
Wie gerecht ist Grüne Gentechnik?
Teil 1: Im globalen Süden
Manche Menschen lehnen Grüne Gentechnik aus Angst vor globaler Ungleichheit und der Macht großer Konzerne ab. Die Fragen, die dahinterstehen, sind: Wie gerecht ist Grüne Gentechnik? Ist es eine Chance für alle – oder profitieren nur Menschen aus bestimmten Regionen oder Unternehmen von ihr? Besteht die Gefahr, dass große Konzerne das gentechnisch veränderte Saatgut nutzen, um Abhängigkeiten zu erzeugen und Landwirt:innen auszubeuten?
Um zu verstehen, was es mit diesen Ängsten auf sich hat, beleuchten wir zwei Punkte: die Situation von Kleinbäuer:innen im globalen Süden, die Saatgut – sei es konventionell gezüchtet oder gentechnisch verändert – mitunter zu schlechten Bedingungen von großen Konzernen bekommen. Und das Problem mit den Patenten: Auf gentechnisch modifizierte Pflanzen können Patente angemeldet und Menschen so von der Nutzung dieser Produkte ausgeschlossen werden.
Dafür haben wir mit zwei Expert:innen gesprochen. Eine von ihnen ist Regina Birner. Seit 2010 leitet sie den Lehrstuhl »Sozialer und institutioneller Wandel in der landwirtschaftlichen Entwicklung« an der Universität Hohenheim. Dort befasst sie sich aus sozioökonomischer Sicht mit Fragen nachhaltiger landwirtschaftlicher Entwicklung im globalen Süden.
Frau Birner, ist die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen eine Chance oder ein Risiko für kleinbäuerliche Systeme im globalen Süden?
Regina Birner: Ich glaube, dass die Genomeditierung als ein Werkzeug im Kasten der Züchtungsunternehmen in Zukunft mehr wertgeschätzt werden wird – gerade im Hinblick auf den Klimawandel und die Herausforderungen, vor denen Bauern und Bäuerinnen stehen. Meiner Einschätzung nach bergen neue genomische Techniken weniger Risiken als alternative Strategien, wie zum Beispiel der Einsatz von Pestiziden. Gerade in afrikanischen Ländern sehen wir, dass die Nutzung von chemisch-synthetischem Pflanzenschutz seit Jahren stark ansteigt. Bisher aber fehlen die entsprechende Sachkunde und eine Steuerung der Regierungen. Das sehe ich als ein großes Problem und das könnte man besser in den Griff bekommen, wenn man auch Lösungen aus dem Züchtungsbereich anbietet.
Kann man denn sagen, wie Bäuer:innen im globalen Süden zu Gentechnik stehen?
In vielen Ländern des globalen Südens, insbesondere in Afrika, sind keine gentechnisch veränderten Pflanzen zugelassen, daher werden sie auch nicht angebaut. Dementsprechend ist vielen Kleinbäuerinnen oder Landarbeitern das Konzept gentechnisch veränderter Pflanzen nicht bekannt. Sie werden nicht damit konfrontiert, weil es entsprechende Sorten auf dem Markt nicht gibt. In Ländern, in denen gentechnische Sorten zugelassen und verfügbar sind, werden sie von Bauern und Bäuerinnen durchaus angebaut, wenn sie Vorteile für sich sehen.
Aber es gibt ja Vertretungen von Kleinbäuer:innen und Organisationen, die sich damit befassen.
Ja, viele Bauern und Bäuerinnen organisieren sich, auch auf nationaler Ebene. Zudem gibt es Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die zum Teil international finanziert sind. Auch die Landwirtschaftsministerien befassen sich mit der Frage, ob gentechnisch veränderte Pflanzen in ihrem Staat angebaut werden sollten. Die Debatten auf Landesebene sind in diesen Ländern oft sehr ähnlich zu der unseren: Die umweltorientierten NGOs sind eher gegen den Einsatz von gentechnisch verändertem Saatgut, die Landwirtschaftsministerien und Agrarforschungseinrichtungen eher dafür.
Wie schätzen Sie das ein: Stehen diese Diskussionen unter dem Einfluss von NGOs, Regierungen oder Unternehmen aus dem globalen Norden?
Natürlich gibt es in dieser Debatte internationalen Einfluss: Es gibt multinationale Firmen, die aktiv sind, wie zum Beispiel Bayer oder Syngenta, aber auch lokale Unternehmen, die international handeln und ihre Interessen durchsetzen wollen. Internationaler Handel bedeutet immer auch internationalen Einfluss: Viele Länder wollen ihre Exportmärkte nicht einschränken. Weizen zum Beispiel wird auch nach Europa exportiert, und hier ist die Haltung gegenüber gentechnisch veränderten Lebensmitteln nun mal eine kritische. Also verzichten die Exportländer lieber auf Gentechnik im Weizen. Dazu kommt der Einfluss von Entwicklungsorganisationen, NGOs oder der Weltbank, die Projekte finanzieren. Und es gibt noch große Stiftungen, zum Beispiel die Bill & Melinda Gates Foundation, die mit ihrem Finanzierungsumfang für landwirtschaftliche Projekte ebenfalls eine bedeutende Rolle spielt. Das alles beeinflusst auch die Politik.
