Thema
Wer hat Angst vor Gentechnik – und warum?

Text
Bernd Eberhart, Nelly Ritz

Mitarbeit
Sabrina Winter

Illustration
Melanie Gandyra

Profit und Prinzipien: Wie NGOs mit der Kritik an Gentechnik Geld verdienen

Viele Organisationen stehen der Grünen Gentechnik kritisch gegenüber. Es geht ihnen dabei um den Schutz von Mensch und Umwelt, sagen sie. Aber stimmt das? Diese Recherche zeigt: Hinter der Gentechnik-Kritik stecken oft finanzielle Interessen.

Der Streit beginnt in Deutschland mit der Petunie. Genauer gesagt: mit 30.000 Petunien. Am 14. Mai 1990 pflanzen Mitarbeiter:innen des Max-Planck-Instituts (MPI) für Züchtungsforschung in Köln diese Petunien auf ein fußballfeldgroßes Terrain – und starten damit den ersten Freilandversuch mit genveränderten Pflanzen in Deutschland. Schon am Morgen stehen Menschen in Jeansjacken und bunten Pullis vor den Toren des Instituts: die Initiative BürgerInnen beobachten Petunien. Sie tragen Banner vor sich her und wollen auf mögliche Risiken aufmerksam machen.

Und tatsächlich: Zwar blühen die Petunien zuerst lachsfarben statt weiß – ganz so, wie es die Wissenschaftler:innen als Folge ihrer Genveränderung vorhergesagt hatten. Ein paar Wochen später aber ändern sie unerwartet ihre Farbe. Der Spiegel schreibt damals, der Acker habe einem »Petunien-Angebot auf einem Wochenmarkt« geglichen. »Es blühte weiß und blaßrot, ziegelrot, blau und rosa«. Die Überschrift: »Fiasko in Farbe«. Viele Gegner:innen der Gentechnik fühlen sich bestätigt: Die Folgen von Genmanipulationen sind nicht vorhersehbar, so der Tenor; die Wissenschaft sei nicht in der Lage, ihre eigenen Schöpfungen zu beherrschen. Der Ton und die Themen für die Debatte um die Gentechnik in der Pflanzenzüchtung – die Grüne Gentechnik – waren gesetzt. Und sind es bis heute, mehr als dreißig Jahre später.

Aus wissenschaftlicher Sicht kann man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen: Die Grüne Gentechnik ist sicher für Mensch und Umwelt.

In der Zwischenzeit ist die Grüne Gentechnik millionenfach erprobt, etliche Risikoprüfungen rund um die Welt bescheinigen, dass sich keine der befürchteten Folgen eingestellt haben. Aus wissenschaftlicher Sicht kann man mit großer Wahrscheinlichkeit sagen: Die Grüne Gentechnik ist sicher für Mensch und Umwelt. Zudem hat die Technologie heute wenig gemeinsam mit den vergleichsweise plumpen Methoden von damals. In den Köpfen vieler Menschen jedoch bleibt das Fiasko in Farbe.

Das ist kein Zufall. Denn so, wie bestimmte Unternehmen Vorteile daraus ziehen, wenn Gentechnik zur Anwendung kommt – so haben auch etliche ihrer Gegner:innen Vorteile, wenn sie nicht zur Anwendung kommt: machtpolitische Vorteile, aber auch finanzielle Interessen. So hat sich die Gentechnik-Kritik im Laufe der vergangenen 30 Jahre zu einem guten Geschäft entwickelt.

Wie aber arbeitet diese Anti-Gentechnik-Branche? Wer ist Teil von ihr, wer profitiert von ihr? Und wer verdient mit ihr wie viel Geld?

Ein kurzer Überblick über die Geschichte der Grünen Gentechnik – und ihrer Kritik

1983 gelingt Wissenschaftler:innen aus den USA und Europa erstmals die Herstellung gentechnisch veränderter Pflanzen. Damals bedeutete Gentechnik vor allem, transgene Pflanzen zu schaffen – also ein fremdes Gen aus einer anderen Art in das Genom einer Pflanze einzuführen. Es ist verständlich, dass einige Deutsche im Jahr 1990, nur sieben Jahre später, ein ungutes Bauchgefühl haben, wenn erstmals in ihrem Land genveränderte Pflanzen aufs Feld gebracht werden – die Petunien. Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) machen es sich in den 90er-Jahren daher zur Aufgabe, die junge Technologie auf den Prüfstand zu stellen und auf mögliche Gefahren für Mensch und Umwelt aufmerksam zu machen – besonders Greenpeace. Als 1996 erste Schiffsladungen mit ungekennzeichnetem, genetisch verändertem Soja und Mais in Europa ankommen, startet die NGO eine EU-weite Kampagne gegen Gentechnik in der Landwirtschaft. Bis heute sind die Kampagnen von Greenpeace – etwa mit dem Gen-Mais-Monster – in ihrem Ton und ihrer Optik prägend für die Debatte.

Diese und andere Kampagnen wirken: Im Jahr 2003 wird für alle EU-Länder eine neue Verordnung beschlossen. Sie reguliert die Zulassung und Kennzeichnung gentechnisch veränderter Lebensmittel. Seitdem hat es nur eine einzige gentechnisch veränderte Kulturpflanze auf europäische Äcker geschafft.

