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Wer hat Angst vor Gentechnik? – und warum?

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Sabrina Winter 

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Melanie Gandyra

FAQ: Was kann Grüne Gentechnik und was nicht?

In der Landwirtschaft ist Gentechnik hochumstritten. Die einen halten sie für umweltschädlich, andere glauben, sie garantiere Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels. Im FAQ erklärt Sabrina Winter  den aktuellen Stand der Forschung und Politik zur Grünen Gentechnik.

Was ist Grüne Gentechnik?

Die Gesamtheit aller Gene im Erbgut eines Organismus wird als Genom bezeichnet. Das Genom legt die grundsätzlichen Eigenschaften dieses Organismus fest. Mit Gentechnik lässt sich das Erbgut gezielt verändern. Geschieht das bei Pflanzen, spricht man von Grüner Gentechnik. Grüne Gentechnik wird zum Beispiel genutzt, um Pflanzen zu züchten, die widerstandsfähig gegen Hitze, Insekten oder Unkrautvernichtungsmittel sind.

Wo kommt Grüne Gentechnik bereits zum Einsatz?

Gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen in vielen Ländern. Die USA sind der größte Produzent gentechnisch veränderterer Nutzpflanzen. Bei Mais, Baumwolle und Sojabohnen werden in der US-Landwirtschaft über 90 Prozent der Produktion mit gentechnisch veränderten Sorten erzielt. Brasilien und Argentinien bauen vor allem veränderten Mais und Sojabohnen an. In Indien, China oder Burkina Faso findet man gentechnisch veränderte Baumwolle auf einem großen Teil der Felder.

Auf Europas Feldern wachsen gentechnisch veränderte Pflanzen hingegen selten. Das liegt daran, dass die Bedenken in der Bevölkerung groß sind und die Europäische Union den Anbau stark reguliert. In Europa darf derzeit nur eine Gen-Mais-Sorte wachsen: MON810. MON steht für Monsanto, den Saatguthersteller, der inzwischen zum Bayer-Konzern gehört. Die Maissorte wird überwiegend in Spanien angebaut. In Deutschland ist es seit 2009 verboten, die Gen-Mais-Sorte MON810 kommerziell anzubauen. Hier wachsen gar keine gentechnisch veränderten Nutzpflanzen im großen Stil.

Den Import von genverändertem Mais, Soja, Raps, Baumwolle und Zuckerrüben hat die EU in einigen Fällen jedoch erlaubt. Etwa 100 Sorten sind derzeit zugelassen, zum Beispiel als Futtermittel für Tiere.

Welche Züchtungsmethoden gibt es?

Mit seinen Experimenten an Erbsen systematisierte der Mönch Gregor Mendel erstmals das konventionelle Kreuzen von Pflanzen. Neben dieser Technik entwickelten Forscher:innen in den vergangenen Jahrzehnten neue Methoden: So lassen sich durch Strahlung oder Chemikalien zufällige Veränderungen im Erbgut herbeiführen – man spricht von konventioneller oder zufälliger Mutagenese. Positive neue Eigenschaften lassen sich später nutzen.

In den 1980er- und 90er-Jahren entwickelte sich, was wir heute als klassische Gentechnik bezeichnen: Zum einen gelang es Forschenden erstmals, mithilfe eines Bakteriums Gene einer anderen Art in das Erbgut einer Pflanze einzuschleusen. Zum anderen wurde die Genkanone entwickelt: Dabei werden Partikel aus Gold oder Wolfram mit hohem Druck auf Pflanzenzellen geschossen. Die Partikel tragen kurze DNA-Moleküle mit bestimmten Genen (also bestimmten Erbgut-Abschnitten) auf ihrer Oberfläche und können diese zusätzlichen Informationen ins Genom einfügen. Mit beiden Methoden entstehen Pflanzen mit bewusst eingebauter, art-fremder DNA: transgene Pflanzen. Diese klassischen Methoden nutzt man vor allem, um Mais, Soja und Baumwolle zu züchten, die so den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln (Herbiziden) überleben oder weniger durch Insekten geschädigt werden. Der mit Abstand größte Teil der Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen wird mit Sorten erzielt, die durch die klassische Gentechnik entstanden sind.

