Thema
Graue Tage

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Manuel Stark

Illustration
Leonard Baier

 

 

 

 

 

 

 

Wann Spaziergänge uns helfen, durchzuschlafen

Der menschliche Körper besitzt ein Uhrwerk, das auf Licht angewiesen ist – vor allem auf natürliches. Wer sich auch an trüben Tagen aufrafft, rauszugehen, stellt damit seine innere Uhr und schläft nachts besser.

Das Kissen ist weich, die Decke auch, der vergangene Tag drückt auf die Augen und die Glieder, da ist keine Kraft mehr, nur noch Erschöpfung. Und trotzdem. Seitenlage links, Seitenlage rechts, auf dem Rücken liegen, dann auf dem Bauch, aber egal wie, der Schlaf versteckt sich und will einfach nicht kommen.

Knapp die Hälfte der Deutschen berichten von Schlafproblemen. Das kann zu weiteren Problemen führen, etwa zu Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen oder Depression. Darauf reagieren Ratgeber und auch das Silicon Valley: Schlafmodus für das Handy, Blaulichtfilter, Tipps. Etwa: eine, zwei oder gar vier Stunden vor der Nachtruhe nicht mehr auf Handy, Tablet oder Laptop schauen. Und im ersten Moment ergibt das ja tatsächlich Sinn: Wir Menschen sind Augentiere. Licht beeinflusst unsere innere Uhr, die mithilfe des Botenstoffs Melatonin unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuert.

Licht lockt nicht nur Insekten an, sondern wirkt auch auf Menschen wie ein Aufputschmittel. Drei verschiedene Rezeptortypen sind im menschlichen Auge für das Sehen zuständig: Stäbchen, Zapfen und fotosensitive Ganglienzellen. Stäbchen und Zapfen ermöglichen die visuelle Wahrnehmung, also auch das Sehen von Farben, Mustern und Formen. Die lichtempfindlichen Ganglienzellen hingegen sind direkt mit dem Gehirn verknüpft und senden ihm Informationen über die gesamte Lichtumgebung.

Die Rezeptoren übermitteln Informationen über Färbung oder Intensität des Lichts an unser Hirn. Viel, und vor allem blaues Licht, entspricht dabei der Anweisung: Wach werden! Aufstehen! Funktionieren! Wer besonders weit in die Nacht hinein vor blauem Bildschirmlicht sitzt, schläft also schlechter.

Für guten Schlaf brauchen wir Licht

Wenn sich nun aber Ratgeber und Mental Health-Tipps der Macht des blauen Lichts beugen, erzählen sie nur die halbe Wahrheit. Denn: Ja, das Licht von Computern, Tablets oder Smartphones kann sich auf unsere innere Uhr auswirken. Aber dieses Kunstlicht ist vergleichsweise schwach. Eigentlich zu schwach, um zu erklären, warum viele Menschen so deutliche Probleme mit ihrem Wach- und Schlafrhythmus erleben. In typischer Schreibtischhaltung vor einem modernen Standardmonitor ist unser Gesicht einer Beleuchtungsstärke von etwa 800 Lux ausgesetzt. Zum Vergleich: Selbst an einem trüben Tag mit grauem Himmel ist dieser Wert sehr viel höher – etwa 6.000 Lux.

Der moderne Mensch aber arbeitet in Fabrikhallen und Büros und hält sich tendenziell nur wenig draußen auf. Bei trübem Februarwetter ist wohl auch die Motivation für einen ausgedehnten Pausenspaziergang eher gering. Wir verbringen den Großteil unseres Tages also drinnen, wo selbst gut ausgeleuchtete Innenräume nur selten eine Beleuchtungsstärke von 500 Lux überschreiten.

Genau hier liegt das Problem: Unserem Körper fehlt im Alltag der deutliche Kontrast zwischen der Helligkeit des Tages und der Dunkelheit der Nacht. Wenn wir die Abendstunden dann vor einer Lichtquelle verbringen, dimmen wir den ohnehin schon geringen Unterschied zwischen Tag und Nacht noch weiter.

