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Wem gehört der See?

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Emma Passig

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Lenni Baier

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Dietmar Straile

»Es ist komplett unerwartet, was am Bodensee gerade abläuft«

Nicht nur Menschen lieben den Bodensee, auch invasive Arten fühlen sich dort wohl und verdrängen die heimischen. Der Ökologe Piet Spaak erklärt im Interview, wie Eindringlinge wie Quaggamuscheln und Höckerflohkrebse den Bodensee verändern.

Piet Spaak kennt seine Seen – schließlich forscht er schon seit über 25 Jahren an ihnen. Den Bodensee kennt er besonders gut. Er studiert dort vor allem eine prominente Bewohnerin: die Quaggamuschel. Spaak will verstehen, wie sich diese invasive Art auf den See auswirkt. Im Rahmen des Forschungsprojektes SeeWandel-Klima versucht er, einen Blick in die Zukunft zu werfen: Wie wird sich der Bodensee verändern – durch Quagga, aber auch durch Klimawandel und andere invasive Arten?

Herr Spaak, mit welchem Gefühl blicken Sie aktuell auf den Bodensee?

Faszination, das ist vielleicht ein gutes Wort. Natürlich ist das keine positive Faszination, das muss ich gleich dazu sagen. Es ist erstaunlich, es ist komplett unerwartet, was dort gerade abläuft. Auch zu sehen, wie mächtig die Natur ist, was alles passieren kann.

Der Bodensee ist beliebt: Nicht nur bei uns Menschen, sondern auch bei invasiven Arten. Im Bodensee gibt es eine ganze Menge davon. Welche sind das denn?

In den Sechzigerjahren ist die Zebramuschel, wahrscheinlich über Ballastwasser von Schiffen (Ballastwasser wird von Schiffen bei Fahrten ohne Ladung aufgenommen, um sie ausreichend stabil zu halten, Anm. d. Red.), in den See gekommen. Sie hat sich rasch über den ganzen Bodensee verbreitet und eine weitere Nahrungsquelle für Zugvögel gebracht. Das war zwar erstmal positiv, allerdings hat sie auch viele heimische Arten im Litoral, also der Uferregion, verdrängt. Seit Anfang der 1950er-Jahre ist auch der Stichling im Bodensee, hat sich aber ab 2012 sehr stark verbreitet. 2019 hat er noch 90 Prozent des Fischbestands im See ausgemacht, doch im vergangenen Jahr konnte man ihn kaum noch finden. Das war eine Überraschung. Die Frage ist jetzt, ob er wirklich weg ist oder wiederkommt. Andere invasive Arten sind zum Beispiel Krebse wie der Galizische Sumpfkrebs oder der Höckerflohkrebs. Insbesondere letzterer hat viele heimische Arten aus dem Bodensee vertrieben. Verglichen mit dem, wie die Quaggamuschel den See beeinflusst, ist das aber alles ein Kinderspiel.

Was macht sie so besonders?

Sie ist sehr widerstandfähig. Quaggamuschel und Zebramuschel sind verwandte Arten und stammen beide aus dem Schwarzmeerraum. Doch während die Zebramuschel sich nur bis 30 Meter Tiefe im See ausgebreitet hat, lebt Quagga selbst am Grund des Bodensees, in bis zu 250 Meter Tiefe. Sie kann sowohl auf hartem als auch weichem Untergrund leben und sich das ganze Jahr über fortpflanzen. Es gab Versuche mit Quaggamuscheln, die nach einem Jahr im Kühlschrank noch gelebt haben.

Die Quaggamuschel ist eine der prominentesten invasiven Arten. Ab wann gilt eine Art denn als invasiv?

Dafür müssen immer zwei Sachen zusammenkommen: Das ist zum einen das gute Ausbreitungsvermögen einer Art. Und zum anderen auch, dass sie im fremden Lebensraum Probleme verursacht oder andere Arten verdrängt. Es gibt auch Arten, die in den See kommen und keine großen Probleme verursachen. Die nennt man dann nur »gebietsfremd« und nicht »invasiv«.

Irgendwie müssen diese Arten ja überhaupt erst einmal in den Bodensee gelangen. Wie passiert das?

Jeder Tropfen Wasser, den man von einem in ein anderes Gewässer verschleppt, ist ein potenzielles Problem. Die Larven von Quagga zum Beispiel sind mikroskopisch klein. Wir sprechen hier von 100 Mikrometern, ungefähr der Durchmesser eines menschlichen Haares. So eine kleine Larve ist fast schon eine kleine Muschel. Sie wächst noch ein bisschen und setzt sich dann irgendwo fest, zum Beispiel an Booten. Wenn man sein Boot nicht säubert und es vom Bodensee in einen anderen See bringt, nimmt man Quagga als blinden Passagier mit und kann unwissend einen noch nicht befallenen See kontaminieren. Es kann aber auch passieren, dass Einzugsgebiete miteinander verbunden werden, wie das beim Rhein-Main-Donau-Kanal der Fall war. Die Organismen nutzen dann diese Korridore. Oder die Arten werden ausgesetzt. So war es wahrscheinlich beim Stichling, denn der war früher ein beliebter Aquarienfisch.

Und was machen die neuen Arten dann mit dem See?