Häufig kommt bei diesem Thema der Vorwurf des Neokolonialismus auf: Der globale Norden würde Ländern des globalen Südens gar nicht erlauben, sich eine eigene Meinung zu bilden, weil westliche Konzerne und Geldgeber:innen dort Druck auf die Regierungen ausüben.
Den Neokolonialismus-Vorwurf kann man von zwei Seiten betrachten: Die eine Perspektive ist, dass multinationale Konzerne ihre Interessen vor Ort durchsetzen. Man muss aber auch sehen: Es gibt etablierte Demokratien, zum Beispiel Kenia oder Ghana, die ihre eigenen Debatten führen und demokratisch entscheiden. Und wenn sie zu dem Schluss kommen, dass sie die Methode zulassen wollen, kann man genauso den internationalen NGOs, die trotzdem weiter dagegen mobilisieren, einen Neokolonialismus-Vorwurf machen.
Würde der Anbau von gentechnisch modifiziertem Saatgut die kleinbäuerlichen Systeme vor Ort denn maßgeblich verändern?
Davon würde ich nicht ausgehen. Die Landwirtschaft im globalen Süden unterliegt einem Strukturwandel, der grundsätzlich mit dem Prozess der Industrialisierung von Volkswirtschaften einhergeht: Menschen wandern aus dem Landwirtschaftssektor in den Industriesektor ab und daher wachsen die Betriebe und die Mechanisierung nimmt zu. Gerade mit Blick auf diesen Wandel kann man sich fragen, wie die Landwirtschaft nachhaltiger werden kann. Neue Züchtungstechniken und neue Pflanzensorten können dazu beitragen, die Erträge zu erhöhen, damit wird die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche begrenzt, was für den Klimaschutz und die Erhaltung der Biodiversität wichtig ist. Für höhere Erträge kommt es aber nicht nur auf die Sorte an, sondern auch darauf, dass man die gesamte landwirtschaftliche Praxis optimiert: Man muss zur richtigen Zeit aussäen und ernten, das Unkrautmanagement im Griff haben und auf die Bodenfruchtbarkeit achten, wozu auch ein gutes Düngemanagement gehört. Oft sind das große Herausforderungen für die Bauern und Bäuerinnen in afrikanischen Ländern.
Eine große Angst von Gentechnik-Kritiker:innen ist, dass multinationale Konzerne gentechnisch verändertes Saatgut (und darauf abgestimmtes Herbizid) teuer verkaufen und die Landwirt:innen durch dubiose Verträge an sich binden. Teilen Sie diese Sorgen?
Das muss man sehr differenziert betrachten. In der politischen Diskussion ist das ja erst einmal ein Argument, das sehr wirkungsmächtig ist. Man hat die großen Konzerne – der Saatgutmarkt hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich immer mehr konzentriert auf einige wenige Konzerne. Und dann hat man die kleinbäuerlichen Betriebe, die vor diesen Konzernen »geschützt« werden müssen. Viele NGOs wollen ja am liebsten, dass die Bauern und Bäuerinnen überhaupt nicht in Kontakt kommen mit diesen multinationalen Konzernen, damit sie nicht abhängig werden können. Aber in der Marktwirtschaft, in der wir leben, ist das meiner Meinung nach ein schwaches Argument. Konzentrationen beobachten wir ja in vielen Branchen, zum Beispiel auch in der Automobilindustrie oder bei Software-Produkten. Trotzdem folgt daraus nicht, dass wir deren Produkte grundsätzlich nicht nutzen sollten.
»Es muss Wettbewerb geben und genug Optionen für die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.« – Regina Birner
Die Frage ist also vielleicht eher: Unter welchen Bedingungen sind Konzentrationsprozesse in einer Branche problematisch?
Genau. Im Saatgutbereich stellt sich zum Beispiel die Frage, ob die Bauern und Bäuerinnen genügend Auswahlmöglichkeiten haben. Insbesondere kommt es auch darauf an, ob sie das Saatgut nachbauen können. Also: Man kauft es einmal, sät es aus und kann dann einen Teil der Ernte als Saatgut fürs nächste Mal behalten. Und es gibt in der Tat Saatgut – zum Beispiel Hybridsaatgut aus konventioneller Züchtung –, das man nicht wieder aussäen kann – zumindest nicht ohne Ertragsverlust. Aber solange die Landwirtinnen und Landwirte die Wahl haben, auch anderes Saatgut zu kaufen, das sie nachbauen können und dürfen, sind sie ja nicht abhängig.
