Wie gerecht ist Grüne Gentechnik?
Teil 2: Patente
Manche Menschen lehnen Grüne Gentechnik aus Angst vor globaler Ungleichheit und der Macht großer Konzerne ab. Die Fragen, die dahinterstehen, sind: Wie gerecht ist Grüne Gentechnik? Ist es eine Chance für alle – oder profitieren nur Menschen aus bestimmten Regionen oder Unternehmen von ihr? Besteht die Gefahr, dass große Konzerne das gentechnisch veränderte Saatgut nutzen, um Abhängigkeiten zu erzeugen und Landwirt:innen auszubeuten?
Um zu verstehen, was es mit diesen Ängsten auf sich hat, beleuchten wir zwei Punkte: die Situation von Kleinbäuer:innen im globalen Süden, die Saatgut – sei es konventionell gezüchtet oder gentechnisch verändert – mitunter zu schlechten Bedingungen von großen Konzernen bekommen. Und das Problem mit den Patenten: Auf gentechnisch modifizierte Pflanzen können Patente angemeldet und Menschen so von der Nutzung dieser Produkte ausgeschlossen werden.
Dafür haben wir mit zwei Expert:innen gesprochen. Einer von ihnen ist Hans-Georg Dederer. Dederer ist Juraprofessor an der Universität Passau. Dort arbeitet er unter anderem zum Recht der Lebenswissenschaften; dazu gehört auch das Recht der Grünen Gentechnik und das Biopatentrecht.
Wenn ein Land sich dazu entscheidet, gentechnisch verändertes Saatgut auf den Markt zu bringen, und Züchter:innen und Landwirt:innen vor Ort das Saatgut nutzen wollen, stellen sich häufig patentrechtliche Fragen. In der EU können auf Pflanzen, die durch Kreuzung und Selektion gezüchtet worden sind, keine Patente erteilt werden. Dagegen ist es möglich, auf Pflanzen mit Gensequenzen, die mit neuen genomischen Techniken (NGT), wie zum Beispiel der Genschere CRISPR/Cas9, entwickelt worden sind, Patente anzumelden. Kritiker:innen warnen deshalb davor, dass die Anzahl der Patentanmeldungen auf Pflanzen steigt, wenn neue genomische Techniken vermehrt für die Pflanzenzüchtung eingesetzt werden.
In Paragraf 1 des deutschen Patentgesetzes (PatG) steht:
(1) Patente werden für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind.
(2) Patente werden für Erfindungen im Sinne von Absatz 1 auch dann erteilt, wenn sie ein Erzeugnis, das aus biologischem Material besteht oder dieses enthält, oder wenn sie ein Verfahren, mit dem biologisches Material hergestellt oder bearbeitet wird oder bei dem es verwendet wird, zum Gegenstand haben. Biologisches Material, das mit Hilfe eines technischen Verfahrens aus seiner natürlichen Umgebung isoliert oder hergestellt wird, kann auch dann Gegenstand einer Erfindung sein, wenn es in der Natur schon vorhanden war.
Ein Beispiel: Ein Unternehmen entwickelt mithilfe neuer genomischer Techniken eine Maispflanze, die resistenter gegen Schädlinge ist, weil sie ein bestimmtes Insektengift produziert. Die Erfinder:innen melden ein Patent auf diese mittels Genomeditierung hergestellte Pflanze an. Züchter:innen, die diese editierte Pflanze für die Züchtung eigener Pflanzen nutzen wollen, brauchen dafür jetzt eine Lizenz, für die sie bezahlen müssen. Das könnte das Saatgut auch für Landwirt:innen teurer machen. Außerdem stellt sich für Bäuer:innen die Frage, ob sie das gentechnisch modifizierte Saatgut nachbauen und dadurch mehrfach aussäen dürfen.
Herr Dederer, Kritiker:innen der Gentechnik befürchten, dass die vermehrte Nutzung von neuen genomischen Techniken in der Pflanzenzüchtung zu mehr Patentanmeldungen in diesem Bereich führt. Wieso ist das ein Problem?
Hans-Georg Dederer: Das kann für die Züchter:innen zu einem Problem werden. Denn wenn sie mit neuen genomische Techniken gewonnene Pflanzenlinien nutzen wollen, könnten sie in Konflikt mit daran bestehenden Patenten geraten: Wenn sie mithilfe einer solchen Pflanzenlinie eine neue Sorte züchten, in der sich die patentierte Erfindung ausprägt – also, wenn die Sorte infolgedessen zum Beispiel aufgrund einer patentierten gentechnischen Veränderung besonders hitzeresistent ist, – dann fällt sie in den Bereich des Patents, und die Züchter:innen müssen, sobald sie ihre neue Sorte auf den Markt bringen, dafür Lizenzgebühren an die Patentinhaber:innen zahlen.
