Thema
Tauen und Schmelzen

Interview
Paula Klußmann

Illustration
Anna Schlamp

Dirk Notz ist Klimawissenschaftler, er lehrt an der Universität Hamburg und leitet den Arbeitsbereich »Meereis«. Für sein öffentliches Engagement wurde er 2007 mit dem KlarText-Preis für Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet.

 

»Wir brauchen mehr positive Visionen«

Vor acht Jahren hat der Klimaforscher Dirk Notz eine bahnbrechende Studie vorgelegt: ein Beweis für den direkten Zusammenhang zwischen individuellem Handeln und der Eisschmelze in der Arktis. Wie blickt er heute auf die Studie zurück? Was konnte er damit bewirken? Und hat er ganz nebenbei die Flugscham erfunden? Ein Interview.

Science Notes: Herr Notz, in einer Studie konnten Sie vor einigen Jahren einen direkten Zusammenhang zwischen dem individuellen CO2-Ausstoß eines Menschen und dem Schmelzen des Meereises in der Arktis nachweisen. Die Studie ist vielfach rezipiert worden und war in den Medien sehr präsent. War sie ein Durchbruch für die Wissenschaftskommunikation?

Dirk Notz: Ja, ich glaube schon. Es war die erste Studie, die es ermöglicht hat, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf den Klimawandel greifbar zu machen. Bis zu dieser Studie wurde in der Kommunikation beispielsweise mit Gigatonnen CO2-Ausstoß oder globalen Durchschnittstemperaturen hantiert, was weit jenseits unserer individuellen Lebenswirklichkeit liegt.

Also hatten Sie das Gefühl, dass die Ergebnisse auch außerhalb der Wissenschafts-Community besprochen wurden?

Ja, total.  Die Studie ist von zahlreichen Medien aufgegriffen worden. Nach wie vor erhalte ich Anfragen von Menschen, die diese Zahlen für Klimakommunikation nutzen wollen.

Warum war die Studie besonders anschaulich?

Wir haben gezeigt, dass pro Tonne CO2, die ein Mensch irgendwo auf der Erde ausstößt, in der sommerlichen Arktis zirka drei Quadratmeter Meereis langfristig abschmelzen. Das machte greifbar, wie jede:r von uns zum Klimawandel und zum Verlust des Eises der Arktis beiträgt. Es wurde aber auch deutlich, dass Handlungen, die den CO2-Ausstoß vermindern, konkrete positive Folgen haben können. Das hat einen großen psychologischen Unterschied in der Wahrnehmung des Klimawandels gemacht.

Das bedeutet, der lineare Zusammenhang zwischen CO2-Emissionen und der arktischen Eisschmelze machen die Arbeit so anschaulich. Waren Sie von diesem Ergebnis eigentlich selbst überrascht?

Vom linearen Zusammenhang zwischen Temperatur und Meereisfläche wussten wir bereits aus Simulationen. Die Idee, dass man die CO2-Emissionen direkt mit dem Schmelzen des Eises koppelt, war aber relativ neu. Weitere Simulationen zeigen, dass in jedem Modell dieser Zusammenhang linear bleibt, bis das Eis vollkommen geschmolzen ist. Das heißt, wir können den beobachteten Zusammenhang auch nutzen, um vorherzusagen, wann das Meereis in der Arktis zumindest in einzelnen Sommern voraussichtlich weg sein wird.

Und wann ist das ungefähr?

In den nächsten 10 bis 30 Jahren dürften wir zumindest in manchen Jahren weitestgehend eisfreie Sommer in der Arktis beobachten. Der Eisverlust ist schon so weit fortgeschritten, dass es zu spät ist, diese Landschaften noch auf Dauer zu schützen.

Ein Blick auf Ihre Arbeit zeigt, dass Sie sich sehr um Wissenschaftskommunikation bemühen. Sie wurden für die besonders verständliche Darstellung Ihrer Forschung ausgezeichnet, außerdem organisieren Sie internationale Jugendcamps, um Jugendliche in Sachen Klimaschutz weiterzubilden. Wie bewerten Sie denn insgesamt die Wissenschaftskommunikation rund um die Klimakrise in den vergangenen Jahren?