Inzwischen gibt es aber auch die sogenannte neue Gentechnik mit den Methoden der Genomeditierung. Darunter versteht man ein Bündel von Techniken: molekulare Verfahren, die einen DNA-Strang zerschneiden und ganz bestimmte Teile deaktivieren oder verändern. Man kann sich das vorstellen, als würde man bestimmte Wörter in einem Satz streichen, einfügen oder austauschen. Die bekannteste und effizienteste dieser Methoden ist die Genschere CRISPR/Cas9. Das spricht man so aus: krisper-kass-neun. Die Abkürzung steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats. Cas9 ist ein Enzym, das die Doppelhelix der DNA zerschneiden kann.

Wie funktioniert CRISPR/Cas9?

Man kann sich CRISPR/Cas9 vorstellen wie eine Schere, auf der eine Suchmaschine und eine Bauanleitung klebt. Zuerst kommt die Suchmaschine, ein genau definiertes RNA-Stück, zum Einsatz: Sie kann einen ganz bestimmten Abschnitt im Genom finden. Ist der richtige Ort erreicht, schneidet die Schere, das Enzym Cas9, den DNA-Strang an dieser Stelle durch. Dadurch wird in der bearbeiteten Zelle ein natürlicher Reparaturmechanismus in Gang gesetzt. Nun holt die Schere die Bauanleitung aus dem Gepäck: In ihr steht, wie die Reparatur ablaufen soll. Es kann ein bestimmter DNA-Abschnitt gelöscht, eingefügt oder verändert werden. Häufig wird die Methode genutzt, um ein bestimmtes Gen zu zerschneiden und somit auszuschalten – man spricht von einem Knock-out. Es ist auch möglich, gezielt Gene zu verändern. Das nennt man Punktmutation. Außerdem lassen sich auch mit CRISPR/Cas9 und anderen Methoden der Genomeditierung ganz neue Gene in das Genom einführen, entweder von derselben Art (cis-gen) oder einer anderen Art (trans-gen).

Wofür wird CRISPR/Cas9 in der Pflanzenzüchtung schon eingesetzt?

Wissenschaftler:innen forschen etwa daran, wie mit CRISPR/Cas9 weiße Champignons langsamer braun werden. Erdnüsse sollen allergenfrei werden und Mais ertragreicher. Spanischen Forschenden gelang es, glutenfreien Weizen zu züchten. In Kiel entwickelten Wissenschaftler:innen Raps, der bei der Ernte weniger Samen verliert. Und die neue Gentechnik könnte dabei helfen, einige der schädlichsten Pilzerkrankungen zu bekämpfen, etwa den Mehltau oder die Kartoffelfäule.

Saatgutfirmen wie Bayer, Corteva oder BASF nutzen CRISPR/Cas9, um neue Produkte zu züchten. Sie wollen mit CRISPR hergestellte Kirschen ohne Kerne oder Senfblätter mit weniger Schärfe verkaufen. Bisher dürfen sie diese Produkte in der EU allerdings nicht anbieten. Die Gesetze hier stammen noch von 2003, damals war CRISPR/Cas9 noch nicht entdeckt. Länder wie Japan, die USA, Kanada oder Argentinien haben ihre Gesetze an den neuen Stand der Wissenschaft angepasst. Dort wachsen mit CRISPR/Cas9 veränderte Pflanzen schon auf den Feldern.

Was sind Gefahren der Grünen Gentechnik?

Vereine wie der BUND, Greenpeace, Verbände wie Bioland und große Teile der Partei Bündnis90/Grüne setzen sich seit Jahren gegen Gentechnik ein. Auch das Bundesumweltministerium positioniert sich sehr kritisch. Ihre Kritik ist vielfältig: Sie verweisen auf potenzielle, noch nicht bekannte Gefahren für die menschliche Gesundheit, einen Verlust der Artenvielfalt und warnen vor Eingriffen in die Natur. Die Kritik ist aber in weiten Teilen nicht wissenschaftlich belegt. Der überwiegende Teil der Forscher:innen stuft Grüne Gentechnik als sicher für Mensch und Umwelt ein.

Sind genveränderte Pflanzen für den Menschen gefährlich?

Nach allem, was wir bisher wissen: nein. Menschen und Tiere essen nur gentechnisch veränderte Pflanzen, die von staatlichen Lebensmittelbehörden kontrolliert wurden, bevor sie im großen Stil angebaut werden dürfen. Neben den Kontrollen fragen und prüfen wissenschaftliche Studien immer wieder mögliche Risiken. Inzwischen können wir auf mehrere Jahrzehnte der Forschung zurückblicken. Bisher sind keine Gefahren für den Menschen bekannt – weder bei den neuen noch bei den klassischen Methoden.

Verstärkt Grüne Gentechnik Allergien?