In vielen anderen Ländern rund um die Welt, allen voran in den USA und im südlichen Amerika, kommen transgene Sorten mit künstlich eingebauten Resistenzen gegen Schadinsekten oder Unkrautvernichtungsmittel seit Jahrzehnten zum Einsatz. Besonders ein Produktpaket des Konzerns Monsanto wurde zum Kassenschlager: Saatgut mit eingebauten Resistenzen gegen das Herbizid Glyphosat – und, vom Konzern gleich mitgeliefert, eben jenes Herbizid, vertrieben unter der Marke »Roundup«. Ein schlagkräftiges Duo – und ein fatales: Die so bequeme wie potente Mischung leistet auch einer hochindustrialisierten Landwirtschaft Vortrieb, die auf kurzfristige Ertragsmaximierung zielt und mit ihren Monokulturen Böden, Landschaften und Biodiversität zerstört.

Doch das muss nicht so sein. Viele Forscher:innen wollen heute mithilfe der Gentechnik Pflanzen züchten, die eine nachhaltigere Landwirtschaft in Zeiten einer sich erhitzenden Welt ermöglichen. Das Prinzip »transgen« gehört in der Pflanzenzucht eher der Vergangenheit an. Heute kommen meist Technologien zum Einsatz, die das vorhandene Genom einer Pflanze nur bearbeiten. Man spricht von der Genomeditierung: Einzelne Gene lassen sich gezielt ansteuern und in Details verändern. Mit diesen Verfahren könnte man zwar auch transgene Pflanzen schaffen. Meist wird aber kein artfremdes Gen in die Pflanze eingeführt. Stattdessen züchtet man Saatgut, das theoretisch auch auf natürlichem Wege oder durch konventionelle Züchtung entstehen könnte. Man nennt diese Verfahren NGT: new genomic techniques. Zu dieser »neuen Gentechnik« gehört als potentestes Werkzeug die Genschere CRISPR/Cas9 für deren Entdeckung die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna 2020 den Chemie-Nobelpreis bekommen haben.

Was kann die neue Gentechnik besser als die alte?

Eine Pflanze auf gewünschte Eigenschaften hin zu züchten, das macht der Mensch schon seit tausenden von Jahren: durch Anbau, Kreuzung und Selektion; in neuerer Zeit auch mithilfe von Chemikalien oder radioaktiver Strahlung, die zufällige Mutationen auslösen. All diese Verfahren der »klassischen« Züchtung brauchen allerdings viel Zeit und sind wenig präzise. Die Genschere CRISPR/Cas9 kann Erbgut, zum Beispiel das einer Pflanze, deutlich schneller und präziser verändern als bisher. Die EU-Kommission sieht neue Verfahren wie die Genschere daher als »innovative Möglichkeiten«, den Lebensmittelsektor nachhaltiger und krisenbeständiger zu machen. Zum Beispiel durch die Entwicklung von Pflanzensorten, »die klima- oder schädlingsresistent sind, weniger Düngemittel und Pestizide brauchen oder ertragreicher sind«.

In einer großen Übersichtsstudie aus dem Jahr 2018 schreiben die Autoren von der University of California in Berkeley: »Wir stehen erst am Anfang der Anwendung von Gentechnik, und die Anwendungen in der Landwirtschaft sind stark reguliert. Dennoch haben wir bereits gesehen, dass diese Technologie die Erträge, den Wohlstand der Verbraucher und das Einkommen der Landwirte erhöht und die Emissionen und Umweltkosten der Landwirtschaft verringert. Darüber hinaus hat die Gentechnik das Potenzial, die biologische Vielfalt von Nutzpflanzen zu erhöhen.«

Ein Großteil der Wissenschaftler:innen, von der Pflanzengenetikerin bis zum Biodiversitätsforscher, ist überzeugt: Die neue Gentechnik ist eine Chance. Auch viele Wissenschaftsorganisationen sehen sie positiv: etwa die Leopoldina in Deutschland oder die National Academy of Sciences in den USA, aber auch die Lebensmittelaufsichtsbehörden in Europa und den USA, EFSA und FAO. Doch die strengen EU-Rechtsvorschriften über gentechnisch veränderte Organismen erschweren den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der EU. Als diese Richtlinien festgelegt wurden, gab es noch keine neuen genomischen Techniken (NGT). Deshalb will die EU-Kommission die Regulierung nun anpassen und bestimmte NGT-Pflanzen einfacher zulassen.

Wieso setzen sich viele NGOs gegen Grüne Gentechnik ein?

Doch Organisationen wie Greenpeace, die Naturschutzorganisation BUND oder der Münchner Verein Testbiotech sprechen sich dagegen aus – und gegen Gentechnik generell. Sie schreiben von einer möglichen Gefährdung der menschlichen Gesundheit, von unerforschten Langzeitfolgen, einer »unkontrollierten Ausbreitung gentechnisch veränderter Organismen« oder von »Superunkräutern«. Nur: Was sind die wissenschaftlichen Belege dafür?

Wie aber arbeitet diese Anti-Gentechnik-Branche? Wer ist Teil von ihr, wer profitiert von ihr? Und wer verdient mit ihr wie viel Geld?

Auf unsere Nachfrage antwortet der BUND ausweichend und verweist auf »fehlende Daten«. Greenpeace schickt dagegen eine Liste mit neun Links – davon führen drei zu Artikeln des gentechnikkritischen Vereins Testbiotech, und drei zu Studien, an denen Mitarbeiter:innen des gentechnikkritischen Bundesamts für Naturschutz beteiligt waren. Eine von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) verfasste Studie zu neuen genomischen Techniken, die Greenpeace zitiert, sagt bei genauerer Betrachtung Gegenteiliges aus: »Es wurden keine potenziellen neuen Gefahren im Vergleich zu etablierten Techniken der genetischen Veränderung und keine neuen potenziellen Risiken in Bezug auf Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt festgestellt.« Und der Verein Testbiotech schickt auf die Frage nach aktuellen wissenschaftlichen Belegen für die »unkontrollierte Ausbreitung« zwei eigene Publikationen und verweist auf die dort zitierten Quellen.