Das heißt, für Züchter:innen könnte es teuer werden.
Ja, aber nicht nur wegen der Lizenzgebühren. Zusätzlich müssen unter Umständen Patentanwält:innen eingeschalten werden. Denn es bedarf schon vor oder während der Sortenentwicklung einer Patentrecherche, um herauszufinden: Welche Patente könnten betroffen sein? Sind die Patente noch gültig? Wer sind die Patentinhaber:innen, an die ich mich wenden muss? Hier entstehen für Züchter:innen Kosten, die vor allem für kleine und mittlere Züchtungsunternehmen bislang ungewöhnlich sein mögen. In vielen anderen technischen Bereichen aber sind solche Patentrecherchen Standard. Jeder, der beispielsweise im Arzneimittelbereich oder im IT-Bereich etwas Neues entwickelt, muss ständig prüfen, ob und welche Patente Dritter betroffen sind, und ob und in welcher Höhe Lizenzgebühren zu zahlen sind.
Wie könnte denn eine Patentregelung aussehen, die kleine und mittlere Züchtungsunternehmen vor zu hohen Kosten schützen würde?
Denkbar ist, dass in Zukunft Patente auf Erfindungen, die auf NGT beruhen, ausgeschlossen werden. Allerdings würden die Patente, die schon erteilt worden sind, dadurch nicht berührt. Eine andere Möglichkeit, die diskutiert wird, sind Patentplattformen. Dort könnten Patentinhaber:innen und zum Beispiel kleine und mittlere Züchtungsunternehmen Mitglied werden. Die Patentplattform müsste vorsehen, dass alle Mitglieder ein Anrecht auf eine Lizenz haben. Aber auch das ist nur attraktiv, wenn die Lizenzgebühren und -bedingungen fair sind und alle Patentinhaber:innen dabei sind, deren Patente die Züchter:innen für ihre Sortenentwicklung brauchen. Das Problem könnte sein, dass solche Plattformen eher für Patentinhaber:innen interessant sind, für deren Patente wenig Interesse besteht – nicht für die, deren Patente schon jetzt sehr begehrt sind. Es wäre rechtlich sehr schwierig, Patentinhaber:innen zu zwingen, an so einer Plattform mitzuwirken. Insofern sind diese Plattformen prinzipiell ein guter Ansatz, aber ihre praxisnahe und rechtskonforme Verwirklichung scheint mir nicht vollständig gesichert.
Wenn es schon für deutsche Unternehmen teuer ist, diese Patentfragen zu klären und Lizenzen zu zahlen, welche Kosten kommen dann auf Züchter:innen oder Landwirt:innen in anderen Ländern zu?
Rechte des geistigen Eigentums wie das Patentrecht sind immer territorial begrenzt auf den Staat, der das Patent erteilt hat. Europäische Biopatente werden vom Europäischen Patentamt erteilt. Patentinhaber:innen können dann bei der Patentanmeldung aussuchen, für welche europäischen Länder das Patent gelten soll. Für Länder außerhalb des Europäischen Patentübereinkommens muss man das Patent separat beim dortigen nationalen Patentamt anmelden, sonst ist die Verwendung der patentgeschützten Erfindung dort ohne Lizenzgebühren möglich. Erfinder:innen werden aber natürlich ihre Erfindung überall zur Patentierung anmelden, wo sie ihre gewerbliche Nutzung erwarten.
Und was ist mit den Landwirt:innen? Viele Bauern und Bäuerinnen – gerade im globalen Süden – säen einmal gekauftes Saatgut mehrfach aus oder bauen es nach. Dürfen sie das, wenn es sich um patentiertes Saatgut handelt?
Auch das hängt vom Patentrecht des Landes ab, in dem sich die jeweiligen Landwirt:innen befinden und für das das Patent erteilt worden ist. Für den Bereich der EU-Mitgliedstaaten gilt ein sogenanntes Landwirteprivileg. Danach dürfen Landwirt:innen Saatgut, das durch ein Patent geschützt ist – also eine patentgeschützte Erfindung enthält – für Zwecke des eigenen Anbaus im eigenen Betrieb gegen eine Gebühr nachbauen.
Ich fasse mal zusammen: Die europäische Patentregulierung erlaubt, dass Pflanzen, die mittels neuer genomischer Techniken entwickelt worden sind, patentiert werden können. Und: Patente können mehr Kosten für Züchter:innen und Landwirt:innen weltweit nach sich ziehen – je nach dem landesspezifischen Patentrecht.
