Thema
Graue Tage

Interview
Hannah Schultheiß

Illustration
Leonard Baier

Özden Terli, geboren 1971 in Köln, machte zunächst eine Ausbildung zum Fernmeldeanlagen-Elektroniker. Später holte er sein Abitur nach und studierte an der Freien Universität in Berlin Meteorologie. Seit 2013 ist er Wetter-Moderator im ZDF. 2022 belegte er den dritten Platz in der Kategorie Wissenschaft der Journalistinnen und Journalisten des Jahres 2022, die das Medium Magazin jährlich kürt.

Was ist graues Wetter, Herr Terli?

Özden Terli präsentiert regelmäßig Wetternachrichten im ZDF. Im Gespräch erklärt der Meteorologe, wie graues Wetter entsteht, wie sich unser Wetter verändert und wieso es in Klimafragen keinen neutralen Journalismus gibt. Ein Interview von Hannah Schultheiß.

Science Notes: Herr Terli, wenn ich heute in den Himmel schaue, sehe ich nur eine graue Wolken-Suppe. Das finde ich schon deprimierend. Geht Ihnen das anders?

Özden Terli: Hochnebel finde ich persönlich auch bedrückend, rein vom Gefühl her. Ich schaue in den Himmel und es ist einfach nur grau, es ist keine Struktur in den Wolken erkennbar. Das ist schon rein ästhetisch nicht schön und wenn es auch noch kalt ist, dann ist das doch sehr ungemütlich.

Wie entsteht graues Wetter?

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es kann sich um eine sogenannte Stratocumulusschicht handeln, also eine dicke Schicht grauer Wolken, deren Untergrenze zwischen 500 und 2.000 Metern variiert. Die kann auch tiefer sein, je nach Wetterlage. Stratocumuluswolken haben häufig eine graue Unterseite, da die Wassertröpfchen in der Wolke viel Licht absorbieren. Diese Wolken bedecken dann den Himmel in Form von grauen, manchmal auch weißen Flecken, Feldern oder Schichten, die uns vom Sonnenlicht abschotten. Aber zurück zum Hochnebel: Der entsteht zum Beispiel durch eine sogenannte Inversionswetterlage. Normalerweise nimmt in der Troposphäre die Temperatur in der Luft ab, je weiter sie vom Erdboden entfernt ist. Bei der Inversion wird die Luft weiter oben aber wärmer. Das passiert, wenn über der Kaltluft am Boden ein Hoch liegt. Die Luft sinkt im Hoch ab und erwärmt sich dabei, gerät also unter hohen Druck, aber nur bis zur kalten Luft darunter. Das ist mit Inversion gemeint. Das ist besonders oft in Tälern der Fall: Wir stehen unten im grauen Tal, über uns die dicke Nebelschicht. In dieser Schicht verschwinden dann auch die Berge, die Gipfel können wir nicht sehen. Fahren wir auf den Berg, über die Hochnebelsuppe, scheint dort oben die Sonne. Wenn man allerdings keine Berge um sich herum hat, sieht man noch weniger Struktur, dann scheint der Himmel endlos grau. Das ist dann ziemlich langweilig, auch für mich als Meteorologen.

Gibt es also schönes und schlechtes Wetter?

»Schönes Wetter« sage ich zwar auch ab und zu, aber das gehört nicht in den Wetterbericht. Denn, wenn ich sage: »Morgen wird das Wetter schön, 35 Grad und Sonnenschein«, dann ist doch die Frage: Sind 35 Grad tatsächlich für alle schön? Vor allem wenn es wochenlang nicht regnet, heiß und staubig ist – eventuell sogar eine historische Dürre herrscht. Dann klagen die Landwirte darüber, dass das Wasser fehlt, und alles ist verdorrt und braun. Für wen ist dieses Wetter dann noch schön? Für die kleinen Kinder, die wir vor der Hitze schützen müssen? Für die älteren Leute, die kaum noch auf die Straße können, weil sie sonst dehydrieren? Hitze wird stark unterschätzt, es wird in Deutschland immer wärmer und es sind eher Anpassungsmaßnahmen nötig, um Städte resistenter gegen Hitze zu machen. Wenn man genauer hinhört, reden wissenschaftlich ausgebildete Meteorologen kaum über schönes Wetter. Schlechtes Wetter oder gefährliches Wetter, was dann unter Extremwetter fallen würde, darauf können wir uns vielleicht noch einigen. Das wäre, wenn dadurch Menschen oder die Umwelt zu Schaden kommen.

Haben Sie persönlich ein Lieblingswetter?