Tatsächlich haben Untersuchungen gezeigt, dass Gene in der Umwelt auftauchen können, die mit Verfahren der alten Gentechnik in Kulturpflanzen eingeschleust wurden. Doch auch in den genannten Artikeln wird keine Invasion gentechnisch veränderter Pflanzen oder ein ähnliches Schreckensszenario beschrieben; die Arbeiten verhandeln eher theoretische Risikoanalysen der alten Gentechnik.

Es ist die Aufgabe von NGOs wie Greenpeace oder dem BUND, Themen auf die Agenda zu bringen, die nicht genug Aufmerksamkeit erhalten und die Politik – wenn nötig – zu Reformen zu veranlassen. Der Wirtschaftsethiker Ingo Pies von der Universität Halle und der Ökonom Vladislav Valentinov vom Leibniz-Institut IAMO beschreiben eine der Hauptfunktionen von NGOs so: »Sie wecken Problembewusstsein, decken Missstände auf und erzeugen politischen Druck, etwaigen Missständen durch Reformen wirksam zu begegnen.«  In ihrem Paper The anti-GMO advocacy führen sie aus, wie das im Fall der Gentechnik passiert ist, als in den 1990er-Jahren große Kampagnen liefen und in den 2000er-Jahren daraufhin die EU-Richtlinie verabschiedet wurde. Damals gab es in der Tat noch wenig Erkenntnisse über die Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen auf die Umwelt – und die Produkte gelangten ungekennzeichnet auf den europäischen Markt.

Heute aber gibt es eine Kennzeichnungspflicht, es gibt strenge Zulassungsregeln. Und vor allem gibt es mehr Wissen über mögliche Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen.

Warum aber beharren viele NGOs im Umweltbereich so stark auf ihrer Anti-Gentechnik-Haltung, obwohl die Wissenschaft in NGT überwiegend eine Chance sieht?

Wie NGOs funktionieren (müssen) – und was das Problem daran ist

Die Gentechnik ist ein komplexes Thema. Menschen fehlt oft das Wissen, um die Risiken und Chancen der Technologie wirklich einschätzen zu können. Das zeigt etwa das Ergebnis des Eurobarometers zur Lebensmittelsicherheit aus dem Jahr 2022: Darin geben nur 29 Prozent der Befragten an, schon einmal von »Genomeditierung« gehört zu haben – also dem Prinzip, das hinter der neuen Gentechnik steht. Und doch haben viele Menschen Vorbehalte gegen Gentechnik: 81 Prozent der Befragten ist ein Verbot für den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen in der Landwirtschaft sehr wichtig oder eher wichtig, wie die Naturbewusstseinsstudie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit und des Bundesamts für Naturschutz aus dem Jahr 2019 zeigt.

Dass die Gentechnik nicht so einfach zu verstehen ist, macht es NGOs und Wissenschaftler:innen schwer, darüber zu berichten. Alle Beteiligten müssen das Thema herunterbrechen und griffig formulieren. An diesem Punkt taucht aber ein gewaltiger Unterschied auf zwischen NGO und Wissenschaft: Seriöse Wissenschaft muss sich an Spielregeln halten. Beispielsweise in der Kommunikation von Risiken: Es liegt im Selbstverständnis und der Sprache der Wissenschaft, dass auch kleinste Risiken kommuniziert und absolute Aussagen vermieden werden. Wer sich jedoch einem solchen Verhaltenskodex nicht verpflichtet fühlt, kann tief in die kommunikative Trickkiste greifen, mit Superlativen arbeiten oder mit überhöhten Risikoszenarien Angst schüren. Und nicht erst seit der Diskussion um Social-Media-Algorithmen ist bekannt, dass schlechte Nachrichten deutlich besser laufen als gute.

Auch NGOs machen sich dieses Phänomen zunutze. Der Verein Testbiotech etwa schreibt auf seiner Homepage von einem »Eingriff in die ›Keimbahn‹ der biologischen Vielfalt« durch gentechnisch veränderte Organismen, der sich »auf alle künftigen Generationen der betroffenen Arten und somit auch auf das Ökosystem insgesamt auswirken wird« – und verzichtet hier auf einen Konjunktiv. Die NGO Greenpeace verweist auf Nachfrage zwar auf die »wissenschaftlichen Grundlagen« ihrer Arbeit, betont aber: »Heute gehören auch neue Formen von Aktivitäten, strategische Projekte und Kampagnen dazu.«  In der Kommunikation gebe es für unterschiedliche Themen unterschiedliche Herangehensweisen. Die Organisation schreibt: »Es bleibt unverzichtbar, den Protest auch weiter mit direkten Aktionen sichtbar zu machen.«

»Manche NGOs erliegen gar der Versuchung, nicht das zu skandalisieren, was besonders skandalisierungswürdig ist. Sondern vielmehr das, was sich leicht skandalisieren lässt.« Ingo Pies und Vladislav Valentinov

Der Grund dafür ist simpel: NGOs wollen mit ihren Kampagnen viele Menschen erreichen. Denn nur mit der Unterstützung dieser Menschen können die meisten NGOs überhaupt erst existieren und arbeiten. Das macht sie den Autoren des Papiers Brauchen wir NGOs? zufolge aber anfällig, eher mit negativen als mit positiven Botschaften zu arbeiten. Ingo Pies und Vladislav Valentinov schreiben: »Manche erliegen gar der Versuchung, nicht das zu skandalisieren, was besonders skandalisierungswürdig ist, sondern vielmehr das, was sich leicht skandalisieren lässt.«

Und wer über viele Jahre einen Skandal propagiert, wer mit seinen Botschaften Angst geschürt und ein bestimmtes Feindbild beschworen hat, wer sich also mit einem lange gepflegten Narrativ eine Gefolgschaft aufgebaut hat, die einen (mit)finanziert – der tut sich schwer, aus dieser Maschinerie auszusteigen.

