Der Biochemiker Thomas Südhof ging 1983 zum ersten Mal in die USA, um als Postdoktorand zu arbeiten. Heute ist er Nobelpreisträger, Professor an der Stanford University – und zunehmend irritiert von der amerikanischen Gesellschaft. Ein Interview.
Sie haben einen Wahlaufruf von 81 Nobelpreisträgern für Joe Biden unterschrieben. Sollte sich die Wissenschaft in die Politik einmischen?
Als Wissenschaftler müssen wir immer sehr darauf achten, dass wir nicht unsere persönliche Meinung mit unseren wissenschaftlichen Schlussfolgerungen vermischen. Das ist wichtig. Darum äußere ich mich meistens nicht zu politischen Themen. In diesem Jahr habe ich Biden unterstützt, so wie vor vier Jahren Clinton, weil ich eine Gefahr sehe, dass die Institutionen der Vereinigten Staaten zerstört werden. Und zwar durch Politiker, die darauf aus sind, sie zu zerstören. Das sehe ich als eine Notlage an.
War vor vier Jahren schon absehbar, was Trump tun würde?
Ich glaube, dass wir alle – ich sicherlich – Trump unterschätzt haben. Wir haben das Ausmaß der Gefahr nicht erkannt, die von einem Präsidenten ausgeht, der de facto kein Interesse an demokratischen Institutionen hat und dem es nur um seine eigene Person geht. Aber schon damals war klar, dass Trump eine Person ist, die wissenschaftliche Wahrheiten schlicht verneint. Und damit offensichtlich sogar durchkommt. Das halte ich für eine innere Haltung, die man an einem Präsidenten nicht akzeptieren kann.
Was hat sich für die Wissenschaft verändert in vier Jahren?
Es hat sich enorm viel verändert. Weniger in der Geldversorgung, die sehr wichtig ist, sondern mehr in der Atmosphäre und der Art, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interagieren. In den USA besteht zurzeit eine generelle Furcht vor ausländischem Einfluss. China spielt dabei eine große Rolle, aber es geht nicht nur um China. Wenn ich von der Regierung Geld erhalte, was praktisch bei jeder Wissenschaftlerin und jedem Wissenschaftler der Fall ist, darf ich nicht mit ausländischen Forschern zusammenarbeiten, ohne vorher eine offizielle Erlaubnis der Zentralregierung zu kriegen. Das gilt für alle Länder der Welt, auch für Deutschland. Bis jetzt darf ich noch Vorträge halten und mit Ausländern reden. Aber es kann so kommen, dass wir als US-Bürger und US-Wissenschaftler nicht mal mehr mit Ausländern reden dürfen. Diese Angst, dass man durch den wissenschaftlichen Austausch mit ausländischen Stellen Geheimnisse verrät oder sich beeinflussen lässt, ist enorm. Das hat den internationalen Austausch extrem schwierig gemacht. Dabei sind die meisten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA Immigranten. Diese Quelle von Talent ist inzwischen sehr gefährdet.
Gibt es unter Ihren Kolleginnen und Kollegen Forscher, die die Trump-Regierung unterstützen?
Die gibt es nicht in meinem direkten Umfeld, aber es gibt sie. Das sind Leute, die ernsthaft glauben, dass wir in einer katastrophalen Zeit leben, in der die USA angegriffen werden und sich verteidigen müssen, selbst wenn dabei demokratische Institutionen zerstört werden.
Sie haben einmal gesagt, dass Jimmy Carter Ihr Lieblingspräsident war.
Ich habe Jimmy Carter bewundert, weil er ernsthaft versucht hat, dieses Land in einer positiven Weise zu verändern. Er hat sehr viel von dem angestoßen, wofür Reagan später die Anerkennung bekommen hat, den ganzen wirtschaftlichen Umschwung. Ich weiß nicht, ob Jimmy Carter ein schlechter oder ein guter Präsident war, aber ich glaube, er war ein ehrlicher Präsident, der grundinteger war, was man ja von anderen Präsidenten wirklich nicht sagen kann.
Was halten Sie von Joe Biden?
Ich glaube, Biden ist mit Sicherheit ein echter Demokrat und schätzt die demokratischen Institutionen dieses Landes. Meine große Befürchtung ist, dass Biden durch seine Jahrzehnte in der US-Politik nicht den Abstand hat zu sehen, was dieses Land wirklich braucht. Wir brauchen jemanden, der Reformen durchführt und diese Reformen auch in der Öffentlichkeit vermittelt. Wir brauchen im Grunde jemanden, der reden kann wie Obama, aber die Dinge dann auch durchsetzt.
Sie sind aufgewachsen in einer Zeit, in der die Gesellschaft an den wissenschaftlichen Fortschritt geglaubt hat. Jetzt erleben wir, wie sich anti-wissenschaftliches Ressentiment breit macht. Woran liegt das?
Ich glaube, dass das Internet mit all seinen Folgen insgesamt eher negativ als positiv ist. Das Problem ist, dass wir als Bürger nicht mehr wissen, was wahr ist, was »Wissenschaft« und was schlicht erlogen ist. Ich glaube, dass wir in den westlichen Ländern Gefahr laufen, unsere Werte zu verlieren. Ich kann nur mit Sorge zusehen, dass von den jungen Leuten fast alle, die wirklich intelligent, engagiert, ehrgeizig und interessiert sind, nichts mit Kultur und Wissenschaft zu tun haben wollen. Die wollen alle dort hingehen, wo man Einfluss hat auf die Welt, wo man Geld verdienen kann. Die werden alle entweder Rechtsanwälte oder Unternehmerinnen oder gehen an die Börse. Das ist auch ein Grund, weswegen es in der Wissenschaft in Amerika immer weniger Amerikaner gibt, denn alle Amerikaner, die wirklich schlau sind, gehen nicht in die Wissenschaft. Und ich fürchte, das gleiche passiert in Deutschland. Auch Deutschland ist zunehmend auf Immigranten angewiesen, nur, dass Deutschland diese Immigranten in der Vergangenheit nicht so gut integrieren konnte. Ich hoffe natürlich, dass sich das ändert. Aber trotz allem darf man nicht vergessen, dass Wissenschaftler in den Vereinigten Staaten immer noch zu den Berufen zählt, die das höchste Ansehen genießen.
Erschienen am 03. November 2020
Inhalt
I don`t think science knows
Was wir von Donald Trump über das komplexe Verhältnis von Wissenschaft und Politik lernen konnten
Im Land der unbegrenzten Wahrheiten
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