Bak-tak-tak-tak-terien
Können wir bald Bakterien bekämpfen, indem wir ihnen zuhören?
Die besten Funde macht man manchmal, wenn man nichts Spezielles sucht. Die Physiker Andre Geim und Konstantin Novoselov von der University of Manchester verbringen deshalb in den 2000er-Jahren regelmäßig Zeit mit »Feierabend-Experimenten«: Sie probieren Dinge aus und schauen einfach mal, was passiert. An einem Abend im Jahr 2004 kleben sie Klebeband auf Graphit – auf Kohlenstoff also in der Form, wie wir ihn etwa aus Bleistiftminen kennen. Dann ziehen sie das Band wieder ab. Das probieren sie so oft, bis nur eine einzige Atomschicht Kohlenstoff auf dem Klebeband hängenbleibt. So entdecken Geim und Novoselov Graphen, ein zweidimensionales Gitter aus Kohlenstoffatomen – und das dünnste Material der Welt. Dafür bekommen sie 2010 den Physik-Nobelpreis.
Ein knappes Jahrzehnt später tüftelt eine Gruppe junger Wissenschaftler:innen der TU Delft an einem weiteren Feierabend-Experiment. Der Physiker Irek Rosłoń schreibt gerade an seiner Doktorarbeit und forscht zu möglichen Anwendungen für Graphen. Aleksandre Japaridze ist Biophysiker und beschäftigt sich mit Mikrobiologie. Aus Neugier beschließen die Freunde, zu sehen, was passiert, wenn sie etwas Lebendiges auf Graphen legen. Bisher wurde Graphen kaum in der Biologie verwendet. Rosłoń und Japaridze bauen dafür Silizium-Chips mit nano-kleinen Vertiefungen, die sie mit Graphen abdecken. Auf diese Graphen-Schichten kleben sie mit einer Flüssigkeit E. coli-Bakterien – je ein Bakterium pro Mulde. Und stellen fest: Die Membran funktioniert wie eine Trommel. Die Bakterien bewegen sich auf der Oberfläche und bringen sie in Schwingung. Leben verursacht Bewegung: Auch wer ganz still sitzt, atmet, verdaut und zwinkert. All diese Bewegungen bewirken Vibration. Bei den Bakterien verstärkt das Graphen diese Schwingungen. Schießen die Wissenschaftler nun hochfokussierte Laserstrahlen auf die Trommeln, können sie deren Reflektionen auffangen und messen – und diese in Schall umwandeln. Rosłoń und sein Team haben so zum ersten Mal die Bewegungen einzelner Bakterien hörbar gemacht.
Diese Technik könnte in Zukunft Leben retten. Denn solange es den Keimen gut geht, macht die Apparatur ihre winzigen Klopfgeräusche hörbar. Fügt man das richtige Antibiotikum hinzu, sterben die Bakterien ab – und die Schläge verstummen. Ist aber auch nur ein einziges Bakterium in der Petrischale resistent, hört man es weiter klopfen.
In den zweieinhalb Jahren nach ihrer Feierabend-Entdeckung entwickelt das Team ein medizinisches Gerät zur Diagnostik von Antibiotikaresistenzen. Der Prototyp soll nun ab Spätsommer 2024 im Klinikalltag getestet werden: ein weißer Kasten von der Größe eines Druckers, der Kartuschen mit Graphen-Trommeln enthält. Ärzt:innen geben Blut-, Urin-, oder Abstrichproben von Patient:innen hinein, die an einer unbestimmten Infektion leiden. Die Maschine fügt den einzelnen Proben verschiedene Antibiotika zu und misst die Bakterienschwingungen. Nach etwa einer Stunde erscheint auf dem Display eine Liste von Antibiotika, die zur Bekämpfung der Infektion geeignet sind.
Die Standardprozedur zum Test von Krankenhauskeimen dauert derzeit mehrere Tage. Mit dem Trommel-System könnte man künftig umgehend das passende Medikament finden. Möglicherweise können wir also bald Krankheiten heilen, indem wir ihren Erregern einfach mal zuhören.
Erschienen am 5. September 2024
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