Gewitter finde ich sehr spannend. Da passiert so viel, die physikalischen Vorgänge sind einfach gewaltig: allein schon, wie viel Energie umgesetzt wird, wenn sich so ein Gewitter entwickelt. Und was in so einer Gewitterwolke alles passiert, das ist schon echt der Hammer. Besonders im Sommer, wenn die aufgeheizte Luft gezwungen wird aufzusteigen, also zum Beispiel an einer Kaltfront, dann kondensieren die Wassertröpfchen an mikroskopischen Teilchen in der Luft und dabei wird Wärme frei. Diese Wärme sorgt für einen weiteren rasanten Aufstieg der Luft und so wächst die Gewitterwolke in den Himmel. Je wärmer und feuchter die Luft, desto heftiger diese Vorgänge. Besonders im Rahmen der globalen Erhitzung weltweit ist das einer der physikalischen Vorgänge, die sich verstärken und zu Extremwettern führen. Oft sind die Gewitter so stark, dass man sie als Unwetter bezeichnen muss. Ansonsten mag ich es auch, wenn nach einer langen grauen Phase, wie in den vergangenen Wochen, wieder die Sonne scheint. Dann stelle ich mich gerne in die Sonne, aber bitte nicht bei über 40 Grad – denn diese Temperatur hat eigentlich in unseren Breiten nichts verloren.

Sonnenschein ist zwar ein Wetterliebling, Schnee aber eigentlich auch. Außerdem hellt er die grauen Wintertage auf, oder?

Wenn es mal schneit, dann schon. Aber seien wir ehrlich: Diese Idealvorstellung, bei Sonne im verschneiten Wald spazieren zu gehen, bei klarer Luft und klirrender Kälte, die ist doch für die meisten selten. Viel realistischer ist grau-brauner Schneematsch in den Städten und Schneeberge, die ganz schwarz von Autoabgasen sind. Das sieht dann nicht mehr so schön aus.

Gerade im Januar und Februar erscheinen uns die Tage besonders grau, aber stimmt diese subjektive Wahrnehmung überhaupt?

Beim Januar ist es mittlerweile so, dass er viel zu mild ausfällt. Das geht meist mit vielen Wolken und Schmuddelwetter einher. Dann passt es. Aber der Februar ist eher wieder heller, in der Regel ist es der letzte Hochwintermonat mit Hochdrucklagen. Das bedeutet zwar nicht unbedingt Sonnenschein – wir erinnern uns an die Inversion – aber die Tage werden schon spürbar länger. In diesem Winter ist ja nun der Januar deutlich sonniger geworden. Landet auf Platz fünf, was schon sehr weit oben im Ranking der sonnigsten Januarmonate jemals ist.

Haben wir das in Deutschland eigentlich besonders oft, graues Wetter?

So pauschal lässt sich das nicht sagen, aber es wird ja sonniger. Die Sonnenstunden nehmen bei uns seit Jahren kontinuierlich zu. Das hat zwar verschiedene Ursachen, aber kommt unter anderem durch die Veränderungen im Wettersystem: dem Klimawandel.

Heißt das, in Zukunft wird graues Wetter hierzulande durch den Klimawandel seltener?

So pauschal kann man das für das »graue Wetter« nicht sagen. Aber es ist definitiv so, dass wir in den vergangenen Monaten und Jahren immer mehr Sonnenstunden hatten. Es gibt natürlich auch Ausnahmen – zum Beispiel der August 2023. Das war ein vergleichsweise trüber Monat, aber trotzdem zu warm im Vergleich zu der Referenzperiode 1961-1990.

2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Können Sie sich über warmes Wetter überhaupt noch freuen?

Früher habe ich mich über 30 Grad gefreut. Jetzt freue ich mich, wenn es nicht mehr werden als 30 Grad. Teilweise ist diese Hitze wirklich belastend. Wenn die Strömung aus dem Südwesten kommt, also Wind und Luftmassen aus dieser Richtung zu uns wehen, haben wir hierzulande schnell mal 35 Grad und mehr. Dazu kommen immer häufigere und stärkere Unwetter. Die besten Jahreszeiten, wie ich finde, sind Frühling und Herbst. Aber es gab auch schon Jahre, in denen die 30-Grad-Marke im April schon geknackt wurde. Seit 2018 ist es regelmäßig zu trocken und zu warm. Die Veränderungen, die in so kurzer Zeit so extrem werden, sind einfach beunruhigend.

Was passiert, wenn solche Extremwetterszenarien in Zukunft zunehmen?

