objects« (NEOs). Eine wichtige Aufgabe der Astronom:innen ist es, diese gefährlichen NEOs im Auge zu behalten. Schwab hilft mit: Er geht auf die Website des Kleinplanetenzentrums, des Minor Planet Centers. Dort sind die Koordinaten der zuletzt beobachteten NEOs aufgelistet. Schwab pickt sich einen der NEOs heraus, sucht seinen aktuellen Standort und schickt die Koordinaten zurück ans Kleinplanetenzentrum. »Meistens gibt das Zentrum irgendwann wieder Entwarnung«, sagt er. Ein Glück. Denn wenn so ein kilometergroßer Gesteinsbrocken mit einer Geschwindigkeit von rund 30 Kilometern die Sekunde auf die Erde einschlägt, hätte der mehr Wumms als die tödlichsten Nuklearwaffen. Dass ein Klotz solcher Größe mit der Erde kollidiert, passiert aber nur alle zehn Millionen bis 100 Millionen Jahre.
(745254) = 2010 VM122
Discovered at Tzec Maun on 2010-11-06 by E. Schwab
Nicht alle Kleinplaneten, die Schwab entdeckt hat, tragen einen Namen. Wie zum Beispiel sein zuletzt entdeckter: Sein 114. Kleinplanet ist benannt nach dem Jahr, in dem er entdeckt worden ist, dazu eine Kombination aus Zahlen und Buchstaben. Diesen hat Schwab über ein Teleskop der Tzec Maun Foundation gefunden, das in New Mexico, USA, steht. Von zu Hause aus hat er einen ferngesteuerten Zugang.
Eigentlich hat Schwab schon mehr als 114 Kleinplaneten entdeckt. Doch mit dem Zählen ist es etwas kompliziert. Bei manchen Funden dauert es sehr lange, bis das Kleinplanetenzentrum die Entdeckungen bestätigt. »Das kann Jahrzehnte gehen«, erklärt Schwab. Viele Astronom:innen bekämen deshalb ihre Planeten erst nach ihrem Tod anerkannt. Mal sehen, wie viele wohl in hundert Jahren bei Erwin Schwab auf der Liste stehen.
Erschienen am 16. Januar 2024
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