
Wie lässt sich der Streit um Gentechnik lösen?
Seit Jahrzehnten gibt es Streit um Grüne Gentechnik: »Wundermittel« sagen die einen, »Teufelszeug« die anderen. Die Sozialwissenschaftlerin Gabi Waldhof hat beiden Seiten genau zugehört – und sieht Chancen, den Glaubenskrieg zu beenden.
Als Gabi Waldhof vor wenigen Jahren einen neuen Job antrat, kam das bei manchen Freund:innen gar nicht gut an. Ob sie jetzt etwa mit der Agrarindustrie unter einer Decke stecke? Oder ihren Bekanntenkreis missionieren wolle? Dabei, sagt Waldhof, wollte sie einfach nur Forschung machen, möglichst objektiv, auf Basis von Fakten.
Gabi Waldhof ist Sozialwissenschaftlerin an der Universität Osnabrück. Dort forscht sie zu moralischen Wertekonflikten in der Landwirtschaft. Sie will wissen, was die Menschen für Ansichten haben, was sie beschäftigt und wie sie miteinander reden. Dafür macht sie Umfragen, analysiert Texte oder Posts in den sozialen Medien.
Ihre Doktorarbeit – den Job also, den ihre Freund:innen damals so kritisch beäugten – hat sie am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO) gemacht. Und zwar über ein Thema, zu dem die meisten Menschen eine Meinung haben: meist eine starke, oft eine negative. Es geht um die Grüne Gentechnik – jene Methoden also, mit denen Wissenschaftler:innen das Erbgut von Nutzpflanzen gezielt so verändern, dass sie bestimmte Eigenschaften mit sich bringen. Das kann mehr Widerstandskraft gegen Schädlinge sein oder auch mehr von einem bestimmten Vitamin in Reiskörnern.
Befürworter:innen sehen die Grüne Gentechnik als Lösung gegen Hunger oder Naturzerstörung. Gegner:innen fürchten hingegen um die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt und dass große Unternehmen kleine Bauern mit patentiertem Saatgut abhängig machen könnten. Dazwischen scheint es in öffentlichen Diskussionen wenig Raum zu geben.
»Mich hat überrascht, wie viel Frust und Emotionen ich auf beiden Seiten erlebt habe«, erzählt Waldhof. Statt einer Diskussion finde eher ein Glaubenskrieg statt: Egal ob Wissenschaftler oder interessierte Bürgerinnen, Gentechnikbefürworterinnen oder -kritiker, alle wollten immer nur darüber reden, ob Gentechnik an sich gut oder schlecht sei, berichtet Gabi Waldhof. So manche Veranstaltung zur Grünen Gentechnik habe in lautem Streit geendet.
Kritiker:innen und Befürworter:innen reden aneinander vorbei – das hat Waldhof in ihren Analysen gesehen. Sie sprechen noch nicht einmal über Gentechnik, sondern über die Werte und die Moral, die für sie damit verknüpft sind. Sobald sich aber irgendeine Diskussion um die Moral dreht, sind die anderen nicht nur anderer Meinung – sondern sie sind gefühlt auch gleich schlechte Menschen.
»Eigentlich wollen beide Seiten gesunde, umweltschonende Lebensmittel, von denen auch ärmere Menschen in Entwicklungsländern profitieren. Sie können sich nur nicht einigen, ob Gentechnik dafür das geeignete Mittel ist.« – Gabi Waldhof
Waldhof hat für ihre Arbeit Aussagen von beiden Seiten in über 4.000 Textstellen ausgewertet. Die darin angeführten Argumente hat sie auf sechs »moralische Werte« geprüft. »So spielt aufseiten der Kritiker:innen eine große Rolle, dass der Mensch nicht mit Agrogentechnik in die Natur eingreifen soll: Gentechnik gefährde die Reinheit und Unversehrtheit der Natur.« Befürworter:innen halten dagegen: Gentechnik stelle kein Risiko für die Natur dar, sondern könne ihr sogar nutzen. Besonders häufig appellieren beide Seiten an den Wert »Schutz«. Auf der Kritikerseite etwa Eltern, die ihre Kinder vor gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln schützen möchten. Die Befürworter:innen behaupten oft genau gegenteilig, dass sich aus gentechnisch optimierten Pflanzen gesündere Nahrungsmittel machen lassen. »Eigentlich wollen beide Seiten gesunde, umweltschonende Lebensmittel, von denen auch ärmere Menschen in Entwicklungsländern profitieren«, sagt Waldhof. Sie könnten sich nur nicht einigen, ob Gentechnik dafür das geeignete Mittel ist.
Ein Problem mit moralischen Überzeugungen ist, dass sie oft eng verknüpft sind mit einer Gruppenidentität. Das lässt sich auch in manchen religiösen Gemeinschaften beobachten, die beispielsweise strenge Regeln zur Sexualmoral haben. Diese Gruppenidentität wird um jeden Preis verteidigt, auch gegen Fakten und vernünftige Argumente.
Gabi Waldhof sagt, sie habe auf beiden Seiten einen »moralischen Absolutismus« nachgewiesen. »Damit ist eine Einstellung gemeint, die für sich selbst einen so hohen Wert hat, dass die Konsequenzen egal sind.« Moralische Absolutist:innen finden eine bestimmte Handlung also immer entweder richtig oder falsch – ganz egal, was sie auf lange Sicht bedeutet. Und sie wollen auf keinen Fall von dieser für das Selbstverständnis so wichtigen Einstellung lassen. Im Gegenteil: Sie sammeln alle Argumente, die irgendwie die eigene Position stärken. »Um in der Diskussion weiterzukommen, müssen beide Seiten diesen Absolutismus aufgeben. Beide müssten sich auf ihre eigentlichen Ziele fokussieren – und anerkennen: Gentechnik ist kein Ziel an sich, sondern ein mögliches Mittel für bestimmte Zwecke.«
Dass beide Seiten irgendwann zusammenkommen können, dafür sieht Gabi Waldhof schon Chancen. »Dafür gibt es aber eine Grundvoraussetzung: der Wille, miteinander Lösungen zu finden.«
Erschienen am 21. Oktober 2024
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