Die Temperaturen auf den Kontinenten steigen, aber auch im Meer. Die Ozeane sind so warm wie noch nie, sogar jetzt noch, im Winter. Seit März des vergangenen Jahres beobachten wir diese ungewöhnlich hohen Temperaturen und niemand weiß genau, warum. Ozeane und Atmosphäre hängen zusammen, weshalb so viel Feuchtigkeit in die Atmosphäre kommt. Das kann enorme Regenmengen und Überschwemmungen bedeuten, aber auch Dürren und heftige Hurrikans. Der Zusammenhang ist einfach: Je wärmer die Oberflächentemperatur, desto mehr Feuchtigkeit verdunstet und wird von der Luft aufgenommen. Ist die Luft wärmer als normal, ist es die Oberflächentemperatur auch. Das bedeutet, dass bei der Wolkenbildung, also beim Phasenübergang ins Flüssige, mehr Wärme freigesetzt wird. Das sorgt für eine Beschleunigung beim Aufsteigen der Luft und treibt die Wolke heftiger an. Das Gewitter, der Hurrikan, entwickelt sich heftiger und kann so extrem werden.

In Ihren Wetterberichten spielen Sie immer mal wieder auf den Klimawandel an, oder sie thematisieren ihn ganz direkt. Welche Reaktionen bekommen Sie darauf?

Ich bekomme leider sehr viel Gegenwind. Das reicht von Shitstorms auf Twitter (heute X, Anm. d. Red.) über Beschwerden bis hin zu Schmähschriften in anderen Medien. In den vergangenen Jahren brach fast alle zwei Wochen eine neue Welle Hass über mich herein. Mittlerweile habe ich die Kommentare auf Twitter gesperrt. Aber damit nicht genug. Ich verteidige mich auch öffentlich und drehe die Diskussion um. Nicht Journalisten, Wissenschaftler und Meteorologen sind das Problem, sondern die anderen, die mit irgendeiner meist persönlichen Agenda versuchen, den Diskurs zu verwässern. Ablenkungsmanöver und wirklich dümmliche Texte, in denen einem vorgegaukelt wird, der Kommentator verstünde nicht, was Sache ist. Damit wird versucht, die Leser, Zuhörer und Zuschauer für dumm zu verkaufen. Das funktioniert aber nicht auf Dauer, ohne dass diese Personen sich selbst demontieren. Die Physik gilt für alle. Auch für diese Menschen.

Immer wieder kommt der Vorwurf, sie seien mehr Aktivist als Journalist.

Ich denke, den neutralen Journalisten, den gibt es in Klimafragen nicht. Das da draußen ist eine systematische Veränderung unserer Lebensgrundlage. Niemand kann sich dem entziehen und niemand kann das ignorieren. Und ich rede hier von Journalisten. Journalismus ist kein Selbstzweck. Er dient der Gesellschaft und so muss er selbstverständlich auch die wissenschaftlichen Fakten zur globalen Erhitzung korrekt darstellen. Ich hoffe, daran gibt es keinen Zweifel. Der Vorwurf des Aktivismus ist der Versuch, die Berichterstattung zu unterbinden und das wird mit Sicherheit nicht funktionieren.

Dabei wird angehenden Journalist:innen ja häufig das Zitat von Hanns Joachim Friedrichs nahegelegt – dass sich ein Journalist nicht gemein mache mit einer Sache, auch nicht mit einer guten.

Ja, dieses Zitat kenne ich und ich habe schon viel darüber nachgedacht. Schon alleine, weil es Politiker, wenn es ihnen in den Kram passt und sie es gegen die Klimaberichterstattung anbringen können, gerne verwenden. So geschehen auf Twitter. Aber: Der Satz fiel damals in einem Spiegel-Interview, das unter anderem der Journalist Cordt Schnibben geführt hat. Mich hat das so beschäftigt, dass ich ihn kontaktiert habe. Im Gespräch hat er mir erklärt, dass das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wurde. Es ging eher um die Rolle von Nachrichtensprechern und das Zitat kann auch nicht einfach so verallgemeinert werden. Ich sehe das so: Mit keiner Sache gemein machen – das ist doch Quatsch. Mit was machen wir uns denn nicht gemein? Mit den Menschenrechten, mit dem Grundgesetz? Mit physikalischen Fakten? Das ist doch totaler Unsinn, wir sind doch nicht außerhalb der Welt. Es muss einen Grundstock eines ethischen Mindsets geben, in dem man handelt. Und dazu gehören wissenschaftliche Fakten, bezogen auf die globale Erhitzung. Trotzdem spricht aber nichts gegen eine neutrale Haltung bei der Moderation während der Nachrichten. Und übrigens bin ich auch neutral im Wetterbericht, wenn ich die Fakten zeige. Aber außerhalb bin ich selbstverständlich für die Einhaltung des Pariser Abkommens. Wie kann ich das nicht sein, wenn ich die Fakten kenne und die Hintergründe und weiß, was auf dem Spiel steht?

Erschienen am 15. Februar 2024

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