Nun mag man einwenden: Der Arbeitsplatz im Büro oder in einer Fabrikhalle ist nun mal vorgegeben. Das stimmt. Und um unseren Schlaf signifikant zu verbessern, ist es auch gar nicht notwendig, den ganzen Tag im Freien zu verbringen.

Morgens und abends: ab nach draußen

Jede einzelne unserer Körperzellen ist Teil unserer inneren Uhr: Zusätzlich zu ihren sonstigen Funktionen bauen Zellen ein Protein auf, das dazu dient, unseren Körperrhythmus einzustellen. Hat die Menge dieses Proteins einen Schwellenwert erreicht, kehrt die Zelle den Prozess um und baut das Protein wieder ab. Ein voller Durchlauf dieser körpereigenen Sanduhren dauert etwa 24 Stunden.

Wie jede Uhr geraten auch unsere Zellenuhren zuweilen aus dem Takt, mal laufen sie zu schnell, mal hinken sie der Zeit hinterher. Diese zentrale Schaltuhr unseres Körpers gibt alle 24 Stunden einen elektrischen Impuls von sich, um alle Zellenuhren auf einen gemeinsamen Takt einzustimmen. Schon geringe Lichtsignale reichen aus, damit unsere Hauptuhr unsere Zell-Chronometer justiert. Dafür nutzt sie Botenstoffe wie das sogenannte Schlafhormon Melatonin.

Zwei Tageszeiten sind besonders wichtig für einen Ausflug nach draußen: der frühe Vormittag und der Abend, bestenfalls, wenn das nachlassende Licht bereits den Himmel orange und violett färbt. Denn unser Körper stellt die innere Uhr genau zwei Mal am Tag: morgens und abends. Auch an Tagen, an denen Wolken den Himmel verdecken und die Welt scheinbar gleichbleibend grautrüb bleibt, registrieren unsere Sehnerven sehr wohl einen Unterschied in Lichtfarbe und -intensität.

Unsere Biologie, könnte man sagen, ist ein wenig konservativ: Sie richtet ihre Arbeitsprozesse auch im 21. Jahrhundert noch weitgehend nach dem Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang. Mit der Veränderung von Wachzeiten durch elektrisches Licht am Abend und verschlossenen Jalousien am Morgen kann sie nur schwer umgehen; durch diese technischen Hilfsmittel schlafen wir eher schlechter.

Ein Mittagsschläfchen ist produktiv

Nicht nur das Licht von Morgen und Abend zu erleben, sondern auch den Übergang dazwischen, hilft der inneren Uhr bei der Feinjustierung. Und wer sich bei grauem Wetter nicht zu einem Nachmittagsspaziergang aufrafft, könnte sich zumindest kurz hinlegen. Ein Mittagsschläfchen steigert unsere Produktivität und die Qualität unserer Arbeit. Wer sich einredet, dafür zu beschäftigt zu sein, belügt sich selbst. Forschungen, unter anderem der US-amerikanischen Weltraumbehörde NASA, zeigen: Ab zehn Minuten Schlummer am Nachmittag ist man während der nächsten Stunden aufmerksamer, leistungsfähiger und besser gelaunt als ohne Auszeit.

Bei schönem Wetter wirkt der perfekte Tagesrhythmus gut machbar: Mit einem Spaziergang durchs Morgenlicht starten wir in den Tag, später dann belohnen wir uns mit einem Mittagsschläfchen, bevor wir das Ende des Tages im Abendrot feiern. Und bei schlechtem Wetter hilft vielleicht der Gedanke an eine verbesserte Nachtruhe, uns zu einem Spaziergang aufzuraffen.

Dann ist das Kissen abends weich, die Decke auch, der vergangene Tag drückt auf die Augen und die Glieder, da ist keine Kraft mehr, nur noch Erschöpfung. Und endlich ist auch unsere innere Uhr darauf eingestimmt.

Und wir schlummern ein.

Erschienen am 15. Februar 2024

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