Konfrontiert man NGOs wie den BUND oder Greenpeace mit diesem Vorwurf, verweisen sie abermals auf ihren Standpunkt: Der BUND schreibt, als Ehrenamtsverband nehme er zwar regelmäßig »Weiterentwicklungen seiner Positionierung zu den im Verband bearbeiteten Themen zwischen Bundesgeschäftsstelle, ehrenamtlichen Gremien und den Mitgliedern vor«. Positive Auswirkungen des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen könne der BUND bislang aber nicht erkennen. Stattdessen würden die Gen-Pflanzen »weiterhin mit nicht erfüllbaren Versprechungen beworben, und sind mit Patentierung und Monopolisierung unseres Ernährungssystems verbunden.«

Greenpeace dagegen bezieht sich auf einen ganzheitlichen Ansatz: »Wenn wir die globale industrielle Landwirtschaft klimafreundlicher und mit Blick auf Arten- und Naturschutz ausrichten würden, müssten wir nicht auf riskante oder noch nicht ausgereifte Techniken zurückgreifen, die das Genom von Pflanzen verändern.«

Und Christoph Then, der Geschäftsführer des Vereins Testbiotech, schreibt in einer E-Mail: »Testbiotech schürt keine Ängste.« Überhaupt habe Testbiotech »als Organisation keine grundsätzliche Haltung gegenüber der grünen Gentechnik.« Auf die Frage, inwiefern der Verein bei öffentlicher Kommunikation auf eine neutrale, wertfreie Sprache achte, die an wissenschaftliche Standards angelegt ist, erklärt Then: »In unserer Kommunikation achten wir neben den wissenschaftlichen Standards auch auf Verständlichkeit und Prägnanz. Werden zugespitzte Begriffe verwendet, werden diese fachlich begründet.« Diese zugespitzten Formulierungen, schreibt Then, seien dabei kein Selbstzweck: Sie dienten »als Katalysator für die öffentliche Debatte.«

Die Wirtschaftsethiker Ingo Pies und Matthias Georg Will argumentieren, viele NGOs im Umwelt- und Gesellschaftsbereich könnten die Themen, für die sie sich einsetzen, oftmals nicht einfach ändern. Denn: Hinter ihnen steht eine Vielzahl an Mitarbeiter:innen und Spender:innen, die im Zweifel wegbricht, wenn ihr Anliegen nicht mehr vertreten wird. Die Kritik an sich kann so zum Geschäftskonzept werden – und einige der Organisationen, die sich ursprünglich dem Schutz der Umwelt oder der Verbraucher:innen verschrieben haben, laufen Gefahr, vor allem ihre eigene Existenz zu schützen. Selbst dann, wenn sie damit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen widersprechen. Für dieses Phänomen der allmählich verschobenen Ziele gibt es ein Fachwort: Mission Creep.

Finanzen, Finanzen, Finanzen: Wie unabhängig sind NGOs wirklich?

Der Münchner Verein Testbiotech kennt nur ein einziges Thema: Gentechnik – beziehungsweise die Kritik daran. Er wurde 2008 von Christoph Then gegründet, einem der aktivsten Gentechnik-Kritiker hierzulande; bereits zuvor hatte er das Thema bei Greenpeace und für die Grüne Fraktion im bayerischen Landtag bearbeitet. Wie bei jeder Neugründung war man auch bei Testbiotech in der Anfangszeit auf der Suche nach Mitgliedern und Geldern. Das belegt ein Einblick in die Vereinsakte: Im Protokoll einer Vereinssitzung aus dem Jahr 2010 heißt es, es bestehe ein »erheblicher finanzieller Bedarf, der u.a. durch eine offensive Werbe-Kampagne um Fördermitglieder gedeckt werden soll«.

Heute finanziert sich Testbiotech vor allem über drei Säulen: Spenden von Privatpersonen, öffentliche Projektgelder und Gelder von Stiftungen. Rund drei Viertel der Einnahmen machen private Spenden und Stiftungsgelder aus. Im Jahr 2023 hat Testbiotech beispielsweise insgesamt mindestens 200.000 Euro von der Umweltstiftung Greenpeace, der GEKKO-Stiftung und der Gen-ethischen Stiftung erhalten. Diese Zahlen lassen sich dem Lobbyregister für die Interessenvertretung gegenüber dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung entnehmen. Dort ist aufgeführt, wer welche Interessen an Parlament und Regierung heranträgt. Alle drei Stiftungen vertreten eine klare Linie gegen Gentechnik: Die Umweltstiftung Greenpeace ist als »ein Teil des internationalen Greenpeace-Netzwerks den Zielen und Werten von Greenpeace verpflichtet«. Die GEKKO-Stiftung (der Name steht für »Gentechnik kontrollieren«) spricht sich auf ihrer Webseite gegen die EU-Neuregulierung aus. Und auch die Gen-ethische Stiftung hat es sich zum Ziel gemacht, »kritisch über Gen-, Bio- und Fortpflanzungstechnologien aufzuklären«.

Mit der Unabhängigkeit ist es so eine Sache: Wie unabhängig kann ein Verein sein, wenn er von Menschen und Organisationen abhängt, die Grüne Gentechnik ablehnen?