Allergien werden meistens durch Proteine ausgelöst. Darum werden Pflanzen mit einem artfremden Protein im Erbgut auf ihr Allergiepotential untersucht. Bisher gibt es keine Fälle, bei denen die fremden Proteine unerwartet eine Allergie ausgelöst haben. Im Gegenteil: Durch die neuen Methoden der Grünen Gentechnik lassen sich die allergenen Eigenschaften bestimmter Pflanzen beseitigen, weil man gezielt Proteine verändern oder entfernen kann.

Ist die Artenvielfalt bedroht?

Wenn genveränderte Sorten auf Feldern angebaut werden, kann es passieren, dass der Wind ihre Pollen davonträgt und diese dann verwandte, nicht-genveränderte Pflanzen befruchten. So entstehen neue Kreuzungen. Kritiker:innen befürchten deshalb den Verlust der Artenvielfalt: Wenn genetisch modifizierte Pflanzen zum Beispiel so gezüchtet sind, dass Insekten sie nicht fressen, haben sie theoretisch einen Überlebensvorteil. Würden die gekreuzten Hybridpflanzen diese Eigenschaften übernehmen, sich in freier Wildbahn durchsetzen und ursprüngliche Arten verdrängen, könnte die Artenvielfalt zurückgehen, so die Befürchtung. Nach bisherigen Erkenntnissen vererben sich die schädlingsresistenten Gene aber rezessiv: Sie setzen sich bei der Fortpflanzung nicht durch.

Ein anderer Punkt ist die Artenvielfalt von Tieren: Einige genveränderte Pflanzen sind giftig für Insekten, die sie anknabbern. So weit, so erwünscht. Nur: Schadet dieser Effekt anderen Tieren, auf die man es nicht abgesehen hat? Viele Studien haben gezeigt, dass dies nicht der Fall ist.

Was ist mit Effekten, die noch nicht bekannt sind und erst zukünftig auftreten?

Bei neuartigen Pflanzen ist es immer möglich, dass unerwartete Effekte auftreten. So war es etwa bei der Lenape-Kartoffel, die in den 1960er Jahren auf den Markt kam: Die neu gezüchtete Sorte hatte einen niedrigen Zuckergehalt. Doch Verbraucher:innen klagten über Übelkeit nach dem Essen. So fand man heraus, dass sie giftig war und nahm sie in den 1970ern vom Markt. Die Lenape-Kartoffel war jedoch keine Gen-Pflanze, sondern konventionell gezüchtet.

Das zeigt: Mit neuen Kreuzungen entstehen neue Eigenschaften, auch solche, auf die man nicht abzielt. Das ist unabhängig davon, ob Gentechnik eingesetzt wird oder nicht.

Was sind die Chancen der Grünen Gentechnik?

Wissenschaftler:innen sehen große Potenziale in Grüner Gentechnik: Sie forschen daran, wie Pflanzen widerstandsfähiger gegen Hitze, Dürre oder Extremwetter werden, wie sie nährstoffreicher und ertragreicher werden. Sie gehen davon aus, dass Landwirt:innen beim Anbau von Gen-Pflanzen weniger Treibhausgase ausstoßen und weniger Wasser nutzen müssen.

Schon jetzt ist klar: Mit Grüner Gentechnik lässt sich der Ertrag pro Fläche erhöhen. Das heißt, man könnte mehr Menschen ernähren und gleichzeitig Ackerfläche der Natur zurückgeben. Bei einer wachsenden Weltbevölkerung und häufigeren klimawandelbedingten Extremwettern könnte das für mehr Ernährungssicherheit sorgen.

Eine Meta-Studie aus Göttingen wertete insgesamt 147 Studien aus und stellte fest: Im Schnitt steigert Grüne Gentechnik die Ernte um 22 Prozent. Gleichzeitig sank der Einsatz von Pestiziden um 37 Prozent. Werden weniger Pestizide eingesetzt, geht es auch den Feldarbeiter:innen besser, wie eine Studie zur Baumwollanpflanzung in Pakistan zeigt.

Sind die neuen Methoden besser als die alten?

Die bisherigen positiven Effekte beziehen sich vor allem auf die klassischen gentechnischen Methoden, mit denen man mehr Erfahrung hat. Neue genomische Techniken wie Genscheren machen die Grüne Gentechnik schneller, genauer und kostensparender als früher. Die Eigenschaften von Pflanzen können präzise verändert werden. Jahrelanges Probieren ist nicht mehr nötig. Wissenschaftler:innen sehen darin große Potenziale. So konnte mit CRISPR/Cas etwa Reis so modifiziert werden, dass er mehr Salz im Boden toleriert. Versalzung ist oft ein Problem auf Reisplantagen.

