
Lebt da was?
Lisa Kaltenegger sucht außerirdisches Leben. Dafür erforscht sie Planeten, die um andere Sonnen kreisen, und fragt sich: Wie schwer sind sie? Wie heiß wird es dort? Wehen starke Stürme? Aus diesen und noch viel mehr Informationen errechnet sie Wahrscheinlichkeiten. Dahinter steht die Frage: Kann es auf Exoplaneten Leben geben?
Die Tür von Lisa Kalteneggers Eckbüro steht offen. Der Schreibtisch ist von den Fenstern abgewendet und sie blickt Richtung Tür. Vorsichtiges Anklopfen oder langsames Eintreten erübrigen sich – als Besucher fühlt man sich direkt willkommen. Zum Smalltalk gibt es Espresso aus einer Tasse, die aussieht wie eine Spielzeugrakete. Eine Kollegin kommt ins Zimmer und spricht mit Lisa Kaltenegger auf Spanisch. Sie beantwortet noch schnell eine E-Mail, dann schließt sie die Tür und lässt sich auch vom Computer nicht mehr stören.
Wir sind beide Jahrgang 1977, haben also beide die Mondlandungen verpasst. Ohne Frage gibt es auch heute spannende Missionen, aber manchmal habe ich das Gefühl, dass meine Begeisterung für den Weltraum noch größer wäre, wenn ich 1969 Apollo 11 miterlebt hätte. Können Sie mich mit Ihrer Begeisterung anstecken?
Bei mir war es genauso. Ich habe mir lange Zeit gewünscht, dass ich die Landung auf dem Mond mitgekriegt hätte. Aber inzwischen würde ich nicht mehr tauschen wollen. Denn wir leben in einer Zeit, in der wir Spuren von Leben auf anderen Planeten finden können. Weil wir endlich die Instrumente dazu haben. Das finde ich wahnsinnig spannend. Daraus entwickelt sich in der Gesellschaft wieder diese Faszination am Weltall, wie es sie rund um die Mondlandung schon gab.

Woher stammt diese Faszination bei Ihnen?
Als ich 1995 angefangen habe zu studieren, wurde der erste Planet um eine andere Sonne entdeckt. Das hat bei mir irgendwie angeklungen – dieses riesengroße Universum und wie wir da hineinpassen. Ich wollte mehr darüber wissen. Außerdem habe ich gemerkt: Das Thema Exoplaneten, also Planeten um andere Sonnen, bietet genügend Raum für all meine Neugier.
Kaltenegger berechnet Randbedingungen für extraterrestrisches Leben. Das sei ein bisschen wie Klimamodelle oder die Wettervorhersage, nur dass ihre Simulationen zeigen können, ob man auf bestimmten Exoplaneten Leben aufspüren könnte. Ihre „Neugier auf alles“, wie Lisa Kaltenegger es beschreibt, zeigt sich, als sie sich in Graz an der Universität einschreibt. Im ersten Semester belegt sie Astronomie und Technische Physik, aber auch Spanisch sowie einen kombinierten BWL-Japanisch-Studiengang und Medienkunde. Schließlich macht sie zwei Diplom-Abschlüsse: in Astronomie und in Technischer Physik, letzteren mit einem Schwerpunkt auf Biophysik.
Ich kann die Faszination für ganz verschiedene Gebiete mehr oder weniger in meine Simulationen einbauen. Wir müssen wissen, wie ein Stern funktioniert, wie viel Licht auf einem Planeten ankommt, wie heiß es wird, was auf dem Planeten passiert. Wehen da große Stürme? Gibt es da Wasser? Was ist das Gas, das aus den Vulkanen kommt? Es ist super spannend, auch die Biologie mit hineinzunehmen. Ein Beispiel: Es gibt ganz viele Sterne, die kleiner sind als unsere Sonne – Rote Zwerge. Deren Licht enthält viel mehr UV-Strahlung, die dort auf einen Planeten treffen würde. Dann ist die Frage, was das für Leben bedeutet, wie wir es kennen.
Das klingt fast wie ein Bildbearbeitungsprogramm, bei dem ich einfach ein paar Regler bewegen muss, um das Ergebnis zu verändern. Vermutlich ist es aber sehr komplex, so etwas zu simulieren?
(lacht) Das ist wahnsinnig komplex. Wenn wir einen Planeten zum Beispiel schwerer machen, ändert das alles: die Zirkulation in den Meeren, die Winde … Und was wäre mit den Bergen? Wären die höher? Man muss alles gut durchdenken, sonst stimmt das Ergebnis auf keinen Fall.