Das sehe ich zweischneidig. Ich glaube, dass Wissenschaftskommunikation gerade im Bereich Klimaforschung absolut essenziell ist, um die negativen Folgen des Klimawandels nach Möglichkeit einzudämmen. Andererseits glaube ich, dass der Grund, warum in Sachen Klimaschutz jahrzehntelang nur wenig passiert ist, nicht an mangelnder Kommunikation der Wissenschaftler:innen lag. Die kommunizierten Ergebnisse machen seit Jahrzehnten deutlich, dass wir handeln müssen. Die Ursachen für das Abwarten liegen deutlich tiefer. Da spielen psychologische Faktoren eine zentrale Rolle, etwa unsere kurzfristige Art, zu denken. Oder die Funktionsweise von politischen Entscheidungsprozessen. Das kann man meiner Meinung nach nicht über eine verbesserte Wissenschaftskommunikation abfangen.

Was sind das für psychologische Faktoren?

Wir Menschen kümmern uns erst um Probleme, wenn sie ganz dringend sind und sofort gelöst werden müssen. Und dazu zählt nach der allgemeinen Wahrnehmung für viele das Klimaproblem nach wie vor nicht: Die Klimakrise wirkt wie ein langfristiges Problem, um das man sich auch noch morgen kümmern kann. Unser Handeln heute verursacht aber Konsequenzen, die erst in den kommenden Jahrzenten zu sehen sein werden. Diese Langfristigkeit der Konsequenzen und die Größe des Problems ist für Einzelne sehr, sehr schwer greifbar.

Das Problem liegt also in der Politik.

Zu einem großen Teil schon. Wir brauchen eine internationale Lösung, an der sich alle Länder beteiligen. Was mir dafür aber häufig fehlt, sind positive Visionen. Also auch wieder eine Art der Kommunikation. Man muss deutlich machen, welche Chancen sich da für unsere Gesellschaft bieten: Wir können zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit strukturiert und langfristig entscheiden, in welcher Zukunft wir leben wollen. Wir müssen den gesamten Energiesektor neu gestalten, wir müssen Mobilität neu denken und die Art, wie und wo wir wohnen. Im Moment wird Wandel immer nur als Einschränkung und Verzicht wahrgenommen. Dabei verzichten wir heute auf so vieles: zum Beispiel auf saubere Luft oder Sicherheit beim Überqueren von Straßen. Wenn wir also in der Kommunikation die positiven Aspekte einer klimaneutralen Welt stärker in den Vordergrund rücken, würde das vielleicht mehr Menschen zum Umdenken und Mitmachen bewegen.

Kann die Wissenschaft zu diesen positiven Visionen beitragen?

Ich denke, es ist nicht die primäre Aufgabe der Wissenschaft, die positiven Aspekte herauszuarbeiten, das kann nur die Gesellschaft als Ganzes leisten. Was die Wissenschaft im Bereich Klimaforschung leisten kann, ist, die Optionen deutlich zu machen: Wir können aufzeigen, wie die Welt aussehen wird, wenn wir so weitermachen wie bisher. Wir können aber auch aufzeigen, wie die Welt aussehen wird, wenn wir den CO2-Ausstoß stark vermindern. Wichtig ist, diese beiden Optionen so zu kommunizieren, dass sie emotional für Einzelne greifbar werden. Das ist für mich die große Herausforderung bei der Wissenschaftskommunikation: die Brücke zwischen Emotionalität und den harten Fakten zu schlagen.

Und wie würden Sie da die Rolle der Medien in der Klimakommunikation sehen?

Für die Medien ist es extrem schwer, ein solch langfristiges Thema zu kommunizieren. Es gibt immer mehr Medien, die versuchen, Hintergrundberichterstattung über Klimawandel und Klimaschutz zu machen. Sie wollen da eine gewisse Kontinuität reinbringen, im Prinzip so, wie sie kontinuierlich über die Aktienkurse der Börse berichten. Aber hier den Neuigkeitswert aufrecht zu erhalten, ist eine ungeheure Herausforderung.

Ihre Studie lässt ganz einfach begreifen, wie schädlich das Fliegen ist: Ein Flug von Frankfurt nach San Francisco und zurück beispielsweise führt zu fünf Quadratmetern weniger Eis. Nun haben viele Menschen in den letzten Jahren eine gewisse Flugscham entwickelt. Wie bewerten Sie das?