Es ist legitim, dass Stiftungen und ihre Gründer:innen ihr Geld für Zwecke spenden, die ihnen wichtig erscheinen. Mit der Unabhängigkeit der Empfänger:innen ist es aber so eine Sache: Wie unabhängig kann ein Verein wie Testbiotech als  »unabhängiges Institut für die Folgenabschätzung im Bereich Gentechnik« sein, wenn es von Menschen und Organisationen abhängt, die Grüne Gentechnik ablehnen? Auf Nachfrage schreibt Christoph Then dazu: »Wir arbeiten nicht im Auftrag der genannten Stiftungen.« Und: »Unsere Projektinhalte und unsere Projektanträge werden von uns selbst gewählt. Dabei stehen inhaltliche Kriterien im Vordergrund und nicht die Frage, welche Projekte am einfachsten finanziert werden könnten.« Einen Widerspruch zwischen der finanziellen Abhängigkeit von gentechnik-kritischen Stiftungen und der eigenen Unabhängigkeit könne Christoph Then nicht erkennen, wie er schreibt.

Auf der Homepage von Testbiotech zeigt sich allerdings: Die Vorteile der Gentechnik werden weitgehend ausgeblendet. In einem 17-seitigen Sonderdruck zum 10-jährigen Jubiläum von Testbiotech etwa findet sich ein knapper Absatz: »Welche Vorteile bietet das Gentechnik-Saatgut?« Das Fazit: »Gentechnisch veränderte Pflanzen, die für die VerbraucherInnen einen Nutzen haben könnten, haben bislang keine Bedeutung erlangt.« Auf Nachfrage schreibt Christoph Then: »Wir haben nicht den Anspruch, über alle Vor- und Nachteile der Gentechnik zu berichten.« Es sei klar, »dass wir zur Diskussion über den Einsatz von Gentechnik nur einen Beitrag von vielen liefern können.«

Greenpeace Deutschland, eine der größten Gentechnik-kritischen Organisationen hierzulande, schreibt online: »Wir nehmen kein Geld von der Industrie, dem Staat oder der EU. Damit ist Greenpeace völlig unabhängig und kann sich auch für unbequeme Wahrheiten stark machen.« Im Jahr 2023 hat die Organisation Jahresspenden von 84,3 Millionen Euro eingenommen. Auf seiner Webseite wirbt der Verein unter einem Artikel zum Thema Gentechnik explizit um Spenden für eine »Landwirtschaft ohne Gentechnik«.

Wie viele der Spenden an Greenpeace Deutschland auf das Engagement der NGO gegen Gentechnik zurückgehen, kann die Organisation nicht sagen. Auch der BUND kann dazu keine Aussagen machen und schreibt auf Nachfrage lediglich, dass es in den vergangenen Jahren keine spezifisch auf Gentechnik ausgerichtete Spendenaktion gegeben habe.

Der Agrarwissenschaftler Urs Niggli schreibt allerdings in einer E-Mail »bezüglich Spendenfreudigkeit«: »Gentechnik ist für Greenpeace sicher ein gutes Geschäft.« Niggli kennt die Thematik und die Beteiligten gut. 30 Jahre lang war er der Leiter des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in der Schweiz, eine der weltweit renommiertesten Forschungseinrichtungen zur Öko-Landwirtschaft. Lange war er in der Debatte sehr präsent und äußerte sich kritisch gegenüber der Gentechnik. »Ich weiß aus meiner Zeit am FiBL von vor 20 Jahren«, schreibt Niggli, »dass wir bei Spendenaktionen für die Bioforschung die Rückflüsse mit dem Thema Gentechnik von durchschnittlich 100.0000 Franken vorübergehend auf 300.000 verdreifachen konnten.«

Biologisch = natürlich, natürlich = gentechnikfrei, Gentechnik = unnatürlich

Doch nicht nur für NGOs ist es ein attraktives Geschäftsmodell, gegen Gentechnik Position zu beziehen. Das lässt sich beispielweise an einer Branche sehen, die unter Verbraucher:innen einen guten Ruf hat: die Bio-Branche.

Der Markenkern dieser Branche ist die Natürlichkeit, ausführlich kommuniziert als Werbebotschaft auf Etiketten und in Kund:innenmagazinen. »Frei von …« ist eine der Formulierungen, die Bio-Kund:innen wohlige Bestätigung am Einkaufswagen verschaffen: frei von Zusatzstoffen, frei von synthetischen Spritzmitteln, frei von Kunstdünger – und eben auch frei von Gentechnik. Dieses Weniger-ist-mehr-Versprechen ist Teil des Preisbonus, den die Branche – zusätzlich zu den tatsächlich oft höheren Produktionskosten im Biolandbau – auf ihre Produkte aufschlägt.

Kein Wunder, dass die Branche offensiv mit den Entwürfen der EU-Kommission umgeht. Auf der Homepage des großen Anbauverbandes Bioland etwa wird in dicken Lettern gewarnt: »Gentechnik auf deinem Teller? Bald kannst du vielleicht nicht mehr darüber entscheiden!«.

Auch hier zeigt sich, wie eine Branche ihre Kundschaft über Jahre hinweg zu einer Gentechnik-kritischen Haltung erzogen hat. Eine Abkehr von dieser Argumentation würde das Publikum zumindest verwirren. Fragt man bei Bioland nach, inwiefern die Erwartung von Bio-Kund:innen bei der Haltungsfindung zur Grünen Gentechnik eine Rolle spielt, erhält man keine konkrete Antwort. Stattdessen wiederholt der Verband seine gentechnikkritische Position und fordert »nach wie vor die Kennzeichnung beim Einsatz aller Arten von Gentechnik vom Saatgut bis hin zum Endprodukt«.