Sie sagt, diese Arbeit an Simulationen sei wie „Malen mit Mathematik“. Formeln und Algorithmen, die Zahlenkolonnen und Wahrscheinlichkeiten ausspucken, die sich wiederum als Graphen und Diagramme veranschaulichen lassen, damit sie interpretiert werden können. Oberflächlich sehen Lisa Kalteneggers wissenschaftliche Veröffentlichungen aus wie andere Paper aus Astronomie oder Mathematik. Sie unterscheiden sich darin, dass sie statt auf Beobachtungen rein auf den Simulationen fußen. Sie sind kreativ, folgen aber den Gesetzen des Universums.
Simulieren Sie auch andere Lebensformen?
Nein, das können wir nicht hypothetisch ausrechnen. Wir müssen von dem ausgehen, was wir von der Erde kennen und davon lernen. Das heißt nicht, dass wir Leben suchen, das genau so ist, wie wir es da draußen gerade sehen (sie blickt kurz aus einem der fünf mannshohen Fenster ihres Büros), sondern Leben, wie es über die Zeit auf der Erde schon einmal existiert hat. Oder Leben in Ozeanen. Oder Leben, das sich gut an solche ganz anderen Umstände adaptieren könnte.
Und was können Sie daraus für die Suche nach außerirdischem Leben lernen?
Nehmen wir einen solchen Planeten mit riesiger UV-Strahlung. Was passiert dort, wenn wir annehmen, dass sich Leben ähnlich entwickeln würde wie auf der Erde? Wenn Sie das nächste Mal in ein großes Aquarium gehen, schauen Sie sich die Korallen an. Die fluoreszieren in wahnsinnig schönen Farben – und zwar, weil sie mit UV-Lampen angestrahlt werden. Die Algen, mit denen sie in Symbiose leben, halten aber gar keine ultraviolette Strahlung aus. Darum haben die Korallen ein System entwickelt, mit dem sie die hochenergetische UV-Strahlung in harmlose visuelle Strahlung umwandeln, die wir mit unseren Augen sehen können. So kommt es, dass sie diese wunderschönen Farben haben. Was nun für unser Beispiel spannend ist: Würde ein Planet mit solchen Korallen von seinem Stern mit UV-Strahlung beschossen, dann finge er an zu leuchten. Dieses Licht kann ich mit Teleskopen einfangen. Es ist spannend, solche biologischen Aspekte mitzubedenken und dann ein bisschen zu – ich würde sagen: zu träumen. Aber das ist Träumen mit wissenschaftlichen Grundlagen: Welches Leben kennen wir, das entsprechende Bedingungen aushalten würde? Und gibt es irgendwelche Spuren, die so ein Leben kreieren würde, auf die ich bis jetzt noch nicht gestoßen bin? Solche fluoreszierenden Lichtspiele zu sehen, das wäre wunderschön.
Was sie auf diese Weise »malt«, bezeichnet Lisa Kaltenegger auch als Landkarten – mögliche Ziele, die Teleskope künftig ins Visier nehmen können. Mit ihrem Team will sie aus inzwischen Tausenden bekannten Exoplaneten diejenigen identifizieren, auf denen am wahrscheinlichsten Leben zu finden ist.
Was bringt denn das Erträumen solcher Welten, das Simulieren und Durchrechnen, ohne dass man je einen in schillernden Farben leuchtenden Planeten beobachtet hat? Wäre es nicht sinnvoller, zu warten, bis ein Teleskop einen merkwürdig leuchtenden Planeten findet, und sich dann zu überlegen, was die Ursache dafür ist?
Wir müssen den Leuten an den Teleskopen sagen, wie lange sie einen Planeten beobachten sollen. Die Beobachtungszeit ist knapp bemessen, und solche Beispiele durchzuarbeiten hilft uns, Randbedingungen festzulegen und zu sagen: Du musst jetzt, sagen wir mal, 40 Stunden schauen, um Leben wie auf der Erde zu finden. Aber du musst 45 Stunden schauen, um Leben zu finden, wie es vor einer Milliarde Jahren auf der Erde existiert hat. Denn das hinterlässt ein schwächeres Signal, was wir durch längere Beobachtungszeit ausgleichen können. Wir geben dem Teleskop vor, wie lange es schauen muss – unter von uns festgelegten Bedingungen, ausgehend von dem Leben, das wir kennen. Nicht, dass es am Ende heißt: Wir haben nur eine Stunde zu kurz geschaut und haben’s verpasst. Dieses Risiko wollen wir durch unsere Berechnungen minimieren.