Richtig. Dabei würden viele kleine und mittlere Unternehmen die neuen genomischen Techniken gerne nutzen: Viele Pflanzenzüchter:innen in Deutschland sind der Meinung, die Genschere sei eine sehr kostengünstige und präzise Methode. Aktuell hindert sie aber weniger das Patentrecht an der Nutzung dieser Verfahren, sondern vor allem das strenge Zulassungsverfahren der EU.
Wie meinen Sie das?
Das Gentechnikrecht der Europäischen Union sieht für den Anbau und das Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Produkten eine Zulassung vor. Wenn gentechnisch veränderte Pflanzen in der EU angebaut werden sollen, braucht es überall dort, wo der Anbau vorgesehen ist, Freilandversuche; sie sind für die Umweltverträglichkeitsprüfung unentbehrlich. Diese Freisetzungen muss man in einem für jedermann einsehbaren Standortregister veröffentlichen. Das führte in der Vergangenheit allerdings vor allem in Deutschland dazu, dass die Versuchsfelder zerstört wurden. Solche Zerstörungen bremsen die wissenschaftliche Forschung und Entwicklung gentechnisch veränderter Pflanzen aus. Deshalb geht, zumindest in Deutschland, niemand mehr das Risiko ein, solche Versuche durchzuführen. Hinzu kommt, dass die anschließenden Marktzulassungsverfahren nicht nur kostspielig und langwierig sind, sondern auch politisiert und damit, was ihren Ausgang angeht, unvorhersehbar. Und selbst, wenn man eine Zulassung bekommt, haben die Mitgliedsstaaten in der EU die Option, ihr Territorium davon auszunehmen, also den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen auf ihrem Gebiet zu verbieten. Zu denken ist außerdem an die Pflicht zur gentechnikspezifischen Kennzeichnung, die eine Vermarktung des Produkts unattraktiv macht. Die ganze Gentechnikregulierung wirkt dadurch extrem prohibitiv – für alte wie für neue Gentechnik.
Die EU und das Gentechnikgesetz
EU-Richtlinien und -Verordnungen setzen den rechtlichen Rahmen für die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Die Richtlinien müssen in nationales Recht umgesetzt werden. Die EU-Richtlinie bezüglich Grüner Gentechnik ist in Deutschland im Gentechnikgesetz (GenTG) verankert. Als das Gentechnikgesetz in Deutschland verabschiedet wurde, gab es noch keine neuen genomischen Techniken, wie die Genschere CRISPR/Cas9, und keine Pflanzen, die damit gezüchtet wurden (NGT-Pflanzen). Paragraf 1 des Gesetzes lautet:
Zweck dieses Gesetzes ist,
- unter Berücksichtigung ethischer Werte, Leben und Gesundheit von Menschen, die Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, Tiere, Pflanzen und Sachgüter vor schädlichen Auswirkungen gentechnischer Verfahren und Produkte zu schützen und Vorsorge gegen das Entstehen solcher Gefahren zu treffen,
- die Möglichkeit zu gewährleisten, dass Produkte, insbesondere Lebens- und Futtermittel, konventionell, ökologisch oder unter Einsatz gentechnisch veränderter Organismen erzeugt und in den Verkehr gebracht werden können,
- den rechtlichen Rahmen für die Erforschung, Entwicklung, Nutzung und Förderung der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gentechnik zu schaffen.
Jetzt will die EU-Kommission zwar die Rechtslage zur Anwendung neuer genomischer Techniken neu regeln. So sollen Pflanzen, die kein fremdes Genmaterial enthalten und hinsichtlich des Maßes ihrer genetischen Veränderung gleichwertig zu konventionellen Pflanzen eingestuft werden, genauso behandelt werden, wie konventionell gezüchtete Pflanzen. Züchter:innen müssten dann kein so langwieriges Zulassungsverfahren mehr durchlaufen, die Nutzung von NGT wäre für sie einfacher. Aber die EU muss zusätzlich die offenen Patentfragen klären. Sonst könnten die Kosten für Patentrecherchen, Lizenzen und alle damit verbundenen Unsicherheiten dazu führen, dass die Züchtungsunternehmen die neuen genomischen Techniken weiterhin nicht nutzen, weil es ihnen als zu teuer oder zu aufwändig erscheinen könnte. Um dies zu klären, bedarf es ökonomischer Analysen, die noch ausstehen. 2026 will die EU-Kommission einen Bericht dazu vorstellen.
Erschienen am 21. Oktober 2024
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