Der Agrarwissenschaftler Urs Niggli vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) hat die Entschlossenheit der Bio-Anhänger:innen beim Thema Gentechnik am eigenen Leib zu spüren bekommen: Im Jahr 2016 revidierte er seine kritische Meinung zur Grünen Gentechnik; er schätzte ihre Chancen mittlerweile größer ein als ihre Risiken. Prompt wendete sich die Bio-Szene gegen ihn, trotz der Forschungserfolge, die er dem Biolandbau als Wissenschaftler beschert hatte. Seinen Posten als FiBL-Direktor hat er mittlerweile verlassen.

Ein profitables Siegel gegen Gentechnik

Und nicht nur die Bio-Branche möchte ihren Kund:innen zeigen, dass sie frei von Gentechnik ist. Auch auf vielen nicht-ökologischen Lebensmitteln im Supermarkt prangt ein »Ohne GenTechnik«-Siegel: eine grüne Raute mit weißer Schrift. Verantwortlich für dieses Logo ist der »Verband Lebensmittel ohne Gentechnik« (VLOG). Nach seinen Kriterien können sich bäuerliche Betriebe oder andere Unternehmen zertifizieren lassen und dürfen dann das Siegel auf ihren Produkten abdrucken.

Für interessierte Betriebe listet VLOG auf seiner Homepage eine Reihe an »Vermarktungsvorteilen«: Die Zertifizierung ermögliche etwa die »Erschließung neuer Kunden und stärkere Bindung bestehender Kunden in der ›Ohne Gentechnik‹-Herstellungskette«. Wie gut dieses Prinzip funktioniert, zeigen die Zahlen, die VLOG veröffentlicht: Allein im Jahr 2022 ist der Umsatz mit »Ohne Gentechnik«-Produkten in Deutschland um rund 21 Prozent auf knapp 16 Milliarden Euro gestiegen; 2023 waren es bereits 17,4 Milliarden. Gratis gibt es das Siegel natürlich nicht. Für die ausgezeichneten Produkte fallen anteilig an ihrem Umsatz Lizenzentgelte für den Verband Lebensmittel ohne Gentechnik an.

Den Erfolg sehen die Beteiligten als Spiegel der Kund:innenwünsche und als Bestätigung für die ablehnende Haltung der Bürger:innen zur Gentechnik. Andersherum kann man sich aber auch fragen, inwiefern ein griffiges Logo und ein geschicktes Marketing die Erwartungshaltungen einer Kundschaft auch erst schafft und prägt – ein Spezialgebiet von Alexander Hissting, dem Geschäftsführer von VLOG: Seit vielen Jahren ist er aktiv in der Anti-Gentechnik-Bewegung, schon im Jahr 1993 war er bei einer der ersten Feldbesetzungen in Deutschland dabei. Später arbeitete er bei Greenpeace in der Kampagnenentwicklung – wo er auch auf Christoph Then traf, den Geschäftsführer von Testbiotech. Und auch danach hat Hissting reichlich PR-Erfahrung sammeln können, unter anderem als Strategieberater bei der Berliner Consultingfirma Grüneköpfe.

VLOG inszeniert das grüne Siegel bewusst als Marke für Nachhaltigkeit und eine »grünere«, bessere Landwirtschaft. Unternehmen, die ihre Produkte nach den »Ohne Gentechnik«-Kriterien produzieren, leisteten »einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise«, schreibt der Verein auf seiner Webseite. Der Einsatz von gentechnisch veränderten Pflanzen sei nicht nachhaltig und schade der Umwelt und den Menschen. Vor allem den Einsatz von Herbiziden und die Patentierung von gentechnisch veränderten Pflanzen nennt Alexander Hissting in einer E-Mail als Gründe dafür.

»Unsere Bewertung der ökologischen und sozialen Sinnhaftigkeit des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen«, schreibt Hissting auf die Frage, ob VLOG grundsätzlich in der Lage sei, öffentlich von seiner Haltung gegen Gentechnik abzurücken. »Sollten sich diese wissenschaftlichen Erkenntnisse ändern, ändert sich auch unsere Bewertung.« Er schreibt weiter, dass für den Verband hierbei die gentechnisch veränderten Pflanzen relevant seien, die kommerziell angebaut werden »und nicht die Verheißungen in Hochglanzbroschüren.«

Das Nachhaltigkeitsimage von VLOG scheint zu überzeugen: Der Verband listet eine große Bandbreite an Unternehmen als Siegelnutzer, von regionalen Bäckereien bis zum Discount-Riesen Aldi Süd. Auch die Oettinger Brauerei GmbH etwa, beliebt für ihre günstigen Bierpreise, druckte das Siegel jahrelang auf ihre Etiketten.

Die grüne Raute stammt übrigens nicht von VLOG selbst. Das Label wurde im Jahr 2008 von anderer Stelle ins Leben gerufen: vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter der damaligen Ministerin Ilse Aigner (CSU). Inzwischen liegen die Markenrechte aber komplett beim Verein VLOG. Eine Art Erbschaft – direkt aus dem Bundesministerium.

Staatliche Förderung gegen Gentechnik

Nicht nur das Landwirtschaftsministerium beschäftigt sich mit gentechnisch veränderten Lebensmitteln. Auch andere Ministerien und Behörden, darunter das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) oder das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMUV) beteiligen sich am Diskurs und vergeben Fördermittel in diesem Rahmen.