Sind Ihre Simulationen also eine Art Probelauf für spätere Messungen?
Im Augenblick konzentriere ich mich auf Simulationen, weil die Teleskope noch nicht gut genug sind. Sobald das der Fall ist, werden wir auch deren Daten auswerten. Darauf warten wir natürlich. Dann können wir vielleicht etwas sagen, wie: »Oh, das schaut aus wie eine junge Erde kombiniert mit mehr Schwefeloxid. So wie diese zwei Modelle, die wir mal gerechnet haben.« In einem solchen Fall können wir ganz schnell aus diesen Daten rückschließen, um was für einen Planeten es sich handelt, und direkt weitere Beobachtungen machen.
Die dafür nötigen Teleskope sind allerdings noch im Bau. Etwa das James-Webb-Teleskop, das eigentlich schon 2014 im All sein sollte, dessen Start sich aber bis mindestens 2021 verzögern wird. »Das ist frustrierend«, gesteht Kaltenegger. Sie sagt es mit einem Lächeln, wie fast alles, was sie sagt, und strahlt damit einen überbordenden Optimismus aus. Kaltenegger ist direkt am James-Webb-Teleskop beteiligt, in einem kanadischen Wissenschaftsteam. Und sie wartet nun schon seit Jahren auf dessen Daten. Denn andere Planetensysteme zu untersuchen, ist eine der Hauptaufgaben dieses Infrarot-Teleskops mit seinem 6,5-Meter-Spiegel.
Im Weltraum verzögert sich vieles. Aber immerhin hat die Europäische Südsternwarte angefangen, das E-ELT in der chilenischen Atacama-Wüste zu bauen, das European Extremely Large Telescope. Ich habe große Hoffnung, dass es wenigstens am Boden einigermaßen schnell vorangeht. Und was ich wirklich super finde, ist TESS.
TESS ist der Transiting Exoplanet Survey Satellite. Er soll mehr Daten über Exoplaneten sammeln und dient als vorbereitende Mission für das James-Webb-Teleskop und das E-ELT. Lisa Kaltenegger ist Mitglied im Wissenschaftsteam von TESS. Im April 2018 wurde der Satellit mit einer SpaceX-Rakete gelauncht.
Das war spannend. Ich war noch nie bei einem Raketenstart dabei. Ich habe meine vierjährige Tochter mitgenommen, und hoffe, dass das später eine ihrer ersten Erinnerungen sein wird. Allerdings waren wir nach dem Raketenstart essen und da hat es Nachspeise gegeben. Davon war sie fast mehr beeindruckt. Vielleicht hätte ich sie lieber zu einem richtig langweiligen Essen mitnehmen sollen.
Ihre Faszination für Astronomie und Exoplaneten bleibt also nicht in diesem Büro oder diesem Institut, sondern geht zu Hause weiter?
Ja, das ist eben diese Neugier. Meinem Mann erkläre ich das so: Wenn ich Maler wäre, würde keiner jammern, wenn ich am Wochenende was malen will. Ich muss natürlich eine Balance gewährleisten. Die anderen Leute in meinem Leben sollen auch die Zeit haben, die ihnen zusteht. Meine Kleine spielt oft mit Raketen. Dann kommen die ganzen Tiere und fliegen mit der Rakete zum Mars. Aber wir haben auch einen Bauernhof, so ist es nicht. Von dort fliegen die Tiere ja ab.
Im Spiel ist Ihre Tochter Ihnen also schon einen Schritt voraus. Wenn es nun aber tatsächlich Tiere oder andere Lebensformen auf anderen Planeten gibt, dann sind die so weit entfernt, dass man sie mit Sicherheit nicht direkt beobachten kann. Was müsste man denn finden, um zu beweisen, dass es Leben auf einem Planeten gibt?
Was man sehen kann, sind Spuren der Gase in der Luft. Das Licht eines Sterns wird durch die Luft des Planeten gefiltert. Welche Wellenlängen dann fehlen, sagt eindeutig, aus was die Atmosphäre besteht: Sauerstoff, Methan, Wasser … Wenn es nicht zu wolkig oder nebelig auf diesem Planeten ist, kann man auch das Licht sehen, das von dem Stern auf die Oberfläche auftritt und wieder reflektiert wird. Da könnte man dann zum Beispiel Reflexionen auf grünen Blättern oder auf einer grünen Wiese erkennen. Oder das Leuchten der Korallen.