Das heißt, die Bäuer:innen im globalen Süden handeln frei vom Druck großer Konzerne?
Meiner Erfahrung nach entscheiden die Bauern und Bäuerinnen durchaus rational: Wenn sie mit einem Saatgut keine guten Erfahrungen machen, dann kaufen oder nutzen sie es im nächsten Jahr nicht mehr. Deswegen machen viele kleinbäuerliche Betriebe bei neuem Saatgut erstmal Tests: Sie bauen es auf einem kleinen Teil ihres Feldes an und schauen, ob es für sie passt. Die Vorstellung, Firmen könnten Landwirtinnen und Landwirte auf Dauer dazu bringen, etwas zu machen, was nicht in deren Interesse ist, ist meiner Meinung nach überzogen. Da frage ich mich auch oft, was für ein Bild von kleinbäuerlichen Familien da dahintersteckt. Die Bauern und Bäuerinnen sind durchaus in der Lage, ihre Situation zu beurteilen und selbst zu entscheiden, auch wenn sie wenig Zugang zu formaler Bildung haben. Das sind Menschen mit viel Erfahrung, die versuchen, für sich und ihre Familien und ihre Communitys die richtigen Entscheidungen zu treffen. Wenn sie mit Hybridsaatgut trotz höherer Saatgutkosten auf Grund besserer Erträge ein höheres Einkommen für sich erzielen können als mit anderem Saatgut, dann nutzen sie es. Und wenn es sie stört, dass sie ihr Saatgut nicht selbst nachbauen können, kaufen sie eben anderes Saatgut – solange es genug Konkurrenz auf dem Saatgutmarkt gibt. Das ist eigentlich der entscheidende Punkt: Es muss Wettbewerb geben und genug Optionen für die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen.
Aber die Gefahr, dass es nicht genug Optionen gibt, ist ja real: In Indien kam es vor einigen Jahren immer wieder zu Suiziden unter Landwirt:innen, unter anderem, weil sie durch die Kosten für das Saatgut für genveränderte Baumwolle hochverschuldet waren und es sonst keine Anbieter auf dem Markt gab.
Über das Problem der Suizide unter Bauern und Bäuerinnen in Indien wird schon lange intensiv diskutiert. Natürlich ist es immer tragisch, wenn ein Mensch sich das Leben nimmt. Inwieweit die Suizide in Indien aber tatsächlich auf den Anbau gentechnisch veränderter Baumwolle zurückzuführen sind, ist wissenschaftlich umstritten.
Allerdings haben die Firmen, die Saatgut für diese BT-Baumwolle verkauft haben, einen relativ hohen Preis dafür verlangt – auf Kosten der Kleinbauern. Da ist eine gerechtfertigte und wichtige Frage: Was kann man dagegen machen? Die indische Regierung hat schließlich reguliert, wie viel diese Firmen für das gentechnisch veränderte Baumwollsaatgut verlangen dürfen. Wenn Marktmacht vorliegt, das heißt, wenn ein Anbieter den Markt ohne wesentliche Konkurrenz beherrscht, ist das nachvollziehbar. Aber natürlich ist auch das ein Balanceakt: Dass die Firmen am Ende den indischen Markt verlassen, ist meist nicht im Sinne der Regierung. Und natürlich wehren sich die multinationalen Konzerne dagegen, auch mit rechtlichen Mitteln.
Wäre es nicht eine Möglichkeit, dass die Länder mehr in Forschung und Züchtung vor Ort investieren, damit mehr Wettbewerb stattfindet?
Viele Länder investieren bereits in staatliche Züchtungsprogramme, in denen neue Sorten mit konventionellen Züchtungsmethoden entwickelt werden – und mit denen kann man ja auch schon viel erreichen. Forschung aus der Agrarökonomie zeigt: Es lohnt sich, dass Landwirtschaftsministerien Geld in die öffentliche Pflanzenzüchtung investieren, damit lokale Unternehmen neue Sorten vermehren können. So hat man aus öffentlicher Hand verbessertes Saatgut, das direkt den Bauern und Bäuerinnen zugutekommt und zur Ernährungssicherung beiträgt. In den Ländern des globalen Südens ist die öffentliche Investition in die Züchtungsforschung auch deswegen wichtig, weil private Unternehmen ja wenig Anreize haben, in verbessertes Saatgut zu investieren und neue Sorten zu entwickeln, wenn die Landwirte es selbst nachbauen können, ohne dafür eine Lizenzgebühr zu bezahlen. Inwieweit man neue Verfahren wie gentechnische Methoden in öffentlich finanzierte Züchtungsprogramme integriert beziehungsweise sie überhaupt zulässt – das ist dann eine politische Frage. Am Ende muss das jedes Land im demokratischen Prozess für sich selbst entscheiden.
Erschienen am 21. Oktober 2024
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