Eine Behörde, die den Münchner Verein Testbiotech bis heute regelmäßig finanziell unterstützt, ist das Bundesamt für Naturschutz (BfN), das dem BMUV unterstellt ist. Das BfN hat die von Testbiotech betriebene Fachstelle Gentechnik und Umwelt, die an »Risikohypothesen für die Umweltwirkung genomeditierter Nutzpflanzen« sowie an der »Wissensvermittlung zu Neuen Gentechniken und Naturschutz« arbeitet, in den vergangenen sechseinhalb Jahren mit 723.766 Euro unterstützt, wie eine Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz ergab. Sabine Riewenherm, seit 2021 Präsidentin des BfN, äußert sich seit vielen Jahren kritisch gegenüber der Gentechnik, etwa in ihrem Buch Gentechnologie aus dem Jahr 2000. Sie war wissenschaftliche Referentin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Redakteurin des Gen-ethischen Informationsdienstes, einer Publikation des Gen-ethischen Netzwerks. Auf Nachfrage äußert sich das BfN nicht über die persönliche Meinung von Sabine Riewenherm zur Gentechnik. Diese »spielt keine Rolle bei der Ausrichtung der Arbeit des BfN«, schreibt eine Pressevertreterin. Bei der Bewertung von möglichen Fördervorhaben werde »die Fachkompetenz der Antragstellenden überprüft, das heißt, ob bereits in der Vergangenheit entsprechende Themen- und Forschungsfelder erfolgreich bearbeitet wurden, so dass zum Beispiel eine gute Datenbasis beziehungsweise Erfahrungen bei der Bearbeitung des Forschungsthemas vorliegen.«

Unter den vom BfN geförderten Vereinen sind auch der BUND und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft e.V. (BÖLW). Die beiden Organisationen haben insgesamt fast 147.000 Euro bekommen, um ein »Verbände-Kompetenznetzwerk« zum Thema Umweltschutz und neue Gentechniken aufzubauen und zu koordinieren. Das kann unserer Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz entnommen werden. Auf die Frage, inwiefern das BfN den BUND für einen passenden Projektträger hält, schreibt das BfN, der BUND sei als »informierte und engagierte Umweltvereinigung in Diskursen zur Nutzung der Gentechnik in Deutschland und Europa bekannt«. Bekannt ist der BUND allerdings vor allem für seine Haltung gegen Gentechnik.

Andererseits: Sind Wissenschaftler:innen immer unabhängig?

Doch auch die Wissenschaft selbst steht oft in der Kritik, nicht objektiv zu sein. In der Debatte um Grüne Gentechnik betonen Gegner:innen immer wieder, dass es eben die Wissenschaftfler:innen seien, die nicht unabhängig sind; dass diejenigen, die zu Anwendungen der Grünen Gentechnik forschen, auch die Industrie beraten oder selbst Patente in diesem Bereich anmelden und halten. Auch Greenpeace schreibt in einer Mail: »Wichtig ist beim Thema neue Gentechnik, darauf hinzuweisen, dass es nur sehr wenige wissenschaftliche Arbeiten gibt, die unabhängig von den Interessen der Firmen und Konzernen sind.«

Und tatsächlich: Auch Forscher:innen, die an öffentlich finanzierten Einrichtungen wie etwa den Universitäten arbeiten, halten Patente auf bestimmte Anwendungen oder Methoden. Gerade in Bezug auf Nutzpflanzensorten und Saatgut ist das kritisch – und der Wissenschaftsbetrieb tut gut daran, individuelle Interessenskonflikte strikt abzufragen und offenzulegen. Und es ist legitim und wichtig, dass NGOs oder Medien darauf hinweisen, wenn das nicht der Fall ist. Das zeigt eine Recherche der New York Times aus dem Jahr 2015: Der Bericht belegt, wie große Konzerne wie Monsanto Wissenschaftler:innen rekrutiert hatten, um öffentlich die Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen zu bestätigen.

Doch handelten nicht nur Unternehmen so, die für den Einsatz von Gentechnik stehen. Die Recherche zeigte, dass auch die andere Seite die Wissenschaft für ihre Zwecke gewinnen konnte – etwa Unternehmen aus der Bio-Branche. Dazu heißt es im Artikel: »Es gibt keine Hinweise darauf, dass die akademische Arbeit beeinflusst wurde, aber E-Mails zeigen, wie sich Akademiker:innen von Forscher:innen zu Akteur:innen in Lobbying- und PR-Kampagnen von Unternehmen entwickelt haben.«

Natürlich hat ein großes Unternehmen wie Bayer oder Syngenta ungleich viel mehr Geld für Lobbyarbeit zur Verfügung als eine kleine NGO. Doch wird in der Debatte oft vergessen, dass auf beiden Seiten finanzielle Interessen eine Rolle spielen, bei den Befürworter:innen als auch bei den Gegner:innen der Gentechnik. Zwar dürfen NGOs im Gegensatz zu Unternehmen keine Gewinne an Mitglieder oder Eigentümer:innen ausschütten – aber natürlich möchten sie dennoch Geld einnehmen, um zum Beispiel Stellen und Ressourcen auszubauen. Und genauso nutzen auch beide Seiten einen Teil ihres Geldes für Lobbyarbeit, um die Politik an entscheidender Stelle zu beeinflussen.

Der Münchner Verein Testbiotech etwa hat im Jahr 2020 mehr als 70.000 Euro für Lobbying in der Europäischen Union ausgegeben, wie die Plattform LobbyFacts.eu zeigt. Und auch für die Jahre 2023 und 2024 ist die von Testbiotech abgesandte »Referentin EU-Gentechnikpolitik«, Astrid Österreicher, wieder für den Zugang zum Europäischen Parlament akkreditiert. Man denke zudem an die Jahresspendeneinnahmen von über 84 Millionen Euro von Greenpeace oder die verschiedenen Stiftungen, die Gentechnik-kritische Arbeit unterstützen. So kommen auch kritische NGOs und Branchenvertreter:innen in der Summe auf eine schlagkräftige – und finanzstarke – Lobby.