Was hat man dort gelernt, wo Grüne Gentechnik eingesetzt wird?

Die  Methoden der klassischen (alten) Gentechnik existieren schon länger, deshalb haben Züchter:innen und Forscher:innen damit mehr Erfahrung. Landwirt:innen, die solche gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen, müssen oftmals weniger chemische Mittel nutzen oder weniger bewässern, und können dadurch Kosten sparen. Allerdings ist gentechnisch verändertes Saatgut teurer, sodass sich der finanzielle Nutzen mitunter fast aufhebt. In jedem Fall profitieren die großen Saatgutfirmen wie etwa Bayer. Viele der großen Konzerne verkaufen das gentechnisch veränderte Saatgut – oftmals mit dem dazu passenden Unkrautvernichtungsmittel.

Mit den Neuen Gentechnischen Methoden (NGT) gibt es weniger Erfahrung. Doch schon jetzt lässt sich sagen, dass die neue Gentechnik Pflanzen viel genauer, schneller und preiswerter verändern kann als die klassische. Inzwischen entstehen mit den NGT zum Beispiel Sojabohnen, aus denen gesünderes Speiseöl mit weniger gesättigten Fettsäuren gepresst wird. Die klassischen Methoden fokussieren auf stark profitbringende Pflanzen wie Mais und Baumwolle, die oft in einer stark industrialisierten Landwirtschaft angebaut werden. Mit den NGT könnten Pflanzen attraktiver werden, die für Züchter:innen bisher wirtschaftlich uninteressant waren, etwa Hirse oder Kichererbsen.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften schreiben in einer Stellungnahme, dass NGT den Marktzugang für kleine und mittlere Saatgutunternehmen und Züchter:innen erleichtern könnten – vorausgesetzt, die EU würde ihre Zulassungsverfahren neu regeln.

Wie ist der rechtliche Rahmen?

Derzeit regelt eine EU-Richtlinie von Anfang der 2000er-Jahre, wie gentechnisch veränderte Pflanzen geprüft und zugelassen werden und was Landwirt:innen anbauen dürfen. Sie gilt als streng. Anfang der 2000er waren Verfahren der neuen Gentechnik, wie CRISPR/Cas9, noch nicht entdeckt. Darum wurde im EU-Parlament zuletzt ein neuer Gesetzesentwurf diskutiert: Er würde die Zulassung für neue Züchtungstechniken einfacher machen. Allerdings müsste das Saatgut nach wie vor gekennzeichnet werden und dürfte nicht im Ökolandbau eingesetzt werden. Die wohl größte Änderung ist: Genomeditierte Pflanzen sollen in bestimmten Fällen wie herkömmlich gezüchtete Pflanzen behandelt werden – nämlich dann, wenn nur eine Editierung am bestehenden, pflanzeneigenen Erbgut vorgenommen wurde, beziehungsweise wenn die eingesetzte DNA nicht von einer fremden Art kommt. Außerdem würden für eine erleichterte Zulassung zwei weitere Einschränkungen gelten: Die Änderung am Genom darf nur einen sehr kleinen Teil betreffen – maximal 20 DNA-Basenpaare dürfen verändert sein. Und, dieser Punkt ist besonders wichtig: Die entstandene Sorte muss äquivalent sein zu konventionellen Pflanzen. Das heißt: Die am Erbgut der Pflanze vorgenommene Veränderung müsste auch zufällig oder durch herkömmliche Züchtungsmethoden entstehen können. Die EU-Lebensmittelbehörde hält diese Gleichstellung für gerechtfertigt.

Das EU-Parlament hat kontrovers darüber diskutiert und dem Entwurf der Kommission zugestimmt. Nun müssen sich die Mitgliedsstaaten einigen – doch einige Staaten blockieren den Vorschlag. Die Verhandlungen kommen kaum voran.

Auch das Bundesumweltministerium will bei den alten Regeln bleiben. Es spricht sich klar gegen »eine Deregulierung neuer Gentechnikmethoden« aus, wie es auf der Website heißt. Die EU hingegen betont in einer Studie von 2021 die Potenziale der Neuen Gentechnik. Auch ein Verband aus internationalen Forschungsstätten unterstützt den Vorschlag, darunter die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft.

 

Erschienen am 21. Oktober 2024

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