Wer mit Lisa Kaltenegger spricht, könnte meinen, diese fremden Welten existierten tatsächlich. Sie hat berechnet, wie das Lichtsignal eines Planeten voller leuchtender Korallen aussehen würde, abhängig davon, wie viele Landmassen und Ozeane es gibt und welchen Einfluss unterschiedlich dichte Bewölkung haben würde. Was sie auf diese Weise theoretisch durchrechnet, scheint für sie sehr konkret zu sein. Als seien ihre mathematischen Gemälde gegenständlich und nicht abstrakt. Als wäre nicht die Frage, ob derartiges Leben im All gefunden wird. Sondern wann. Tatsächlich sagt sie, sie »wäre mehr überrascht, wenn wir nichts finden«.
Wenn Sie im Lichtspektrum Sauerstoff und Methan in einer Atmosphäre nachweisenkönnen, warum wäre das ein Beweis für Leben?
Wir sprechen vom Lichtfingerabdruck des Lebens. In der Erd-Atmosphäre ist das die Kombination von Sauerstoff – oder Ozon – mit einem reduzierenden Gas: Methan. Sauerstoff und Methan reagieren zu CO2 und Wasser. Das heißt, wenn Sie Sauerstoff und Methan auf einem weit entfernten Planeten sehen können, dann muss irgendwas diese Stoffe in großen Mengen generieren. Methan kann von einem Vulkan stammen oder von Lebewesen abgegeben werden. Aber Sauerstoff in großen Mengen, das ist unser Indiz für Leben, zumindest auf einem warmen Planeten. Wir kennen keine nicht-organischen Reaktionen, bei denen er so in großen Mengen entstehen könnte. Was wir versuchen zu finden, ist eine Kombination von Gasen, die wir uns absolut nicht anders erklären können, als dass es dort Leben gibt. Darauf warte ich, das ist spannend, und da möchte ich gerne dabei sein.
Der bisher größte Erfolg ihrer Wissenschaftskarriere war die Entdeckung der beiden Exoplaneten Kepler 62e und Kepler 62f und die Feststellung, dass sie sich beide in der habitablen Zone ihres Sterns befinden – Leben erscheint hier möglich. In Lisa Kalteneggers Lebenslauf stehen Stationen wie die Europäische Weltraumorganisation ESA, die Universität Harvard und das Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie. Seit 2014 ist sie an der Cornell University, wo sie das Carl-Sagan-Institut zunächst unter dem Namen „Pale Blue Dot Institute“ gegründet hat – in Anspielung darauf, dass der berühmte Cornell-Astronom Carl Sagan die Erde auf einer von der Raumsonde Voyager aus gemachten Aufnahme als einfachen blassblauen Punkt beschrieben hatte.

Der Pale Blue Dot ist die Erde. Geht es in diesem Institut also in Wahrheit um die Erde?
Die Idee ist, dass wir von anderen Planeten für unsere Erde lernen. Wir haben ja bisher nur unsere eigene Erde, um diese zu verstehen. Über die Vergangenheit lernen wir aus Gesteinsfunden. Aber um herauszubekommen, wie die Erde in Zukunft sein wird, haben wir nur Modelle. Wenn wir jetzt fünf, zehn oder hundert andere Erden finden könnten, werden die unterschiedlich alt sein – ein paar werden jünger, ein paar werden älter sein als unsere Erde. Dann können wir zum ersten Mal überhaupt in eine mögliche Zukunft der Erde schauen.
Carl Sagan hat sich ins All hinaus gewagt, um von dort den Blick zurück auf die Erde zu werfen. Ist das die Tradition, in der Sie sich sehen?
Wir sitzen gerade in Carl Sagans ehemaligem Büro. Manchmal denke ich mir: Vielleicht wäre es am gescheitesten, einfach ganz still zu sitzen und zu warten, ob mir per Osmose gute Gedanken in den Kopf kommen (lacht). Als Wissenschaftlerin weiß ich natürlich, dass das nicht geht. Aber es ist sehr inspirierend. Carl Sagan hat immer sehr stark in den Vordergrund gestellt, dass wir unsere Erde besser verstehen, indem wir sie von weit weg sehen. Aber wir sehen sie so auch als dieses ganz verletzliche Gebilde.
Wird sich unser Blick auf die Erde denn verändern, wenn Sie außerirdisches Leben gefunden haben?
Ich glaube, es wird unser Weltbild komplett verändern, unser ganzes Bild von unserem Platz im Universum. Und ich habe die große Hoffnung, dass es die Menschheit näher zusammenbringt.
Erschienen am 28. März 2019
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