Für die USA zeigt das eine Recherche des Genetic Literacy Projects: der Anti-GMO Advocacy Funding Tracker. Der Tracker listet auf, welche US-amerikanischen Stiftungen und Bio-Lebensmittelunternehmen in den Jahren 2012 bis 2016 Geld in Forschung, Kampagnen und Organisationen gegen Gentechnik gesteckt haben. Die Situation in Deutschland ist nicht mit der in den USA vergleichbar. Spannend ist aber doch die Schlussfolgerung der Autor:innen des Trackers: »Die Finanzierung und Lobbyarbeit der Anti-GVO-Bewegung übersteigt bei weitem die Lobbyausgaben der Biotech-Industrie zur Förderung ihrer Produkte«.

Was ist Wissenschaft – und was ist keine Wissenschaft?

Neben der Lobbyarbeit haben Gentechnik-Gegner:innen und Befürworter:innen noch eine weitere Gemeinsamkeit: Beide Seiten beanspruchen für sich, wissenschaftlich zu arbeiten. Die New York Times schreibt über die Situation in den USA: »Der Einsatz von Wissenschaftler:innen beider Seiten und deren angeblich unvoreingenommene Forschung erklärt, warum die amerikanische Öffentlichkeit oft verwirrt ist, wenn sie die widersprüchlichen Informationen verarbeitet.«

Und das gehört eben auch zur Wissenschaft: das Eingeständnis, dass andere Argumente die besseren sind.

Die Frage ist: Wem kann die Gesellschaft vertrauen? Welchen Argumenten soll sie glauben – wenn doch beide Seiten für sich in Anspruch nehmen, auf Basis wissenschaftlicher Fakten zu argumentieren?

Die Wissenschaftler:innen Gabi Waldhof, Ingo Pies und Vladislav Valentinov schreiben in einer Analyse über die »Diskursblockaden in der Debatte um die grüne Gentechnik«: »Der moderne Wissenschaftsprozess – eine der wichtigsten zivilisatorischen Errungenschaften, die uns den Weg in die Moderne eröffnet haben«, stelle seit jeher unter Beweis, »dass es zur Wahrheitsfindung nicht darauf ankommt, wer ein Argument vorbringt, sondern vielmehr darauf, wie gut ein Argument der kritischen Prüfung standhält.« Dieser bewährte Standard, schreiben die Autor:innen, sollte auch für gesellschaftspolitische Diskurse zur Anwendung kommen.

Der amerikanische Wissenschaftsphilosoph Lee McIntyre von der Boston University nennt zwei Eigenschaften, die eine »wissenschaftliche Grundhaltung« ausmachen: den Stellenwert der Evidenz, also von wissenschaftlichen Beweisen; und die Bereitschaft, Theorien auf Basis neuer Evidenz zu verwerfen. Wissenschaft lebt also vom Widerspruch, vom Wettstreit verschiedener Ideen und Hypothesen. Das »Fiasko in Farbe« auf dem Petunienfeld in Köln zeigt bis heute anschaulich, wie dieser Wettstreit funktioniert: Viele der genveränderten Petunien hatten damals entgegen der Erwartungen der Wissenschaftler:innen ihre lachsrosa Farbe eingebüßt. Für die Gegner:innen der Gentechnik war das ein Beweis für die Unkontrollierbarkeit der neuen Technologie. Den Wissenschaftler:innen aber ging es, so sagten sie, um etwas ganz anderes: um die Grundlagenforschung, die zum besseren Verständnis bestimmter molekularbiologischer Vorgänge in der Evolution beitragen sollte. Dass das Versuchsergebnis nicht ihren Erwartungen entsprach, sahen sie nicht als Beweis für einen Kontrollverlust. Sondern als Hinweis, dass es mehr Wissen und weitere Forschung in diesem Bereich braucht.

Wenn sich Fakten ändern, die Argumente aber immer die gleichen bleiben – spätestens dann ist es Zeit für einen kritischen Blick auf die Kritik.

Fest steht: Wissenschaft braucht das Scheitern von Versuchen und Experimenten, denn nur durch die Falsifikation der im Raum stehenden Ideen und Hypothesen entsteht wissenschaftlicher Fortschritt. Auch in der Gentechnik-Debatte ist das der Fall: Die »kritische Prüfung« der beiderseits vorgebrachten Argumente, wie sie Gabi Waldhof und ihre Kollegen einfordern, findet statt – seit rund 30 Jahren. Und bisher ist die Mehrheit der Wissenschaftswelt zu dem Schluss gekommen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen an sich keine Gefahr sind, sondern eine Chance.

Und das gehört eben auch zur Wissenschaft: das Eingeständnis, dass andere Argumente die besseren sind. Dass die eigenen Positionen eine kritische Prüfung nicht bestehen. Oder dass sie schlichtweg nicht mehr dem Stand der Forschung entsprechen, wenn sich sowohl die Datenlage als auch die Technologie innerhalb von gut 30 Jahren grundsätzlich geändert haben. Wenn sich Fakten ändern, die Argumente aber immer die gleichen bleiben – spätestens dann ist es Zeit für einen kritischen Blick auf die Kritik.

Erschienen am 21. Oktober 2024

Newsletter

Jeden Monat ein Thema. Unseren Newsletter kannst du hier kostenfrei abonnieren:

Thema
Wer hat Angst vor Gentechnik – und warum?

Text
Bernd Eberhart, Nelly Ritz

Mitarbeit
Sabrina Winter

Illustration
Melanie Gandyra