Quagga zum Beispiel ist ein sehr effektiver Filtrierer, die Muschel kann in kurzer Zeit viele Nährstoffe aus dem Wasser filtern. Darum mangelt es anderen Organismen an Nahrung, den Wasserflöhen, die von Felchen gefressen werden, zum Beispiel. Das bedeutet weniger Artenvielfalt. Quagga verändert damit aber auch Ökosystemfunktionen: Die Nährstoffknappheit macht das Wasser viel klarer. Licht gelangt daher in tiefere Wasserschichten und ermöglicht es Pflanzen, tiefer zu wachsen. Benthification nennen wir das. Es gibt auch Auswirkungen ökonomischer Art: Quagga zum Beispiel setzt sich oft in die Rohre von Wasserwerken und verstopft diese. Die Entfernung ist sehr aufwendig und teuer. Ein Beispiel aus den USA zeigt die enormen Mengen, die Quagga in einem See erreichen kann: Für den Lake Michigan hat man ausgerechnet, dass 95 bis 99 Prozent von allem, was im Lake Michigan lebt, Quaggamuscheln sind. Zwar hat diese Rechnung noch niemand für den Bodensee gemacht. Allerdings sind auch dort schon gigantische Mengen an Muscheln zu finden.

Als die Muschel 2015 in den Bodensee kam, musste die ganze Quaggaforschung ja erstmal auf die Beine gestellt werden. Wie lief das ab?

Ich habe damals Kontakt aufgenommen mit Forschenden aus Nordamerika, denn die kennen Quagga schon seit 30 Jahren. Mir war es von Anfang an wichtig, dass wir das Monitoring genauso machen wie Nordamerika, sonst sind die Daten nicht vergleichbar. Deshalb habe ich Material von dort kommen lassen: einen Sedimentgreifer und das benthic imaging system (BIS), mit dem wir Videoaufnahmen vom Seegrund machen können. Das sind zwei GoPro-Kameras, die zusammen mit Taucherlampen auf einem Aluminiumrahmen montiert sind. Beide Geräte können von einem Schiff aus an Stahlkabeln in den See hinuntergelassen werden. Mit den Videos, die da BIS aufnimmt, können wir die Muscheln zählen.

Sie verbringen von Berufs wegen ja doch sehr viel Zeit mit der Quaggamuschel. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu ihr beschreiben? Haben Sie auch ein bisschen Faszination für Quagga übrig oder überwiegt die Sorge?

Ja… ich bin ein Wissenschaftler. Es geht darum zu verstehen, was passiert, wie es passiert und warum es passiert. Als Bürger überwiegt meine Sorge. Mir ist es sehr wichtig, dass wir alles dransetzen, die noch quaggafreien Seen in der Schweiz und in Deutschland quaggafrei zu halten. Andererseits: Was heißt Faszination? Es ist einfach sehr interessant zu sehen, was jetzt passieren wird.

In einem Vortrag meinten Sie mal: »Wenn man die Quaggamuschel in einem See hat, wird man sie nicht mehr los.«

Ja, so ist es. Man wird die Quaggamuscheln nicht mehr los. In großen Gewässern ist das wirklich unmöglich.

Und nicht nur das: Sie wird sich vermutlich weiter ausbreiten.

Ich befürchte, dass der Bodensee die Quelle sein wird für die Quaggabesiedlung anderer deutscher und österreichischer Seen. Die Behörden rund um den See sollten sich daher zusammenschließen und gemeinsam dafür sorgen, dass kein ungereinigtes Boot vom Bodensee irgendwo anders hin transportiert wird. Aber wenn das nicht alle Länder am Bodensee gemeinsam machen, klappt es nicht. Das Problem ist: Die Behörden hier vor Ort sagen, wir haben nichts davon. Wir haben ja schon Quagga. Aber sie haben eine riesige Verantwortung.

Sie stehen aber sicher in engem Kontakt mit den Behörden?

Ja, mich erreichen viele Mails und Anrufe: Wie geht das weiter und was müssen wir machen? Was können wir tun, um die Larven zu stoppen? Wie schnell muss Wasser in einem Rohr fließen, damit sich die Larven nicht anheften können? Überleben Quaggamuscheln Kläranlagen? Das sind nur die Fragen, die heute reingekommen sind. Aber wir stehen auch für das Monitoring der invasiven Arten in engem Kontakt. Die Kooperation zwischen den Behörden und den wissenschaftlichen Instituten ist gut und sehr wichtig.

Glauben Sie, dass die Forschung in – sagen wir mal – 30 Jahren, eine Lösung für das Quaggaproblem gefunden hat?

Es gibt Forschungsansätze, die zumindest theoretisch vielversprechend sind. Quagga pflanzt sich geschlechtlich fort. Man kann versuchen, in die Geschlechterverteilung von Quagga einzugreifen. Ich erwarte, dass es dazu in 30 Jahren, vielleicht auch viel schneller, Lösungsansätze geben wird. Allerdings wird es dann nochmal Zeit kosten, diese Ansätze aus dem Labor herauszuholen und in der Natur zu testen.

Vielleicht haben wir uns in 30 Jahren aber auch mit Quagga eingelebt und uns aneinander gewöhnt. Dann sind alle Wasserwerke so gebaut, dass Quagga keine Schäden mehr anrichten kann. Ich denke, mit Quagga kann man leben, aber sie verursacht hohe Kosten, finanziell wie ökologisch. Hoffentlich werden die Leute an anderen Seen vom Bodensee lernen.

Erschienen am 8. Mai 2025

Quellennachweise

  • Forschungsprojekt SeeWandel-Klima. Modellierung der Folgen von Klimawandel und Neobiota für den Bodensee (Juli 2023 – Dezember 2027): https://seewandel-klima.org/

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