Der Begriff ist in aller Munde, aber ich frage mich, ob man den auch ein bisschen vor sich herträgt. Dinge tun und sich dann schämen: Damit ist nicht wirklich etwas gewonnen. Ich denke, dass das Erzeugen von negativen Emotionen wie der »Flugscham« langfristig nicht effektiv ist. Menschen möchten nicht gesagt bekommen, wie sie zu leben haben. Stattdessen sollte man attraktive Alternativen aufzeigen. Nicht umsonst gewinnen ja Angebote im Bereich Slow Travel immer mehr an Bedeutung, weil die entsprechenden Erfahrungen viel intensiver sein können. Der Weg über positive Konnotationen ist vermutlich langfristig viel effektiver, als mit der Zuweisung von Schuld und dem Erzeugen von Scham zu arbeiten.

Und finden Sie es fair, dass beim Klimaschutz so oft auf die individuelle Verantwortung gezielt wird?

Nein, eigentlich nicht. Klar, jede, jeder Einzelne ist erstmal verantwortlich für die eigenen Emissionen – in Deutschland sind es jährlich grob acht bis zehn Tonnen CO2 pro Kopf. Das ist aber nicht das eigentliche Problem. Sondern, dass wir als Menschheit jedes Jahr 40 Milliarden Tonnen CO2 ausstoßen. Und dafür sind vor allem einzelne Staaten und Unternehmen verantwortlich. In den letzten Jahren war es eine perfide Taktik in der Kommunikation von größeren Unternehmen, die individuelle Verantwortung in den Mittelpunkt zu stellen: Sie konnten damit von der eigenen Verantwortung ablenken.

Aber jedes Individuum ist doch ein kleines Stück weit verantwortlich.

Gerade bei Jugendlichen und Kindern führt das Hervorheben der individuellen Verantwortung zu einer absoluten Hilflosigkeit. Die Selbstkasteiung, die daraus folgt, ist nicht angemessen. Natürlich wäre es gut, wenn Menschen im individuellen Handeln eine gewisse Verantwortung übernehmen – aber nicht aus diesem Gefühl von Schuld heraus. Die wirklich große Verantwortung dafür, dass der CO2-Ausstoß runter geht, liegt in einem gesamtgesellschaftlichen Prozess.

Als Sie die Studie 2016 publiziert haben, haben Sie sicher gehofft, damit etwas verändern zu können, etwas anzustoßen. Was meinen Sie heute – hat das funktioniert?

Hier muss ich erstmal zwischen mir als Mensch und als Wissenschaftler unterscheiden. Als Wissenschaftler habe ich mir von der Studie erstmal nichts erhofft. Wir fanden es aber spannend, dass man die Ergebnisse als gutes Kommunikationsmittel verwenden kann. Als Mensch, der die Polargebiete liebt, will ich diese Landschaften gerne für künftige Generationen erhalten. Und ich wünsche mir sehr, dass wir es schaffen, den CO2-Ausstoß möglichst rapide zu reduzieren. Wenn man sich anschaut, was in den vergangenen Jahren passiert ist, dann kann man auch zumindest anfangen, etwas Hoffnung zu bekommen. Allerdings: Wir haben sehr lange gewartet, um wirklich zu handeln. Dadurch ist jetzt der Handlungsdruck viel größer geworden, als er hätte sein müssen. Wenn wir die Ziele des Pariser Klimaabkommens noch einhalten wollen, müssten wir wirklich sehr schnell sehr einschneidende Maßnahmen ergreifen.

Wünschten Sie sich manchmal, in einem weniger politisierten Forschungsfeld zu arbeiten?

Nicht wirklich. Für mich ist es sinnstiftend, dazu beitragen zu können, diesen Planeten hoffentlich auch für künftige Generationen noch lebenswert zu erhalten und die negativen Auswirkungen des Klimawandels bestmöglich zu begrenzen. Und dieses Sinnstiftende kommt eben nicht nur durch die eigene Forschung, sondern auch dadurch, dass diese Forschung dann in die breite Öffentlichkeit kommuniziert wird.

Erschienen am 12. April 2024

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